Süddeutsche Zeitung

Aying:Unter die Haut

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Ayinger Gmoa Kultur zeigt "Abschuss"

Von Udo Watter, Aying

Wenn in der oberbayerischen Provinz die Leute statt "Grüß Gott" zu sagen die Hand zum Hitlergruß heben und neben dem Kruzifix in der Wirtsstube das Bild des Gröfaz hängt, dann ist selbst das Klischee der Idylle schon kontaminiert. Die Omnipräsenz eines braunen Führerkults und seiner Nazipartei macht im neuen Theaterstück der Ayinger Gmoa Kultur "Abschuss" auch nicht vor dem flachen, katholischen Land Halt. Warum auch? Natürlich gab es in der Zeit des "Dritten Reiches" auch hier überzeugte Nazis, Opportunisten und Mitläufer, Widerstand und Anstand waren eher die Ausnahme, die Moral ist in solchen Zeiten ohnehin ein kompliziertes und diffuses Feld, unbefleckt bleibt wohl keiner.

Regisseur Marcus Everding hat "Abschuss - Wilderer und Bauernopfer" geschrieben, sein Stück ist, wie so oft, inspiriert vom historischen Findergeist Michl Wöllingers, dem langjährigen Vorsitzender der Ayinger Gmoa Kultur. Eine von Wöllinger entdeckte Zeitungsnotiz, in der davon die Rede ist, dass vor 80 Jahren in der Gegend drei junge Wilderer verhaftet wurden, war die Quelle für das Drama, das am Donnerstag im Theater im Sixthof uraufgeführt wurde. Alex Brunner (Mitte) spielt eine der Hauptfiguren, er ist der Wirtssohn, der beim Wildern erwischt respektive verraten wird. Er wird zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, ist nun vorbestraft. Und dem Reichserbhofgesetz von 1933 zufolge nicht mehr erbberechtigt. Um seine Ehre wieder herzustellen, soll er zu einer Einheit der Waffen-SS, eigens für Wilderer gegründet - der Vorschlag eines Obersturmbannführers, der selbst ein Auge auf die Verlobte des Wilderes geworfen hat. In Everdings Drama geht es um Liebe, Verrat, Politik, Religion und die Komplexität familiärer Beziehungen. Der Regisseur will zeigen, nicht verurteilen.

Es ist ein Stück, das unter die Haut geht. Packend inszeniert, mit Stilmitteln wie arrangierten Standbildern, mit eindruckvollen Requisiten und auf unterschiedlichen zeitlichen Ebenen spielend: Die Handlung nimmt ihren Lauf 1940, springt dann in eine Tribunalszene im Mai 1945 und später in die Wirtschaftswunderzeit. Wirklichkeit und Imagination vermischen sich. Zwei wichtige Rollen sind "Der Dachauer", ein ehemaliger KZ-Häftling (Hubert Deflorin) und eine polnische Zwangsarbeiterin (Luzia Schwarzer), die auf ihre Art den Plot begleiten: Im Bild sitzen sie flankierend um den Wilderer, der seinen Arm zum Hitlergruß hebt.

"Abschuss" ist bereits die zehnte Uraufführung der Ayinger Gmoa Kultur, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Geschichten aus der lokalen Geschichte lebendig werden zu lassen. Weitere Vorstellungen sind am 17., 18., 23., 24., 25., 29., 30. und 31. Oktober, Karten zu 20 Euro giunter 0700/25 25 00 25 oder Karten@ayinger-gmoa-kultur.de.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2020
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