Aying:Herdenimmunität

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Im Bergtierpark Blindham drängen sich in den Ferien normalerweise Familien zu Hunderten durch die Gehege. Jetzt herrscht Stille. Von den Wildtieren werden die Besucher nicht vermisst. Und Betreiber Josef Sedlmair hat auch so genug zu tun

Von Anna-Maria Salmen, Aying

Die Bedingungen über Ostern waren geradezu optimal: Von morgens bis abends schien die Sonne vom Himmel, die Temperaturen stiegen sogar auf mehr als 20 Grad. Ideales Wetter für einen Ausflug ins Freie. Der Bergtierpark Blindham ist für viele ein beliebtes Ziel, gerade während der Schulferien herrscht hier Hochsaison. Doch vor den Kassen bilden sich momentan keine Menschenschlangen. Die Tische und Bänke am Kiosk sind leer, niemand genießt den Blick auf die Alpen. Auf den Spielplätzen warten Rutschen und Klettergerüste vergeblich auf herumtobende Kinder. "Normalerweise wäre hier alles voll", sagt Betreiber Josef Sedlmair.

Seit rund vier Wochen ist der Bergtierpark nun aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen - so etwas habe es seit der Eröffnung im Jahr 2004 noch nie gegeben, sagt Sedlmair. "Am Anfang habe ich Angst gehabt, dass wir vielleicht irgendwann aus persönlichen Gründen oder wegen einer Tierseuche zusperren müssen. Aber dass uns eine weltweite Pandemie zum Schließen zwingt . . ." Der 44-Jährige lässt den Satz unvollendet und lacht. Damit hat noch vor wenigen Monaten wohl niemand gerechnet.

Für Sedlmair war bereits vor der offiziellen Verkündung der Ausgangsbeschränkungen klar, dass eine Schließung nicht zu vermeiden ist. "Ich habe mir gesagt: 2020 musst du jetzt einfach überbrücken. Wir werden den Ausfall aushocken und fertig." Im Januar und im Februar seien immerhin viele Besucher gekommen, dadurch habe man sich "einen Vorsprung herausarbeiten können". Zudem seien die vergangenen Jahre erfolgreich gewesen und dadurch Rücklagen übrig geblieben.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Unter allen Wipfeln ist Ruh': Im Augenblick gibt es keine Besucher, welche das Damwild am Waldrand von Blindham stören könnten.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Wie leergefegt ist der Spielplatz des Bergtierparks in Blindham. Betreiber Josef Sedlmair nutzt die Zeit, um ein Spielgerüst fertig zu bauen.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Die Tiere müssen sich erst noch daran gewöhnen, dass die Extra-Futterrationen nicht mehr über den Zaun gereicht werden.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Sie können sich ungestört von Zuschauern in ihren Gehegen bewegen.

Beschweren will sich der Parkbetreiber daher nicht, zumal er die Ausgangsbeschränkungen für richtig hält. Wäre der Park weiterhin geöffnet, hätten die Mitarbeiter schließlich bei großem Besucherandrang auch ein höheres Risiko, sich anzustecken. "Wir sind ein kleiner Betrieb, da würde jeder Ausfall weh tun", so Sedlmair. Die Personalstärke schwanke von Saison zu Saison, neben drei Festangestellten seien meist zwischen acht und zehn Kräfte auf 450-Euro-Basis beschäftigt, zusätzlich arbeitet die gesamte Familie Sedlmair mit.

Auch wenn im Park derzeit Stille herrscht, der Chef braucht einen großen Teil seines Personals dennoch: "Wir haben genug zu tun." Wege erneuern, Zäune reparieren, Schilder ausbessern - das Team erledigt derzeit viele Arbeiten, die bei normalem Betrieb schwer zu bewältigen wären. "Wir müssen nichts absperren, können laut sein und stören niemanden", sagt Sedlmair. Tätigkeiten, für die man normalerweise zwei bis drei Tage brauche, könne man so an einem einzigen Tag schaffen.

Für eine private Führung durch den menschenleeren Park hat der Betreiber ebenfalls Zeit - selbstredend mit ausreichend Abstand. "Ich glaube, die Tiere sind noch nicht scheu geworden", meint Sedlmair. Schon nach wenigen Metern sieht er sich bestätigt: Eine Schar Hühner drängt sich gackernd an den Zaun, hofft auf Futter. Das Streichelgehege daneben ist momentan leer: Die Ziegen und Schafe, die hier leben, sind im Stall untergebracht. Aus gutem Grund, wie Sedlmair erläutert. "So können sich die Flächen, die sonst stark beansprucht werden, erholen."

Auch dem Schlammbad der Schweinchen schaut niemand zu. (Foto: Angelika Bardehle)

Die Pferde, die in ihrem Gehege Heu fressen, heben den Kopf. Sie betrachten die Besucher zunächst neugierig, widmen sich dann wieder unbeeindruckt der Nahrungsaufnahme. An der Versorgung der Tiere hat sich im Vergleich zum Winter noch nicht viel geändert, erzählt Sedlmair. "Wir müssen momentan noch viel dazu füttern. Wenn das Gras wächst, wird es weniger." Rund 250 Tiere leben nach Aussage des Betreibers im Park - unter anderem verschiedene Wildarten, Lamas, Frettchen und Vögel. "Wir haben keine Raubtiere, die man jeden Tag mit viel Fleisch füttern müsste. Unsere Tiere lassen sich mit günstigen Mitteln optimal versorgen."

Der Kiesweg führt in einen kleinen Wald, vorbei an einem hölzernen Klettergerüst. Schon seit Längerem baut Sedlmair daran, nun ist es fast fertig. In den kommenden Tagen hat er Zeit, es zu vollenden. Im Schatten der Bäume wird es schlagartig kühler. Einzig das Vogelgezwitscher durchbricht die Stille. So ein Spaziergang durch einen leeren, ruhigen Park hätte schon etwas, scherzt Sedlmair. "Aber ich bin eher jemand, der die Action mag." Auf einer kleinen Lichtung taucht eine Voliere auf, Sedlmair öffnet die Tür und betritt den geräumigen Käfig. Sofort wird das Gurren der Tauben lauter. Ein Pfau schreitet langsam aus einem Häuschen in die Sonne, das blaue Federkleid schimmert im Licht. Unvermittelt flattert eine Taube auf. Futter hat Sedlmair an diesem Tag jedoch nicht mitgebracht, und so verliert der Vogel schnell das Interesse.

Der Höhepunkt des Parkbesuchs ist für viele Gäste das begehbare Wildgehege. Mit etwas Abstand zum Tor lauert eine Herde Mufflons. "Wenn die mich jetzt sehen, werden sie sofort losstürmen", sagt Sedlmair. Tatsächlich: Wie auf ein Stichwort rasen die Tiere los, unter ihnen auch einige Neugeborene, erst wenige Tage alt. In sicherer Entfernung bleibt die Herde schließlich stehen. Auch eine Gruppe Damwild blickt neugierig in Richtung der vorbeigehenden Besucher. "Die haben jetzt alle nur darauf gewartet, dass wir etwas zu fressen bringen", sagt Sedlmair. Am Eingang des Parks können die Besucher kleine Tüten mit Futter kaufen. Der Betreiber weiß: "Die Tiere kennen das schon. Wenn wir solche Tüten dabei hätten, wären wir sofort umringt."

Zurück auf der Terrasse am Kiosk blickt Sedlmair über das Gelände seines Parks - und schaut optimistisch in die Zukunft. Er erinnert sich an die Gründung vor mehr als 15 Jahren: Sedlmair musste viel investieren und ebenfalls eine umsatzlose Zeit überbrücken, bevor er schließlich öffnen konnte. "Ich denke mir: Warum sollten wir das nicht wieder schaffen?" Das Motto des gesamten Teams lautet momentan: Aussitzen, abwarten, hoffen. "Wenn es danach wieder einigermaßen normal weitergeht, passt es schon."

© SZ vom 15.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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