Bedroht und verfolgt:Flucht in den Glauben

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Aliya und ihre Familie sind aktive Mitglieder der Kirchengemeinde St. Stephanus in Putzbrunn. Bevor sie sich taufen ließen, bereitete sie Diakon Karl Stocker darauf in regelmäßigen Treffen vor. (Foto: Angelika Bardehle)

Eine Familie aus Aserbaidschan hat sich in Putzbrunn taufen lassen. Zuhause, sagt die Frau, drohe der Onkel sie wegen ihrer Religion zu töten. Doch das Bundesamt für Migration sieht keine Gefahr für Christen in dem muslimischen Land

Von Christina Hertel, Putzbrunn

Wenn man Aliya fragt, warum ihr der Glaube so wichtig ist, deutet sie auf ihr Herz. Diakon Karl Stocker, ein älterer Herr mit Brille auf der Nase und mildem Lächeln im Gesicht, versucht ihr zu helfen: "Meinst du, du spürst Geborgenheit?" Sie nickt, aber ihre Augen verraten, dass sie das Wort nicht ganz verstanden hat.

Aliya ist mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen nach Deutschland geflohen. Fast 4000 Kilometer haben sie in einem Kleinbus zurückgelegt - von Gandscha in Aserbaidschan nach München. Aliya sagt, sie sei aus Angst vor ihrem Onkel geflohen. Sie fürchtete, dass er sie und ihre Kinder umbringen würde. Denn Aliya, die Muslimin, wollte Christin sein.

Für die katholische Kirche sind Menschen wie Aliya ein Grund, noch nicht ganz zu verzweifeln, wenn sie ihre Schäfchen zählen. Ihre Herde wird zwar immer kleiner - fast 14 000 Katholiken gab es 2016 im Erzbistum München und Freising weniger als 2015. Doch die Zahlen könnten noch schlechter aussehen - wenn es die Zuwanderung nicht gäbe. Vergangenes Jahr zogen 5000 Katholiken in die Region München, die meisten aus Polen und Nigeria.

SIe fürchtet, dass der Onkel nach Deutschland kommt: Und sie tötet.

Das bedeutet: mehr Firmungen, mehr Kommunionen, mehr Gottesdienstbesucher als das Jahr zuvor. Auch die Zahl der Taufen stieg, um etwa drei Prozent. Auch immer mehr Erwachsene entscheiden sich dafür. Insgesamt ließen sich 2016 im Erzbistum München und Freising 210 Menschen, die älter als 14 Jahre waren, taufen. 40 mehr als 2015. Im Landkreis hat sich die Zahl von fünf auf zwölf erhöht. Wie viele von ihnen Flüchtlinge sind so wie Aliya wird nicht erfasst. Sie und ihre Familie ließen sich im November 2016 in St. Stephanus in Putzbrunn taufen.

Ihren richtigen Namen möchte Aliya, 37 Jahre alt, eine Frau mit schwarzen Haaren und dunklen Augen, lieber nicht sagen. Sie habe Angst, dass ihr Onkel herausfindet, wo sie lebt. Sie fürchtet sich, dass er nach Deutschland kommt und das tut, was er ihr zuhause angedroht habe: sie töten.

Diakon Stocker hat Gebäck gekauft - Zwetschgendatschi mit Puderzucker oben drauf. Aber keiner rührt es an, als Aliya erzählt. Ihre Geschichte beginnt schon viele Jahre vor ihrer Geburt. Als ihr Großvater noch ein junger Mann war, reiste er in die Ukraine. Und er, ein Muslim, verliebte sich in Aliyas Großmutter, eine Christin. Jeden Sonntag gingen sie zusammen spazieren. Und schließlich verließ sie ihre Heimat für ihn. Viele Jahre schwieg die Großmutter über ihre Herkunft und ihren Glauben. Erst als alte Frau sprach sie mit ihren Enkeln darüber, wer sie wirklich war, und was sie glaubte.

"Sie hatte dann keine Angst mehr", sagt Aliya. Tatsächlich hätte es die Großmutter wohl nicht leicht gehabt. In Aserbaidschan sind nur drei Prozent der Menschen Christen. Die Hilfsorganisation Open Doors, die sich für verfolgte Christen einsetzt, schreibt auf ihrer Website, dass dort Pastoren ohne Grund eingesperrt worden sein sollen und dass sich Menschen nicht trauen würden, sich zu ihrem Glauben zu bekennen.

Mit 15, erzählt Aliya, habe sie mit ihrer Großmutter zum ersten Mal in der Bibel gelesen. Und mit 18 habe sie zum ersten Mal eine Kirche besucht. Alles heimlich. Dann lernte sie ihren Mann kennen. Er sei auch Christ geworden aus Liebe zu ihr, sagt sie. Gemeinsam lasen sie mit ihren Kindern jeden Abend in der Bibel. Alles sei gut gegangen, bis ihr Sohn in der Schule zu seinen Freunden sagte, dass er anders sei als sie. Dass er kein Muslim sei, sondern Christ.

Die Taufe ist keine Garantie, um bleiben zu dürfen

Ein noch größeres Problem als in Aserbaidschan Christ zu sein, sei einer zu werden, sagt Aliya. Ihr Leben sei nach dem Vorfall in der Schule nicht mehr das alte gewesen. Mitschüler hätten ihren Sohn mit Steinen beworfen, sie sei auf dem Markt nicht mehr bedient worden. Ihr Onkel habe begonnen, sie zu bedrohen. "Und die Polizei sagte zu mir: In deinem Hirn ist der Teufel", sagt Aliya. An Hilfe glaubte sie danach nicht mehr. Vor etwa zwei Jahren kam die Familie in Putzbrunn an. Sie ist Putzfrau im Flughafen, er Security-Mitarbeiter in München, die Söhne sind Ministranten in St. Stephanus. Zusammen gehen sie fast jeden Sonntag in die Kirche. Bevor sie getauft wurden, mussten sie einige Wochen lang einen Vorbereitungskurs besuchen. "Wir fragen sie nach ihrer Geschichte und warum sie Christen werden wollen, und ob sie eine ehrliche Absicht haben", sagt Diakon Stocker.

Die katholische Kirche ist immer so vorsichtig, wenn sich Flüchtlinge taufen lassen möchten. Sie hat Broschüren verfasst und Handreichungen geschrieben, in denen steht, dass man Muslimen den christlichen Glauben nicht aufdrängen darf und dass man sie davor warnen soll, dass sie nach der Taufe möglicherweise alte Freunde und sogar ihre Familie verlieren könnten. "Und wir sagen ihnen, dass die Taufe keine Garantie ist, in Deutschland bleiben zu können", sagt Stocker.

Doch beim Asylverfahren wird die Konversion tatsächlich berücksichtigt. Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) heißt es, sie führe grundsätzlich zur Schutzgewährung, drohe jemandem wegen seines Glaubensübertritts im Heimatland Verfolgung. Dafür muss der Flüchtling glaubhaft schildern können, dass er seine Religion dort ausüben würde, warum er sich taufen ließ, was er über seine neue Religion weiß und was ihm daran gefällt. Generell werde allerdings unterstellt, dass die christlichen Kirchen nicht leichtfertig taufen, sondern dass eine sorgfältige Begleitung erfolgt sei, schreibt das Bamf.

Doch bei Aliya und ihrer Familie glaubt das Bundesamt offenbar nicht, dass ihr Leben in Aserbaidschan bedroht wäre. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Aufgeben will die Familie noch nicht. Sie hat mit einem Anwalt gegen die Ablehnung geklagt.

© SZ vom 30.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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