Autobahnring A 99:Mutprobe hinter dem Lenkrad

Autobahnring A 99: Jetzt nur nicht bremsen und abbiegen müssen: Wer auf der A99 zwischen Brunnthal und Aschheim ein Schlupfloch zwischen den Lastwagen sucht, braucht Glück - und Nerven.

Jetzt nur nicht bremsen und abbiegen müssen: Wer auf der A99 zwischen Brunnthal und Aschheim ein Schlupfloch zwischen den Lastwagen sucht, braucht Glück - und Nerven.

(Foto: Claus Schunk)

Wegen der Dauerbaustelle auf dem Autobahnring Ost und des Überholverbots für Lkw stauen sich die Lastwagen auf der rechten Fahrspur oft von Aschheim bis zum Kreuz Süd. Für Autofahrer wird das Abbiegen und Einfädeln an den Auffahrten dadurch zum Nervenkitzel.

Von Martin Mühlfenzl, Ismaning

In ihrer Richtung fließt der Verkehr ausnahmsweise auf allen drei Fahrspuren. Pause muss trotzdem sein auf dem langen Weg nach Süden. Feste Ruhezeiten sind vorgeschrieben, wenn man 20 Tonnen und mehr quer durch Europa fährt. Stunden zuvor sind die beiden rumänischen Trucker in Nordrhein-Westfalen aufgebrochen, jetzt machen sie mit ihrem Lastwagen an der A 99 Halt, am Rasthof Vaterstetten-West.

Auf dem Parkplatz reiht sich an diesem Nachmittag Sattelzug an Sattelzug. Es herrscht Hochbetrieb. In der Gegenrichtung stehen die Lastwagen auch. Allerdings auf der rechten Spur. Stoßstange an Stoßstange. Die Kollegen dort haben es weniger entspannt. "Kann man nichts machen", sagt der Mann am Lenkrad aus Erfahrung. "Muss man locker bleiben."

Das ist auch das Einzige, was den Männern der Fernstraße auf dem Autobahn-Ostring seit Monaten übrig bleibt. "In Geduld üben und gelassen bleiben", rät auch Klaus Bogenberger, Professor für Verkehrstechnik an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Die A 99 zwischen dem Kreuz Nord nördlich von Unterföhring und dem Kreuz-Süd bei Brunnthal sei eben keine normale Autobahn, so der Experte. Der Autobahnabschnitt ist einer der am stärksten befahrenen in ganz Europa, mit mehr als 160 000 Fahrzeugen am Tag, darunter mehr als 30 000 Lkw.

Das führt schon in baustellenfreien Zeiten regelmäßig zu Staus. Seit Beginn der Bauarbeiten für den achtspurigen Ausbau zwischen dem Kreuz München-Nord und der Anschlussstelle Aschheim/Ismaning erst recht. Und dieser Tage besonders, da die gelbe Baustellenmarkierung nachgebessert werden muss. Deshalb wird die Autobahn außerhalb des Berufsverkehrs auf nur eine Fahrspur verengt. Wer nicht erleben möchte, welche Folgen das hat, sollte den Ostring Montag und Dienstag zwischen 9.30 und 15.30 Uhr meiden.

Aber auch so kommt der Lkw-Verkehr vor allem in nördlicher Richtung seit Wochen nur noch im Schritttempo voran - oder gleich ganz zum Stehen. Das liegt auch an dem Überholverbot für Lastwagen, das aus Sicherheitsgründen verhängt wurde und damit der Verkehr auf den anderen Fahrstreifen besser fließt. Die Folge allerdings: Die rechte Spur ist dann eine einzige Lastwagen-Schlange, die teilweise schon auf der A 8 an der Anschlussstelle Hofoldinger Forst beginnt und die von dort übers Südkreuz bei Brunnthal, Hohenbrunn und Haar bis zum Kreuz Nord kein Ende finden will.

Autobahnring A 99: Wegen der zunehmenden Zahl an Lkw wurde bereits die Rastanlage Vaterstetten erweitert.

Wegen der zunehmenden Zahl an Lkw wurde bereits die Rastanlage Vaterstetten erweitert.

(Foto: Claus Schunk)

Erstaunlich ist, zu welchen teils ungewöhnlichen Tages- und Nachtzeiten sich der Verkehr vor allem auf der rechten Spur staut - für den normalen Verkehrsteilnehmer oft völlig unvorhersehbar. An manchen Abenden stehen die Lastwagen schon auf der Höhe Brunnthal komplett im Stau. "Wenn die Österreicher zum Beispiel die Blockabfertigung in Kufstein aufmachen, das kann auch um 20 Uhr sein, dann kommt wieder ein großer Schwung rein", weiß Richard Kutscherauer, Dienststellenleiter der Autobahnpolizei in Hohenbrunn aus Erfahrung.

Autofahrer haben es dann schwer, überhaupt auf die Ostumfahrung einzufädeln oder an einer der Ausfahrten den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, um die Autobahn verlassen zu können. Da ist dann eine gehörige Portion Mut oder Verzweiflung gefragt, um auf der mittleren Spur von 100 oder 80 auf Schrittgeschwindigkeit abzubremsen, damit man sich nach rechts zwischen den stehenden Lastwagen durchschlängeln kann - in der Hoffnung, dass von hinten niemand auffährt. Kaum weniger lebensmüde ist es, zwischen den Lastwagen aus dem Stand nach links einzufädeln.

Baustelle A99 zwischen Kreuz München Nord und Aschheim, 2019

Vom Autobahnkreuz München-Nord bis Aschheim/Ismaning wird die A99 auf acht Spuren verbreitert.

(Foto: Florian Peljak)

Ein Autofahrer berichtet der SZ, dass er immer wieder auf seinem morgendlichen Weg zur Arbeit am Autobahnkreuz Ost nicht Richtung München abbiegen kann. Er fährt dann bis zur nächsten Ausfahrt, um es dann von der Gegenrichtung zu versuchen. Es ist eher ein Wunder, dass dadurch bisher noch keine schlimmen Unfälle passierten. Dafür fahren immer wieder Lastwagen auf der rechten Spur ineinander, wenn wieder einmal ein übermüdeter Trucker das Stauende zu spät bemerkt hat. Vor ein paar Monaten krachte es auf diese Weise innerhalb von zwei Woche sechs Mal. Die Folge waren stundenlange Staus, die Auswirkungen auf das ganze umliegende Straßennetz hatten.

Die Zahl der Unfälle auf diesem Autobahnabschnitt ist deutlich höher als anderswo. Voriges Jahr sind die Beamten der Autobahnpolizei Hohenbrunn, deren Zuständigkeitsbereich die A 94 und den überwiegenden Teil der Ostumfahrung der A 99 umfasst, mehr als 1500 Mal ausgerückt. Das sind mehr als vier Einsätze am Tag - ein absoluter Rekord, wie Dienststellenleiter Richard Kutscherauer sagt. Er kennt die Ostumfahrung gut. Nicht aus seinem Beruf. Wenn er abends nach Hause fährt, kommt er auch an der Lkw-Karawane vorbei.

Straßenprojekte im Großraum

Mit Blick auf 2020 dürfte manch Pendler angesichts der Voraussage von Josef Seebacher, Pressesprecher der Autobahndirektion Südbayern, vorübergehend aufatmen: Stand jetzt wird nach der Vollendung des ersten Bauabschnitts des achtspurigen Ausbaus der A 99 vom Kreuz Nord bis Aschheim/Ismaning frühestens im Jahr 2021 weitergebaut. Im kommenden Jahr, sagt Seebacher, seien nur vorbereitende Maßnahmen und Ausbesserungen auf dem Abschnitt zwischen Aschheim und Kirchheim zu erwarten. Doch es starten in diesem Jahr rund um München für den Landkreis weitere wichtige Infrastrukturprojekte oder werden geplant, bereits laufenden werden zudem intensiv weitergeführt oder vollendet. Eine Auswahl.

A 94: Bis Ende des Jahres sollen die Arbeiten am Autobahnkreuz Ost der A 99 mit der Passauer Autobahn abgeschlossen sein; die A 94 wird dabei auf sechs Spuren erweitert.

A 92: Auf sechs Spuren soll die A 92 zwischen dem Autobahndreieck Feldmoching und dem Autobahnkreuz Neufahrn ausgebaut werden, der Planfeststellungsbeschluss läuft, die Bauvorbereitungen laufen ebenfalls. Im Jahr 2012 soll der Ausbau inklusive der Erweiterung der Anschlussstellen Ober- und Unterschleißheim beginnen.

B 471: In Kürze beginnt die Planung für den etwa 2,2 Kilometer langen und zehn Millionen teuren Ausbau der B 471 westlich der A 92 bei Oberschleißheim.

Föhringer Ring: Eines der wichtigsten Projekte für die Stadt und den Landkreis ist zweifelsohne der vierspurige Ausbau des Föhringer Rings, der bereits läuft und im Jahr 2025 abgeschlossen sein soll. Die Kosten belaufen sich auf nahezu 50 Millionen Euro. müh

"Mit dem Auto geht es im Bereich der Baustelle konstant mit 50, 60 Stundenkilometer durch", sagt er. Schwierig werde es oft erst kurz vor der Anschlussstelle Aschheim/Ismaning. "Das Problem sind die Lkw auf der rechten Spur. Wenn einer überholt und kurz vor der Baustelle nach rechts einscheren muss, dann bremst er ab und hinter ihm bremsen auch alle", weiß der Polizist. "Und der 24. im Auto legt dann eine Vollbremsung hin. Dann steht plötzlich alles - und es braucht Zeit, bis so ein Lkw wieder anfährt."

Das erschwert auch die Arbeit von Autobahnpolizei und Rettungskräften, wenn sich gebraucht werden, etwa weil es mal wieder einen Unfall gegeben hat. "Wir haben uns schon Szenarien überlegt, wie wir schnell zu den Einsatzorten kommen", sagt Polizeichef Kutscherauer, also über andere Straßen, wenn auf dem Autobahnring alles steht. Aber das sei nicht einfach, weil das "Straßenumfeld" um die A 99 ja nicht weniger belastet sei.

In diesem Herbst wird der erste Abschnitt des achtspurigen Ausbaus zwischen dem Kreuz Nord und Aschheim/Ismaning fertig. "Dann wird es wieder flüssiger", verspricht Josef Seebacher, Pressesprecher der Autobahndirektion Südbayern, die das Projekt verantwortet. Er erhofft sich auch, dass die dann mögliche temporäre Freigabe der Seitenstreifen auf zehn Spuren den Verkehr weiter beschleunigt.

Klar sei aber auch, sagt Seebacher, dass der Verkehr nicht weniger werden wird und die momentanen Probleme - die kilometerlangen Lkw-Staus, die Schwierigkeiten der Autofahrer, eine Lücke beim Einfädeln zu finden, und die steigende Zahl der Unfälle - eine grundsätzliche Entwicklung widerspiegeln: "Der Verkehr nimmt allgemein zu, wegen des wirtschaftlichen Erfolgs der Region. Die großen Firmen suchen alle Standorte vor allem rund um das Kreuz Ost." Die Möglichkeiten der Autobahndirektion und deren Planer, dem immer weiter wachsenden Verkehrsaufkommen Herr zu werden, sind laut Seebacher allerdings begrenzt.

Das Nadelöhr wird also weiter eines bleiben. Wie aber könnte wenigstens das gefahrlose Einfädeln gewährleistet werden? Verkehrsexperte Klaus Bogenberger denkt an einen komplett vernetzten Verkehr, an elektronisch gekoppelte Lkw-Züge, die noch dazu den Verteil hätten, dass sie im Windschatten fahrend weniger Sprit verbrauchen. Die Software würde das Auto beim Einfahren auf die Autobahn bei den Lastwagen anmelden, worauf sich auf der rechten Spur eine Lücke öffnen und das Fahrzeug problemlos einfädeln würde. Alles nur Zukunftsmusik? "Das geht natürlich nur, wenn alle Autos über Wlan verfügen", sagt Bogenberger. "Und wenn der Verkehr steht, funktioniert es natürlich nicht."

Es gibt auch noch andere Alternativen: die sogenannte Zuflussdossierung, auch "Ramp Metering" genannt. Autos starten von einer Rampe aus, wenn sich eine Lücke in der Kolonne auftut, und driften in den fließenden Verkehr, gesteuert per elektronischem Signal. Funktioniert auf einer Trasse wie der A 99 derzeit aber auch nur bedingt.

Was sind sonst die Alternativen? "Man muss sich in solchen Situationen in Geduld üben, nicht drängeln", sagt Verkehrsexperte Bogenberger. "Wer aggressiv fährt, verursacht selbst Unfälle." Also: "Harmonisch fahren." Oder eben: locker bleiben.

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