Alkoholsucht:Bis zum letzten Tropfen

Whiskey-Trinker

Noch Genuss oder schon Sucht? Alkoholabhängigkeit ist häufig mit Scham behaftet.

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Erst wenn der Leidensdruck unerträglich ist, suchen Alkoholkranke Hilfe. So wie der Manager Peter W., der an manchen Tagen zwei Flaschen Ramazotti trank - und sich danach nicht mehr bewegen konnte.

Von Gudrun Passarge

An seinen schlimmen Tagen konsumierte Peter W. zwei Flaschen Ramazotti nebst Bier und Wein, "was halt so da war". An seinen schlimmsten Tagen saß er am Abend auf der Terrasse und konnte sich nicht mehr bewegen, weil er Lähmungserscheinungen hatte. Er musste warten, bis sie weggingen, bevor er wieder aufstehen konnte. Peter W. heißt in Wirklichkeit anders. Er ist Manager in einem Industriebetrieb, über 50 und er ist alkoholkrank. Seit August 2017 trinkt er nicht mehr. Geholfen hat ihm dabei eine ambulante Therapie beim Blauen Kreuz in Ottobrunn, wie er erzählt.

Das Blaukreuz-Zentrum ist eine psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstelle, die unabhängig von Religionszugehörigkeit oder Nationalität kostenlos berät, wobei für die Mitarbeiter Schweigepflicht gilt. Angehörige, Kollegen, Vorgesetzte und Suchtkranke bekommen dort professionelle Hilfe. Ursula Mocker-Schulz hat das Zentrum, das sich an der bundesweiten Aktionswoche "Alkohol? Weniger ist besser" beteiligt hat, vor etwa 15 Jahren aufgebaut.

Die Sozialpädagogin mit suchttherapeutischer Zusatzausbildung arbeitet seit mehr als 30 Jahren in der Suchtberatung. Es ist kein Zufall, dass das Zentrum in einem Haus untergebracht ist, in dem es auch Arztpraxen und Wohnungen gibt. So fällt es Betroffenen leichter, in das Haus hineinzugehen und ihre Anonymität zu wahren. Alkoholsucht ist häufig mit Scham behaftet.

Peter W. kennt das: "Es ist leider immer noch eine dreckige Krankheit, die als asozial angesehen wird." Viele hätten das Bild eines Penners vor Augen, wenn sie an einen Alkoholiker denken. Suchtberaterin Mocker-Schulz spricht von Mythen, wozu sie auch die Ansicht zählt, dass ärmere Menschen mehr trinken als reiche. Studien widerlegten das. Eine Erfahrung, die sie auch im Landkreis gemacht hat, in dem viele gut situierte Bürger leben: "Mit höherer Bildung und besserem Einkommen steigt oft das riskante Trinkverhalten." Betroffene machten sich selbst etwas vor, wenn sie sagten, sie tränken ja nur guten Wein.

Bei Peter W. war es nicht nur guter Wein. "Ich habe eine Alkoholikerkarriere von gut 25 Jahren hinter mir." Dabei war er immer bemüht, heimlich zu trinken, sodass es seine Partnerin nicht so mitbekommt. Auch in der Arbeit sei es "überhaupt keinem aufgefallen". W. trank nur nach Feierabend. Der Wendepunkt kam, als seine Freundin Schluss machte, "weil sie es einfach nicht mehr ertragen hat, wie ich mich zugrunde saufe". W. bezeichnet diesen Zeitpunkt als eine Wand, gegen die er gelaufen sei, als "den letzten Schlag". Vier Wochen lang folgte ein Vakuum. "Ich habe massiv weitergetrunken."

Doch schließlich war er so weit, Hilfe zu suchen. Ein Psychologe vermittelte den Kontakt zum Blauen Kreuz. "Ich wollte was tun, aber ich war noch nicht so weit, den ganzen Umfang zu erkennen, was es wirklich bedeutet", sagt W. Vorher hatte er immer geglaubt, noch Kontrolle über sein Trinken zu haben, schließlich gab es auch mal ein paar Tage ohne Schnaps. Danach dachte er: Jetzt kannst du ja mal wieder was trinken. Die Vorstellung "nie wieder Alkohol" war für ihn am Anfang der Behandlung noch ganz weit weg.

W. machte eine Entgiftung und begann eine einjährige ambulante Therapie im Blaukreuz-Zentrum. Außerdem besucht er eine Selbsthilfegruppe im Landkreis. "Das hilft ungemein, dort Menschen zu treffen, die die gleiche Krankheit haben." Inzwischen weiß er, dass er sich entscheiden muss: "Will ich trinken oder nicht?"

Im Alltag ist das oft gar nicht so einfach, abstinent zu bleiben, sagt Suchtberaterin Mocker-Schulz. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass bei Festivitäten oft Sekt oder allerhöchstens noch Sekt mit Orangensaft angeboten wird. Wenn sie dann fragt, ob sie auch etwas Nicht-Alkoholisches haben kann, werde es oft unruhig im Raum und es werde laut durch den Raum gerufen, ob auch nur Orangensaft zu haben ist. Ihr mache das nichts aus, aber "ein Alkoholkranker, dem ist das vielleicht peinlich".

Alkoholsucht ist seit 1968 als Erkrankung anerkannt

Überhaupt werde Alkohol oft als sehr positiv in den Medien dargestellt und in der Gesellschaft wahrgenommen. Ihr stellten sich oft die Haare auf, wenn sie sehe, wie der Konsum von Alkohol in Filmen gezeigt wird. "Jemand, der nichts trinkt, fühlt sich eher als Außenseiter", merkt sie an und kritisiert: "Es gibt kaum Modelle für ein abstinentes, aber zufriedenes Leben."

Alkoholsucht ist eine chronische Erkrankung und seit 1968 als Erkrankung anerkannt. Der Körper verfüge über ein Suchtgedächtnis, sagt die Beraterin, das Verlangen könne wiederkommen - auch nach acht Jahren Abstinenz. Aber in der Therapie werde gezeigt, wie man mit Ausrutschern umgehen könne. Davon hat auch Peter W. schon profitiert, der sich selbst nicht als trocken bezeichnet, sondern die aktuelle Phase seines Lebens als "trinkveränderte Zeit" beschreibt.

Alkoholsucht: Sozialpädagogin Ursula Mocker-Schulz hilft Süchtigen.

Sozialpädagogin Ursula Mocker-Schulz hilft Süchtigen.

(Foto: Claus Schunk)

Als er beruflich in eine Situation kam, in der er sich sehr aufregte, fühlte er, wie er in einen Strudel der Gedanken hineingezogen wurde. "Es war wie ein Sog", wie ein Sumpf. Auch der Gedanke an Alkohol war wieder da. "Aber ich habe mich zurückbesonnen, was ich in der Therapie gelernt habe."

Bis zu 400 Menschen suchen jährlich Rat und Hilfe im Ottobrunner Blaukreuz-Zentrum. Die Mitarbeiter beraten auch bei Drogen-, Medien- oder Glücksspielsucht, aber Alkohol ist der Schwerpunkt. Das Geflecht um den Süchtigen herum sei wie ein Mobile, sagt Mocker-Schulz. "Wenn ein Teil anfängt sich zu verändern, hat das auch Auswirkungen auf den anderen."

Häufig sei der Besuch eines Angehörigen der Anfang, dass auch der Betroffene Hilfe sucht. In der Beratung prüfe sie mit den Angehörigen die Konstellation, informiere darüber, dass sich das Denkvermögen durch den Konsum verändere ebenso wie die Persönlichkeit. Angehörigen helfe das, besser einzuschätzen, warum sich der Partner so verhält. Oft stünden dahinter "massive Selbstunsicherheiten".

Sie rate dazu, das Gespräch mit dem Suchtkranken zu suchen, wenn dieser gerade einen klaren Kopf habe. Vielleicht auch schriftlich etwas zu formulieren, einen Brief zu schreiben. Auf jeden Fall sollten Angehörige nichts vertuschen und jemandem aus der Patsche helfen, im Gegenteil: Der Suchtkranke müsse die Konsequenzen seines Handelns spüren.

Gerade Alkoholkranke neigten dazu, ihren Konsum zu verheimlichen oder zu bagatellisieren. Oft haben es die Berater auch mit Mischformen zu tun, etwa Alkohol in Verbindung mit einer Medikamentenabhängigkeit. Mocker-Schulz nennt Zahlen. Jeder fünfte bis zehnte zeige ein schädliches Konsumverhalten, jeder siebte entwickle eine Abhängigkeit.

Doch erst wenn der Leidensdruck hoch ist, wird der Betroffene bereit, Hilfe anzunehmen. "Ich kann den Punkt zur Veränderung nicht erzwingen", weiß die 63-Jährige. Dieser ist bei vielen erst da, wenn der Führerschein weg ist oder die Freundin oder der Arzt sagt, so gehe es nicht weiter. In der Beratung habe sie die Erfahrung gemacht, die Suchtkranken könnten genau sagen, wer sie wann auf ihre Sucht angesprochen habe. "Das reiht sich auf wie Perlen auf einer Schnur." Manchmal ist es erst der zehnte Hinweis, der zur Therapie führt. Hinterher sagten viele: "Endlich bin ich wieder ich."

Man muss von alleine kommen

Große Firmen wie der Versicherungskonzern Allianz in Unterföhring haben das Problem erkannt und handeln. Julia Roebke, Unternehmenssprecherin für Finanzen und Personal, berichtet, Suchtkranke könnten Betriebsärzte oder die Sozialberatung im Haus kontaktieren, beide stehen unter Schweigepflicht. Außerdem werden Vorgesetzte geschult, es werden Hilfen wie Suchtberatung oder spezielle Kliniken vermittelt. Es gibt sogar einen eigenen Suchtleitfaden im Versicherungskonzern.

Auch die Auszubildenden bekommen eine Schulung, zwei je Standort werden über Suchtprävention informiert und geben ihre Erkenntnisse an die anderen Azubis weiter. Ist ein Mitarbeiter alkoholkrank, gibt es laut Roebke Gespräche, wie die Behandlung und die Arbeit sich vereinbaren lassen. "Wir haben auch eine Fürsorge."

Peter W. hat seine Therapie neben der Arbeit gemacht. Er ist wieder mit seiner Freundin zusammen und hofft, seine Probleme in Zukunft ohne Alkohol lösen zu können. Kollegen empfiehlt er, Süchtige nicht in eine Ecke zu drängen. Ein offenes Gesprächsangebot, vielleicht der Hinweis auf eine Beratungsstelle. "Aber es ist sinnlos nachzufragen, ob man schon angerufen hat. Das muss von alleine kommen."

Kontakt zum Blaukreuz-Zentrum in Ottobrunn, Ottostraße 55a: Telefon 089/66 59 35 60, www.muenchen.blaues-kreuz.de.

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