Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Sofa und Fahrradkette

Was alles zur Kunst werden kann: Die Jahresausstellung des "Künstlerkreises Münchner Süden" zeigt eine beachtliche Vielfalt

Von Udo Watter, Pullach

Klassische Couch-Potatoes waren unter den Kunstliebhabern, die am Donnerstagabend durch das Foyer des Pullacher Bürgerhaus streiften, eher nicht. Zumindest, wenn man das Klischee heranzieht, dass die mit diesem Attribut bedachten Menschen ungepflegt seien und dank regelmäßigen Junkfood-Konsums sich ein Übergewicht angefuttert hätten. Man darf konstatieren: die Besucher, die sich zur Eröffnung der Jahresausstellung des "Künstlerkreises Münchner Süden" eingefunden hatten, gaben ein dem Anlass angemessenes Erscheinungsbild ab.

Wer freilich Lust gehabt hätte, sich mal kurz auf eine Couch zu pflanzen, der hätte theoretisch dazu Gelegenheit gehabt: Georg Steidinger, einer von 25 ausstellenden Künstlern, hat ein verschlissenes Vintage-Ledersofa in eine Ecke platziert; und auf diesem liegen zwei Kissen mit britischer Flagge sowie eine Lederjacke. Es wird eingerahmt von Stellwänden, auf denen mit schwarzen Ölfarben gestaltete Plattenhüllen sowie Ausschnitte aus Mode-Anzeigen platziert sind; daneben ist eine E-Gitarre gelehnt - eine multimediale Rauminstallation, die Indie-Songs der Achtziger zitiert.

Medienkünstler Steidinger remixt quasi Versatzstücke der Popkultur. Songtitel wie "Love is a stranger" oder "When will I be famous" oder der Kissenbezug "Keep calm and carry on" sollen, nachdem man sie gelesen hat, als "Fragmente im Kopf weiterarbeiten", wie Steidinger sagt. Der Name der nostalgie-inspirierten Installation ist zentral mit weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund geschrieben: "Hang the DJ" und geht auf einen The Smiths-Song zurück. Eine Arbeit, die Zeit und Lebensgefühl der Achtziger zurückbringen soll.

Deutlich weniger Raum nimmt das Objekt "Hätte, hätte Fahrradkette" von Daniel Castiglione ein oder sein "Torso", der einen formschönen Frauenhintern zeigt. Man muss näher hingehen, um die Raffinesse der Gestaltung zu erkennen: beide Arbeiten sind aus Fahrradkettengliedern geschweißt. Schrott, der gleichsam zu Schönheit wird.

Neben spannenden skulpturalen Arbeiten - interessant sind etwa auch die Keramiken von Uta Seidel oder die elektronischen Vintage-Objekte Johannes' von Peckenzell - gibt es in Pullach die ganze Vielfalt der Genres zu sehen: Gabriele Rodler, die Leiterin der Gruppe, hat zwei Bilder in der Ausstellung hängen: "Frühlingsanfang" und "Ein Sommertag". In ihren Landschaften, die neben realistischen auch abstrakte Elemente atmen, fließen warm leuchtende Farben zu stimmungsvollen Kompositionen. "Ich werde immer geschimpft, dass meine Bilder zu düster sind, jetzt habe ich andere Stimmungen ausgedrückt", erklärt die Malerin schmunzelnd ihren Wechsel zu wärmeren Farbwelten. In der Tat laden ihre beiden Bilder die Augen zum Verweilen ein, zum Eintauchen in eine leise poetische Atmosphäre.

Blickfänger anderer Natur sind die Fotoarbeiten von Bernd Sannwald. Er gewinnt seinen urbanen architektonischen Motiven einen neuen ästhetischen Wert ab, indem er mit Vergrößerung, Perspektive und Beschnitt spielt, indem er die Fotografien mittels digitaler Technik axial spiegelt und neu kombiniert. Der Betrachter wird in seiner Wahrnehmung irritiert, die Entfremdung des Motivs von der Wirklichkeit bekommt eine Qualität, die an Szenen aus dem Science-Fiction-Film "Inception" erinnert, wo die Protagonisten einfach mal die Stadt Paris zusammenklappen.

Eine Ausstellung mit so vielen Teilnehmern ist natürlich nicht nur durch Vielfalt bestimmt, sondern auch durch die unterschiedliche Qualität der Arbeiten. Man könnte jetzt noch die Tuschezeichnungen von Kiki Kleist von Bröckel erwähnen, die originellen Arbeiten von Evelyn Heinsdorf, die in "Connected" eine Art wollenes Spinnennetz, das rosenartig anmutet, geschaffen hat, und etliche mehr. Generell lässt sich aber unterstreichen, was die Leiterin des Bürgerhauses Hannah Stegmayer bei ihrer Begrüßung sagte, dass nämlich im Künstlerkreis Münchner Süden eine spannende Mischung aus professionellen Künstlern und Autodidakten zusammengefunden habe. Und allen Werken eignet - jedem auf seine Weise - das, was Pullachs Kulturreferent Holger Ptacek in seiner Einführung unter anderem als Wesen des Kunstwerks ausmachte: zu wirken.

Die Ausstellung dauert bis zum Freitag, 19. Oktober, die Finissage mit Vergabe des Publikumspreises ist von 18 bis 20 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2018
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