Ballett:Anmut im Grotesken

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Kitschfreies Tanzduett: Ada Ramzews (hinten) und Natalie Bury scheinen wie unter Zwang aneinander zu haften. (Foto: Claus Schhunk)

Benedict-Manniegel Dance Company widmet sich versiert der Heimatsuche

Von Franziska Gerlach, Unterhaching

Ein Häufchen Mensch liegt auf der Bühne. Neun drahtige Frauenkörper in fleischfarbenen Trikots. Die Glieder haben sie ineinander geschoben, Arme über Beine, Beine über Arme, als hätten sie beschlossen, sich niemals wieder voneinander zu lösen. Doch dann beginnt sich etwas zu regen. In weichen, wellenförmigen Bewegungen erwacht der Haufen zum Leben. Und anders als erwartet, erhebt sich anmutige Leichtigkeit daraus empor.

"Auf der Suche nach Heimat" - mit diesem Titel war der moderne Ballettabend der Benedict-Manniegel Dance Company am Freitag im Kubiz (Kultur- und Bildungszentrum) in Unterhaching überschrieben, ein projektgebundenes Münchner Ensemble, das sich aus Studenten und Absolventen der Ballettakademie und professionellen Gastsolisten zusammensetzt. An diesem Abend zeigten die Tänzer insgesamt vier Choreografien, sie stammen von dem Ballettpädagogen Heinz Manniegel sowie von Ada Ramzews und Natalie Bury.

Schon früher hatten die beiden Tänzerinnen und Choreografinnen ihre Inszenierungen unter einem gemeinsamen Motto zur Aufführung gebracht. Nun sollte es also die Heimat sein. Sich diesem Begriff im Tanz zu nähern, das ist natürlich einigermaßen gewagt in Zeiten, da die Frage nach der nationalen und kulturellen Zugehörigkeit die gesellschaftliche Debatte in schöner Regelmäßigkeit strapaziert - und dann auch noch in Bayern mit seinen Bergwiesen und Almhütten, wo es dem Klischee nach ja ohnehin noch viel heimatlicher zugehen soll als im Rest von Deutschland.

Im Kubiz allerdings zeigte sich die Heimat nun gar nicht altbacken, im Gegenteil: Zwei Stunden lang durfte sich der Zuschauer an Tänzen erfreuen, die die eleganten Posen des klassischen Balletts mit lässig hingeworfenen Elementen verbanden. Das ist zwar kein revolutionär neues Mittel, um Inszenierungen mit Modernität aufzuladen. Aber eben eines, das gut funktioniert. Denn auch die Heimat, die manifestiert sich eben nicht nur in Balkonen mit Geranien und Fachwerkhäusern, in Ländern oder Städten, in Heimkehr oder Aufbruch. Sie ist auch im Gefühl zu Hause, bei Freunden und Familie, in Gesten der Geborgenheit und der Liebe. "My home is where my heart is" - diese Botschaft fand nicht nur in sauber ausgeführten Drehungen und akrobatischen Sprüngen ihren Ausdruck, wie sie zum Beispiel Ilia Sarkisov zeigte, der bis 2017 Solist des Bayerischen Staatsballetts war und aktuell als freischaffender Tänzer tätig ist. Nein, da war auch ganz viel Innigkeit auf der Bühne. Ada Ramzews und Natalie Bury steigerten diese in Burys Choreografie "Hope my friend" sogar noch ins Groteske. Ein Glucksen und Röcheln ging durch den Saal, als die beiden sich auf der Bühne in Bewegung setzten. Krampfhaft, wie unter Zwang scheinen ihre Körper im Tanz aneinander zu haften. Oder positiv formuliert: verlässlich wie ein Schatten, der auch dann noch da ist, wenn es sonst keine Hoffnung mehr gibt. Im Kitsch verloren sich die Darbietungen der Münchner Ballettakademie erfreulicherweise nie.

Stattdessen wurde hier und da subtil mit der Pantomime geflirtet - wie etwa in "Asche", jener Choreografie, die Ada Ramzews mit den Tänzern zu Ludwig van Beethovens 7. Symphonie erarbeitet hat und die an diesem Abend ihre Uraufführung erlebte. Und wem es im Dunkel des Unterhachinger Kultur- und Bildungszentrums gelang, das Programm zur Tanzveranstaltung zu entziffern, der konnte selbigem entnehmen, dass Beethoven die Musik 1812 komponiert hat, also in jenem Jahr, als Napoleon seinen Feldzug gegen Russland plante. Später wurde dieses Werk Beethovens oft im Gedenken an Soldaten gespielt, die für das Vaterland gestorben waren.

Ist es also jene Sorte Beharrlichkeit, mit der die Menschen wieder aufbauen, was sie im Krieg zerstört haben, die da gerade in den synchronen Bewegungen der Gruppe ihren Ausdruck findet? Spekulationen darüber, was der Künstler dem Betrachter mit seiner Kunst sagen will, führen bekanntermaßen schnell mal in die Irre. Die ruckartigen, pantomimisch anmutenden Bewegungen, die die Tänzerinnen gerade ausführen, zeichnen dagegen ein klares Bild - das von Aufziehmännchen auf den letzten Metern. Dann wiederum ist da ganz viel Tempo. Ein junges Mädchen fliegt über die Bühne, die Sprünge weit und hoch, lächelt kokett, wenn sie die Hände im ausgelassenen Spiel mit der Ästhetik der Zwanzigerjahre wie beim Charleston in den rechten Winkel dreht. "Lomir Tanzn" lautet der Name des Balletts, das Heinz Manniegel zu jüdischer Klezmermusik entwickelt hat.

Ob die 13 Tänzer und Tänzerinnentatsächlich das Volk Israel oder irgendeine x-beliebige Volksgruppe darstellen sollen, sei dahingestellt. Diese Choreografie ist jedenfalls mehr als eine lustvolle Aufforderung zum Tanz. Es geht ganz offensichtlich auch ums Reisen. Immer wieder findet das Ensemble zum Element des Reigens zusammen, werden Arme verhakt und Schritte so kraftvoll gesetzt, als gelte es, einen massiven Wirtshaustisch zu zertanzen. Keine übertrieben dargestellte Wehmut, kein Schmerz im Ausdruck. Dafür pure Lebensfreude - das Beste, was der Tanz zu bieten hat.

© SZ vom 06.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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