Süddeutsche Zeitung

Barockes Treiben in Schleißheim:Mit Puder und Pulverdampf

Etwa 30 Darsteller inszenieren im Schleißheimer Schlosspark ein historisches Lust- und Jagdlager. Ihnen geht es weniger um ein farbenprächtiges Kostümspektakel als darum, die Zeit des Barock authentisch nachzustellen.

Von Julia Fietz, Oberschleißheim

Feines Porzellan ziert die reich gedeckte Tafel. Vor der prallen Sonne schützt eine Überdachung. Die Hochwohlgeborenen in prächtigen Gewändern warten auf das Wild, das die Jagdhelfer ihnen gleich vor die gepuderte Nase treiben werden. Die Lichtung ist mit Tüchern und Netzen abgetrennt, um die Tiere an der Flucht zu hindern.

So oder so ähnlich muss eine sogenannte eingestellte Jagd im 18. Jahrhundert ausgesehen haben. Sie könnte kaum weiter von dem Jäger entfernt sein, der heute stundenlang in seinem Hochsitz ausharren muss.

Nachdem die Kutschengala in diesem Jahr ausgefallen ist, kommen Kostümfans an diesem Wochenende am Schloss Schleißheim auf ihre Kosten. Wer einmal nachempfinden möchte, wie anders die prunkvolle Welt der barocken Aristokratie im Vergleich zu heute gewesen ist, kann sich am Samstag und Sonntag im Schlosspark auf eine Zeitreise begeben und bei einer höfischen Jagdgesellschaft von 1759 zu Gast sein.

Die Grundlagen der barocken Jagd, vergnüglicher Zeitvertreib, Fechtunterricht und höfische Mode der Zeit werden von bis zu 30 Darstellern des Club Rocaille gezeigt und erklärt. Diese kommen aus ganz Deutschland zur pittoresken Kulisse von Schloss Schleißheim.

"Wir sind kein Mittelaltermarkt mit Marktsprech und diesem Händegeklapper", sagt Michael Lang, der zusammen mit der Bayerischen Schlösserverwaltung und der Verwaltung des Schlosses Schleißheim das Jagdlager organisiert hat. Geschichte zum Anfassen, ohne übertriebenen Karnevalstrubel, gründlich recherchiert und authentisch - das sei das Ziel der Darsteller. Ihre Sprache verklausulieren sie aber sehr wohl, um sie der Zeitreise anzupassen. Aus dem Satz "Ich stand im Stau" wird dann "An der Poststation gab es Probleme mit dem Pferdewechsel", wie Lang erklärt.

Ein Adliger in Geldnot

Der 63-Jährige tritt am Wochenende als Carl Ludwig von Poellnitz auf. Der umtriebige Freiherr lebte von 1692 bis 1775 und war laut seinem Darsteller "eine echte Hofpflanze". Immer in Geldnot versuchte der Adelige sein Glück in halb Europa, machte überall Spielschulden, floh im Nachthemd über den Dachfirst, als die Gläubiger vor seiner Tür standen, und wechselte mehrfach seine Konfession, je nachdem, wie es ihm gerade passte. Der Preuße fand schließlich eine lukrative Einnahmequelle im Verbreiten von höfischen Klatschgeschichten und verbrachte sein letztes Lebensjahrzehnt am Hof seines Kindheitsfreundes Friedrich dem Großen. "Der hat die Ratschkathl dann zu seinem Oberkammerherrn gemacht", sagt Michael Lang schmunzelnd.

Im richtigen Leben ist der 63-Jährige Servicetechniker. Vor 16 Jahren fand er zu seiner Geschichtsleidenschaft. Als die Kinder 2003 groß genug waren, meldeten seine Frau und er sich zu einem Standardtanzkurs im Deutschen Theater in München an. Auf der Suche nach historischen Bällen, auf denen die Besucher in entsprechender Kleidung tanzen können, stieß er im Internet auf die Bilder einer Veranstaltung in einem italienischen Schloss: traumhaftes Kerzenlicht, Tänzer in pompösen Kleidern. Da war es um das Ehepaar gleich geschehen. Michael Lang begann, sich näher zu informieren, las Bücher über die Kleidung, Ausstattung und das Leben von Barockadeligen. Zwei Jahre später war es soweit. Nur die Kostüme stammten noch aus dem Internet.

"Ich sah aus wie beim Karneval, während alle um uns herum authentische, schöne Sachen trugen", erzählt der gebürtige Nürnberger lachend. Mit Maschine und Hand näht er heute seine Kostüme und die seiner Frau in Eigenregie. Selbst aufwendig bestickte Stoffe seien kein Problem mehr, dank eines Stickkurses, den er als einziger Mann unter vielen Frauen belegt habe. Seine Frau kümmere sich indessen um andere Dinge wie mitzubringenden Kuchen. Echte Teamarbeit eben.

Genau das macht für den Barockfan auch die Gruppierungen von Geschichtsdarstellern aus, die sich gemeinsam auf Bälle oder in nachgestellte Jagdlager begeben: Teamarbeit. "Wir haben in ganz Europa neue Freundschaften geschlossen, von Italien und Österreich bis nach Großbritannien", sagt Lang. Die Darsteller könnten sich problemlos aufeinander verlassen. Oft reiche ein bloßes: "Kannst du dich darum kümmern?" - und alles funktioniere reibungslos.

Schloss Schleißheim kennt Lang bereits als Besucher: Vor Jahren feierten er und seine Frau dort ihren Hochzeitstag - in einer Gondel und in voller Adelsmontur.

Historisches Lust- und Jagdlager im Schlosspark Schleißheim, zu den Öffnungszeiten zwischen Samstag, 28. September, 10 Uhr, und Sonntag, 29. September, 17 Uhr, bei jeder Witterung.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2019/belo
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