Bahnausbau:Ausgebremste Bürgerbeteiligung

Anwohner kritisieren die Pläne der Deutschen Bahn für die Truderinger Spange und Kurve und prangern eine mangelnde Dialogbereitschaft des Konzerns an

Von Renate Winkler-Schlang

Es klingt wie ein Triumph der Bürgerbeteiligung: "Um eine gute Vergleichbarkeit zwischen der DB-Variante und dem Vorschlag der Bürger herzustellen, vertieft die Bahn die Untersuchungen", hieß es jüngst in einer Pressemeldung der Deutschen Bahn. Und: "Aus dem Vorschlag wurden von der DB Netz AG zwei mögliche Alternativvarianten entwickelt."

Diesen Satz aber interpretieren Bahn und Bürger im Münchner Stadtteil Trudering unterschiedlich: Anlieger um Peter Brück erklären, die neuen Varianten hätten wenig mit ihrem Vorschlag, Truderinger Spange und Kurve zusammenzulegen und weiter nach Westen zu rücken, zu tun. Die Bahn untersuche neue Trassen, weil sie nicht mit nur einem Vorschlag ins Planfeststellungsverfahren gehen könne. Bahn-Projektleiterin Susanne Müller aber sagt, die neuen Varianten der Truderinger Kurve - einmal im Süden der Strecke Ostbahnhof-Riem, einmal im Norden, was zwei Tunnels nötig machen würde - seien ein Kompromiss. Dieser könne im Bundesverkehrsministerium eine Chance haben. Beim Original-Vorschlag der Bürger, so Müller, sei der Kurvenradius zu eng, um auf das vorgegebene Höchsttempo von 100 Stundenkilometern zu kommen.

Die Aktivengruppe um Peter Brück, Katja Filsmeier, Peter Grotz und Stephan Rehme rund um den Karl-Breu-Weg ist enttäuscht: Die Bahn habe im Mai nach ihrer missglückten ersten Veranstaltung in Riem zugesagt, die Idee der Anlieger zu prüfen. Sie halten Müllers Argumente für vorgeschoben, haben das Vertrauen in die Bahn auch nach Gesprächen mit Verantwortlichen des Konzerns verloren. Und sie gehen nicht mehr davon aus, dass "neutral und ergebnisoffen" geprüft werde.

Als die Deutsche Bahn die Anwohner im Jahr 2018 ohne Begründung aufforderte, sich wegen Lärm- und Erschütterungsmessungen zu melden, als sie mühsam recherchiert hatten, warum diese nötig würden, und sie begriffen, was mit dem Ausbau dieses Güterverkehrsknotens auf sie zukommen werde, haben sie überlegt, ob es bessere Möglichkeiten gebe. Grund genug hatten sie: Bei den einen soll künftig die Lärmschutzwand fünf Meter vom Gartenzaun entfernt verlaufen, die anderen Anwohner würden alle sechs Minuten konfrontiert mit mehr als 700 Meter langen Güterzügen.

Vom gesunden Menschenverstand her sei ihr Plan einleuchtend und prüfenswert, glauben die Anwohner. Das haben Politiker ihnen bestätigt: Sie ernteten Wohlwollen auf allen Ebenen wie im Bezirksausschuss, wo Georg Kronawitter (CSU) auf städtischer Seite einen referatsübergreifenden Koordinator fordert und Herbert Danner (Grüne) ein Stadtratshearing. CSU-Generalsekretär Markus Blume brachte sie mit dem früheren Umweltminister Marcel Huber und Verkehrsminister Hans Reichhart zusammen, die sich im Namen der Truderinger an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer wandten. Der SPD-Landtagsabgeordnete Markus Rinderspacher reagierte ebenfalls offen. Die Bundestagsabgeordneten Claudia Tausend und Martin Burkert (SPD) und Wolfgang Stefinger (CSU) schrieben gemeinsam an den Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann. Sie alle empfahlen eine Prüfung des Bürgervorschlags.

Bahnausbau: Projektleiterin Susanne Müller verteidigt die Pläne der Bahn.

Projektleiterin Susanne Müller verteidigt die Pläne der Bahn.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Dass nun der Leiter des Gesamtprojekts, Klaus-Peter Zellmer, ihre Idee als "Strich" abtue, den sie in die Landschaft gezeichnet hätten, empfinden sie als abwertend. Dass die Bahn ihren vorgeworfen habe, sie hätten "die Büchse der Pandora" geöffnet mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit und den "Pressekrieg" begonnen, gefällt ihnen auch nicht. Sie wollen keine Demo, keine Mahnwachen, sich nicht an Gleise ketten. Sie wollen nicht einmal einen Verein gründen, auch wenn sie die Eigentümergemeinschaft ihrer Wohnanlage hinter sich wissen. Sie wollen einen Dialog, spüren aber wenig Bereitschaft auf der Gegenseite. Die Projektleiterin sagt, sie finde das schade: Natürlich könne man reden, die Bahn gehe ja auch auf die Leute zu.

Brück und seine Mitstreiter haben Bauingenieurin Müller eingeladen, sich an Ort und Stelle umzuschauen. Da könne sie miterleben, dass die Güterzüge schon jetzt an Häusern an der Xaver-Weismor-Straße so nah vorbeidonnern, dass man sich nicht vorstellen kann, wo ein zweites Gleis Platz finden soll. Sie würde die Wiese sehen, über die die Truderinger ihre Trasse legen würden, anstatt sie viel zu eng an der Pädagogischen Farm vorbei, mitten durch den für den Eisenbahnsportverein gedachten Platz und auf teuren Stelzen über die Verwahrstelle für abgeschleppte Autos zu legen. Und sie könnte in dem Reihenhausgarten an der Thomas-Hauser-Straße stehen, wo ein roter Pfosten unweit des Zauns anzeigt, wie nah die neue, alles verschattende Lärmschutzwand heranrücken würde.

Müller sagt: Die Reihenhäuser könne man vielleicht entlasten durch die Verlegung eines Abstellgleises. Der zweigleisige Ausbau der Spange aber sei vorstellbar, denn dort habe vor vielen Jahren ein zweites Gleis gelegen. Der Radius des Bürgervorschlags sei viel zu eng: "Wenn man da nur 30 fahren kann - damit brauch' ich dem Eisenbahnbundesamt nicht zu kommen." Man benötige Geschwindigkeit für Kapazität und für energieeffizientes Fahren. Auch an anderen Bahnabschnitten gen Brenner wohnten viele Menschen. Der Verkehrswegeplan sei "eigentlich ein Gesetz", demokratisch zustande gekommen, sagt sie.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: