Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Tatort Region, Folge 21:Wer hat den Berndlbauern erschlagen?

Ein Marterl in Aying erinnert an den grausamen Tod des Landwirtes Georg Schneider im Jahr 1824. In der Inschrift wird als Motiv Rache angegeben. Der Hobbyforscher Georg Kirner hat eine andere Theorie.

Von Michael Morosow

Die Kunde von der Mordtat muss die Menschen in Aying geradezu elektrisiert haben. Ausgestreckt mitten auf dem Weg war der Tote gefunden worden, mit eingeschlagenem Schädel, in einer großen Blutlache liegend. Es kann gar nicht anders gewesen sein, als dass dieser Kriminalfall über Tage die Gesprächsrunden beherrschte. "Der Berndlbauer is derschlagen worden", werden sich die Leute zugeraunt haben von Hof zu Hof in Aying und Umgebung.

Der Kriminalfall war sicher auch in den Wirtshäusern vorherrschendes Thema, zumal offenbar einige zu wissen glaubten, wer der verruchte Mörder war und dass ihn Rachegelüste zur Tat getrieben haben.

So schrieb man es auch auf ein Marterl, das bald nach dem Drama neben dem Tatort am Mühlenweg an der Einmündung zur Peißer Straße aufgestellt wurde: "Hier gab seinen Geist auf der ehrbare Georg Schneider Berndlbauer allhier, er wurde an diesem Orte aus Rache seines Feindes erschlagen. 17.5.1824."

Bildlich dargestellt ist das auf dem Weg liegende Opfer und, hinter einer Baumgruppe, der Ayinger Kirchturm und im oberen Teil Maria mit dem Kind. Wer war der Mörder? Wurde er gefasst und verurteilt? Wie waren die genauen Umstände des Verbrechens? Beinahe 200 Jahre danach weiß man im Ort um keine Silbe mehr, als auf dem Marterl steht, oder, wie Bürgermeister Johann Eichler sagt: "Gar nix."

Es war die Zeit, da Maximilian I. Joseph als König Bayern regierte, es weder elektrisches Licht noch Telefon gab und auch nicht Eisenbahn oder Motorvehikel, sodass Passagiere und Gerüchte im Postkutschentempo befördert wurden. Die mündlichen Überlieferungen zum Mord haben die vielen Generationen bis heute nicht überdauert.

Auch im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, zuständig unter anderem für die Schriftstücke der Gerichte des Königreiches und Freistaats Bayern, lässt sich kein Hinweis auf den Mord an Georg Schneider finden, wie man auch bei einer Suche in der Staatsbibliothek München leer ausgeht; keine noch so kleine Notiz darüber in einer der Zeitungen, die im frühen 19. Jahrhundert in München und seinem Umland erschienen waren.

Fast könnte man glauben, der Mord habe nie stattgefunden, wenn sich im Archiv des Erzbistums München und Freising nicht doch ein Beweis finden ließe. Archivar Roland Götz, Vizekanzler des Erzbistums, hat sich auf die Suche begeben und ist fündig geworden, und zwar im Taufbuch der Pfarrei Aying für die Jahre 1803 bis 1851, denn der Berndlbauer wurde freilich auch beerdigt.

So steht geschrieben: "Name: Georg Schneider; Stand: Bauer, kath. Relig.; Wohnung: königlich bayerisches Landgericht, Miesbach, zu Aying Nro. 43, zum Perndl; Familienstand: verheurathet; Todesursache: erschlagen worden von Jemand; beschaut von Wundarzt Insinger zu Kleinhelfendorf; Tod: den 17ten May 1824 um 1 Uhr; Beerdigung: den 19ten May zu Aying; Alter: im 45sten Jahr seines Alters; beerdigender Geistlicher: Philipp Eyerschmalz, pro. tempore. Pfarrvikar." In anderer Schrift steht noch geschrieben: "Wurde durch eine grausame Mordthat getödtet."

Diese Aufzeichnungen mögen wohl dem Mordopfer im Nachhinein ein wenig mehr Gesicht geben, aber Erhellendes zu Tat und Täter beinhalten sie nicht. Vor allem stützen sie nicht die seit 195 Jahren vertretene Theorie, der Berndlbauer sei aus Rache erschlagen worden. Eine Annahme, die Georg Kirner schlichtweg als falsch bezeichnet. Der 82-jährige, heute in Baldham lebende Autor, Abenteurer und Weltenbummler, ist sich sicher, dass Georg Schneider Opfer eines Raubüberfalles geworden ist.

Die Geschichte von einem Racheakt sei verbreitet worden, weil sich einige Bauern an eine Streiterei in einem Wirtshaus erinnert hätten. Der Berndlbauer habe beim Handel einen anderen über den Tisch gezogen und dieser andere habe ihm vor versammelter Runde gedroht: "Dich derwisch ich schon noch einmal, dann derschlag ich dich - du weißt schon warum."

Georg Kirner hat fast 200 Länder bereist, erreichte als erster Bayer zu Fuß den Südpol, wohnte als Mönch am Hof des Dalai Lama und überlebte drei Flugzeugabstürze. Er hat gewiss vieles zu erzählen, was ihn aber zuletzt besonders beschäftigte, war das Marterl, seine Inschrift und seine feste Überzeugung, dass sie falsch sein muss. Der gebürtige Ayinger wuchs einen Steinwurf davon entfernt auf. Über das Marterl und seine Geschichte habe er erstmals als Bub in den Fünfzigerjahren vom damaligen Dorfpolizisten Josef Beyer erzählt bekommen. Der Gendarm habe in alten Polizeiunterlagen geforscht und seine Erkenntnisse in einem Schulheft niedergeschrieben.

Die Sache habe ihn selbst nicht losgelassen, sodass er Jahrzehnte später selbst zu recherchieren begann und vom ehemaligen Ayinger Postboten Joseph Strauß weitere interessante Details erfahren habe. So also erzählt Georg Kirner von dem Mordfall, wie er sich seiner Überzeugung nach wirklich zugetragen hat. Man muss ihm glauben und damit auch dem Postboten und dem Polizisten, denn Beweise kann er keine vorlegen, auch das Schulheft existiert nicht mehr. Die Geschichte aber klingt durchaus schlüssig.

Am 16. Mai 1824, der ein Sonntag war, hat der Berndlbauer demnach drei Ochsen zum Viehmarkt zu Fuß über die Kreuzstraße und Föching zum Viehmarkt nach Holzkirchen getrieben, in seinem Gefolge der Knecht vom Sterznhof in Peiß mit zwei Ochsen und zwei weitere Knechte mit je einem Ochsen. "Der Termin würde passen", bestätigt der Holzkirchner Archivar Johannes Widmann. Seit 1492 werde im Mai der Holzkirchner Grasmarkt abgehalten, der sich nach dem Osterfest ausrichte, heuer etwa habe er am 21. Mai stattgefunden.

Ein gut gebauter Ochse brachte zur damaligen Zeit seinem Besitzer bis zu 30 Gulden ein, und der Berndlbauer, erfahren und geschickt im Verhandeln, hat sie alle an den Mann gebracht und viel Geld eingesackt - was Diebesgesindel nicht verborgen blieb. Nachts auf dem Rückweg, kurz vor dem Ortseingang, die Knechte hatten sich bereits in andere Richtungen verabschiedet, war es dann so weit. Georg Kirner hat recherchiert, dass 1824 an jener Kreuzung eine Kiesgrube entstanden ist, umgeben von Büschen. Daraus hervor sprangen drei Banditen, schlugen den Berndlbauer tot und machten sich unerkannt davon.

Dass diese Version der Wahrheit entspricht, dafür könnte wohl der ehemalige Postbote Joseph Strauß bürgen, wenn er denn noch lebte. Vor seinem Tod habe er ihm berichtet, dass er von einem weiteren Überfall im Jahr 1829 wisse, berichtet Georg Kirner. An einer anderen Kreuzung bei Aying habe demnach eine Räuberbande versucht, ein Fuhrwerk zu überfallen.

Einer der Wegelagerer habe sich dabei ein Bein gebrochen, woraufhin die anderen geflüchtet seien. Sepp Inerthaler, der Verletzte, sei im Gefängnis gelandet, wo er auch den Raubüberfall von 1824 gestanden habe. Sie hätten den Berndlbauer nicht töten wollen, soll er zu Protokoll gegeben haben. Aber der Mann habe sich so heftig gewehrt, dass ihm einer seiner Kumpane den tödlichen Schlag versetzt habe.

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SZ vom 22.08.2019/wkr
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