Den Umgang mit Superlativen ist man in Baierbrunn gewohnt, schließlich war die Gemeinde oft genug bayern- und sogar bundesweiter Spitzenreiter bei der Wahlbeteiligung. Künftig wird sie auch beim Gewerbesteuer-Hebesatz ganz vorn mitmischen, von unten betrachtet: In einer Sondersitzung hat der Gemeinderat am Dienstag die Senkung von 300 auf 230 Punkte beschlossen – weniger Gewerbesteuer zahlen Unternehmen prozentual derzeit in keiner anderen bayerischen Kommune. Mit zehn zu sieben Stimmen fiel das Votum recht knapp aus, vor allem aus Reihen der SPD und CSU kamen Gegenstimmen, nicht zuletzt mit Verweis auf einen Passus im aktuellen Koalitionsvertrag von Union und SPD, der den bundesweit erlaubten Mindestwert des Hebesatzes künftig auf 280 Prozentpunkte anzuheben vorsieht.
Bürgermeister Patrick Ott (Überparteiliche Wählergruppe Baierbrunn) zeigte sich jedenfalls überzeugt, dass die rückwirkend zum 1. Januar 2025 beschlossene Senkung des Hebesatzes rasch positive finanzielle Wirkungen zeitige. „Man kann an vielen Beispielen sehen, wie schnell danach die Einnahmen nach oben gegangen sind“, sagte er. Etwa bei den prominenten Nachbarn Grünwald (240 Punkte) und Pullach (260 Punkte), die bereits Anfang der 2000er Jahre mit entsprechenden Senkungen Wettbewerbsvorteile erlangt hätten.
Gerade in diesem kompetitiven Umfeld müsse sich Baierbrunn mit seinem Status als Rodungsinsel – die auch flächenmäßig mit anderen Nachbargemeinden wie Oberhaching oder Straßlach-Dingharting (ebenfalls mit niedrigen Hebesätzen) nicht mithalten könne – mit mehr Dynamik behaupten. Es gehe um die „Signalwirkung“, mit einem Hebesatz von 230 Punkten biete Baierbrunn ein „echtes Alleinstellungsmerkmal“ und man erwarte, einen „messbaren Pull-Effekt“ auf Unternehmen auszuüben, bei denen eine „Steueroptimierung Teil der betriebswirtschaftlichen Strategie“ ist. Ott verwies auf Kemnath in der Oberpfalz, das 2018 den Hebesatz auf 230 Punkte gesenkt (von 340 Punkten) und sich seither zu einer der finanzstärksten Gemeinden in Bayern entwickelt hat.
Neben ihm verwiesen auch Christian Kaldenbach (ÜWG) und Ravindra Nath (FDP) darauf, dass die Chancen deutlich größer seien als die Risiken. Wie der Rathauschef betonten sie, dass gerade jetzt das „Window of opportunity“ noch offen sei, um noch ausreichend von der Dynamik der Senkung zu profitieren. Es gehe auch nicht darum, den „Firmen die Taschen voll zu stopfen“ - vielmehr würden die Gemeinde und die Baierbrunner Bürgerinnen und Bürger profitieren.
Der Wort & Bild Verlag bekennt sich zum Standort Baierbrunn, bietet indes auch „attraktive Büroflächen“ an
Ein Effekt, den sich die Befürworter erhoffen, ist die Magnetwirkung auf Unternehmen mit wenig Flächenbedarf (wie Finanzdienstleiter, oder Fonds) und mehrmals wurde auch betont, dass der am Ort ansässige Wort & Bild Verlag derzeit „attraktive Flächen“ anbiete. Der Verlag („Apotheken-Umschau“) könnte so nun Interessenten für die Büroräume mit optimierten Rahmenbedingungen locken – und die Präsenz des Unternehmens am Ort scheint, obwohl von „Umstrukturierungen“ zu hören ist, ohnehin gesichert. Andreas Arntzen, CEO des Verlags, erklärt jedenfalls: „Wir fühlen uns sehr wohl im schönen Baierbrunn. Pläne für eine Verlagerung des Firmensitzes gibt es nicht.“
Für das laufende Haushaltsjahr, in dem man in Baierbrunn mit dem bisherigen Hebesatz von 5, 5 Millionen Euro Gewerbesteuer-Einnahmen ausgeht, bedeutet die Senkung erst mal eine Reduktion auf rund 4,2 Millionen Euro.
Christine Kammermeier (SPD) bemängelte, dass der erst vor wenigen Wochen verabschiedete Haushalt eigentlich wieder unter Vorbehalt stünde angesichts der neuen Situation bei der Gewerbesteuer. Sie drückte auch moralisches Magengrimmen aus – Stichwort „Steueroase“ – und sprach der potenziellen neuen Bundesregierung ihre „Dankbarkeit“ aus, weil sie die umstrittene Situation beim Hebesatz und damit auch den Kampf gegen „Scheinsitze“ von Firmen in den Kommunen angehe. Zudem: „Es gibt auch Gemeinden, wo es nicht funktioniert hat.“ Im Landkreis München zählt da etwa Taufkirchen dazu, wo sich die Wette auf die Zukunft in Form von lukrative Firmenansiedlungen seit der Senkung des Hebesatzes von 310 auf 250 Punkte im Jahr 2024 bisher nicht so recht erfüllt hat. In der jetzigen wirtschaftlichen Situation sei der Schritt generell „riskant“, so Kammermeier.
Kritisch äußerte sich auch Felix Maiwald (CSU), der meinte, man nehme den Koalitionsvertrag schon ernster als Ott, der mutmaßt, dass die besagte bundesweite Anhebung des Mindesthebesatzes auf 280 Punkte gar nicht realisiert würde – oder wenn ja, dann erst in einigen Jahren. Maiwalds Vorschlag, den Hebesatz in Baierbrunn maßvoller und stufenweise zu senken, kam allerdings nicht zur Abstimmung.

Patrick Ott rechnet schon im Jahr 2026 mit Gewerbesteuereinnahmen von sechs bis acht Millionen Euro und danach mit weiteren Steigerungen. Der Bürgermeister konstatierte, dass jüngst erst zwei Unternehmen nach Grünwald respektive Pöcking abgewandert seien. Dass Grünwald immer wieder wegen mutmaßlicher Briefkastenfirmen als „Steueroase“ im Fokus der Kritik steht oder auch Pullach, wohin 2023 etwa die Bayerische Hausbau wegen steuerlicher Vorteile von München (Hebesatz: 490 Punkte!) gezogen ist, ist auch in Baierbrunn bekannt. Andererseits profitieren deren Bürger dank der daraus gewonnenen Finanzkraft auch enorm. Wie sagte Peter Tilmann (Grüne) der letztlich für eine Senkung stimmte: „Schön ist es nicht, einen auf Steueroase zu machen“. Aber auch weil jetzt beim Wort & Bild Verlag Räume frei würden, sei es der richtige Schritt und dank der guten Vorarbeit des Bürgermeisters berge „dieser wenig Risiko“.