In Baierbrunn bahnt sich ein Bürgerentscheid an, der die geplante Unterbringung von Flüchtlingen auf dem Wirthsfeld verhindern soll. Mehr als 600 Einwohnerinnen und Einwohner haben bereits ein Bürgerbegehren unterschrieben und sich damit gegen den Standort ausgesprochen, die Stimmen wurden Bürgermeister Patrick Ott (ÜWG) übergeben. In der Gemeinderatssitzung diese Woche kochte die Stimmung angesichts dessen hoch.
Baierbrunn ist, was die Unterbringung von Geflüchteten im Landkreis München betrifft, in der Pflicht. Bislang hat die kleine Gemeinde mit ihren rund 3400 Einwohnern anteilig viel zu wenige Flüchtlinge aufgenommen. Mit drei Modulhäusern, die je 24 Personen Platz bieten und für eine Laufzeit von 15 Jahren auf dem gemeindeeigenen Areal Wirthsfeld errichtet werden sollen, wäre das Soll behoben.
„Wenn das Haus zu 80 Prozent belegt ist, gilt es als voll besetzt“, sagte Ott, sprich: Es ziehen am Ende weniger als 72 Personen ein. Dem Standort haben die Gemeinderäte in einem Grundsatzbeschluss im Mai 2022 zugestimmt. Vom Landratsamt gebe es die Zusage, dass hier Familien einziehen werden, „das ist definitiv“, sagte Ott auf SZ-Anfrage. Dafür sprechen auch die Modulhäuser, die vom Platzangebot auf Familien zugeschnitten sind. Für Baierbrunn ergibt sich so ein willkommener Nebeneffekt: Die Nutzung des brachliegenden Grundstücks rechtfertigt den Bau der lang ersehnten Stichstraße zwischen der B11 und dem Gemeinde- und Sportzentrum, das direkt in Nachbarschaft zum Wirthsfeld liegt.
Genau diese Nachbarschaft einer Flüchtlingsunterkunft zu den Sportstätten, einer Kindestagesstätte und dem Vereinsleben im Bürgerzentrum sehen die Vertreter des Bürgerbegehrens, drei Privatleute, jedoch kritisch. Einer von ihnen ist der frühere Gemeinderat Hans-Peter Becker, der für die Baierbrunner und Buchenhainer Interessen Gemeinschaft (BIG) dem Gremium angehörte. Unterstützt werden die drei im Gemeinderat von Felix Maiwald (CSU) und drei SPD-Mitgliedern: Uwe Harfich, Martina Fellermeier und Tony Ley. Die vier Gemeinderatsmitglieder hatten bereits ein Ratsbegehren initiieren wollen, dies aber im Juli wegen juristischer Mängel zurückgezogen.
Sie würden das Grundstück lieber für eine Nutzung freihalten, die den Baierbrunnern zugutekommt. Und sie befürchten „soziale Konflikte“, wie in diversen Flyern, die über den Sommer hinweg in den Briefkästen der Haushalte landeten, zu lesen war. Für die Flüchtlingsunterbringung sollen alternative Standorte gefunden werden, noch besser eine dezentrale Unterbringung, verteilt auf Wohnungen im Gemeindegebiet.
Der angestrebte Bürgerentscheid machte die geplante Abstimmung über den Pachtvertrag mit dem Landratsamt für die Modulhäuser in der Gemeinderatssitzung diese Woche obsolet. Stattdessen führte der Tagesordnungspunkt zu einer hitzigen Debatte, in der sich Uwe Harfich unter lautwerdender Kritik aus dem Gremium ganze 50 Minuten Redezeit herausnahm. „Das ist nicht tragbar“, urteilte hinterher Robert Gerb von den Grünen im Gespräch mit der SZ. Die SPD-Gemeinderätin und ehemalige Bürgermeisterin Christine Kammermeier zeigte sich betrübt über die „aufgeheizte“ Stimmung. Sie kritisierte zwar ihre Parteifreunde nicht, sagte aber, sie bedauere, „dass der Bürger es dem Gemeinderat nicht abgenommen hat, dass der Standort machbar ist“. Das Wirthsfeld biete viel Platz für weitere Nutzungen, es sei hier ein Mischgebiet vorgesehen, das unter anderem Gewerbeansiedlung erlaubt.
Warum die Standortfrage noch einmal so hochkocht in Baierbrunn, obwohl es einen Grundsatzbeschluss gibt, liegt unter anderem an verwirrenden Angaben zu den Flüchtlingszahlen. Anfangs hieß es, Baierbrunn müsse mehr als hundert Plätze bereitstellen, um seinen Anteil an der dem Kreis zugewiesenen Zahl zu leisten. Dann wurde die Zahl nach unten korrigiert. In einer komplexen Tabelle des Landratsamtes von Anfang September lesen SPD-Gemeinderat Harfich und seine Mitstreiter die Zahl 40 ab. Tatsächlich sind es laut Landratsamt aber mehr, denn für 2025 ist wieder mit einer höheren Zuweisung seitens der Regierung zu rechnen.
Weil sich nach seiner Einschätzung die Zahl der unterzubringenden Flüchtlinge reduziert habe, könne man auf den Bau der Modulhäuser verzichten und sie dezentral in Baierbrunn beherbergen, so Harfich. Doch das hält selbst seine SPD-Kollegin Kammermeier für „Wunschdenken“. Auch nach Ansicht von Bürgermeister Patrick Ott ist das „unrealistisch“. „Das ist seit 2016 nicht gelungen.“ Er habe selbst bei Anbietern von Ferienwohnungen auf der Plattform Airbnb angerufen, um Wohnungen dauerhaft für Flüchtlinge anzumieten – ohne Erfolg.
Bürgermeister Ott rechnet bei einem Bürgerentscheid mit einer deutlichen Mehrheit für den Standort
Eine dezentrale Unterbringung halten Harfich und Maiwald für „sozialverträglicher“, wie sie in einem etwa zehnminütigen Video auf einem Social-Media-Kanal mehrfach betonen, dessen Inhalte Grünen-Gemeinderat Gerb als „Halbwahrheiten“ einstuft. Man wolle „weder Vorurteile noch Ängste schüren“, so Harfich zur SZ. Dennoch könne es gerade in der Nähe zu Sport- und Kindereinrichtungen zu „Missverständnissen oder kulturellen Unterschieden“ kommen. Er und die anderen drei Gemeinderatsmitglieder, die das Bürgerbegehren unterstützen, befürchteten Spannungen, wenn eine so große Anzahl an Menschen in zentralen Anlagen untergebracht werden. Derartige Bedenken wurden bereits im Mai bei einer Informationsveranstaltung der Gemeinde für Bürgerinnen und Bürger geäußert.
Für den Grünen-Gemeinderat Gerb verbirgt sich hinter allen Argumenten gegen den Standort eine andere Wahrheit: „Sie sind nur zu feige zu sagen, dass sie keine Asylsuchenden wollen.“ Die Nähe des Standorts zur Sport- und Kindertagesstätte wie auch zur S-Bahn bewertet er nämlich gerade positiv. Das fördere eine schnellere Integration der Familien. Genau das sieht auch der Bürgermeister als Vorteil des Standorts. Es sei zudem „der einzige, den wir haben“, so Ott.
Für ihn sind die von den Standortgegnern befürchteten sozialen Konflikte eine „Unterstellung“. Sie seien „von der Angst vor dem Fremden getrieben“. Ott wirft den Initiatoren des Bürgerbegehrens vor, mit „Klischeevorstellungen zu argumentieren“. Er dagegen nehme die Ängste der Bürgerinnen und Bürger ernst, deshalb habe man auch mit dem Landratsamt ausgehandelt, dass vor allem Familien in Baierbrunn untergebracht werden sollen.
Ott zufolge wird aktuell die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens von Juristen in der Gemeinde und im Landratsamt geprüft. In einer Sondersitzung am 8. Oktober werde der Gemeinderat dann über die Abhaltung eines Bürgerentscheid und einen etwaigen Termin abstimmen. Ott unterstreicht, dass die große Mehrheit des Gemeinderats sich auch in der jüngsten Sitzung weiterhin für den Standort ausgesprochen habe. So schätzt er auch die Stimmungslage unter den Baierbrunnern ein. Käme es zum Bürgerentscheid, würden seiner Prognose zufolge 70 bis 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler für den Standort stimmen.