Ausstellung in Ottobrunn:Schmerz der Finsternis

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Wolfgang Schuster will maskieren, verhüllen, irritieren. Die bewusste Verfremdung, die einem bei seinen Werken immer wieder begegnet, ist daher ausdrücklich gewählt. (Foto: Claus Schunk)

Der Maler und Bildhauer Wolfgang Schuster schaut hinter die Kulissen in düstere, geheimnisvolle Räume. Die Ottobrunner Galerie "Treffpunkt Kunst" zeigt seine verstörenden Werke in der Ausstellung "Helios Noctis" - Sonnengott der Nacht

Von Franziska Gerlach, Ottobrunn

Die Hände, die den Vorhang auseinander ziehen, sind im Krampf erstarrt, wahrscheinlich, weil das, was die Augen gesehen haben, die Frau zu Tode erschreckt hat. Aber halt, das kann ja gar nicht sein: Die Augen der Frau sind doch verbunden, sie kann überhaupt nichts sehen, und ein Vorhang ist da auch nirgends auszumachen, obwohl das Bild den Namen "Curtain" trägt. Schon ist man mittendrin in einer Welt voller komplexer Paradoxien, in der das Diffuse und Geheimnisvolle alles zu bedeuten scheinen, und das Klare und Greifbare nichts. Mittendrin in Wolfgang Schusters Kosmos. Und das ist nun einmal alles andere als ein Ausflug nach Disneyland.

Die Arbeiten des 1958 in Steinhöring geborenen Malers, Bildhauers und Diplomdesigners, das muss man zunächst einmal sagen, erfordern starke Nerven: Schuster ist Schmerz. Schuster ist Trauer. Und im Fall des erblindeten Afrikaners, dessen verhärmte Gesichtszüge er aus dem Kopf gemalt hat, ist Schuster sogar Krankheit. An den Wänden von "Treffpunkt Kunst", der beschaulichen Galerie des Kunstvereins Ottobrunn, wirken die insgesamt 23 Bilder auch tatsächlich wie Gäste aus einer Welt, in der die Sonne niemals scheint, oder wenn, dann nur für einen kurzen Augenblick. "Helios Noctis" ist die Ausstellung überschrieben, Sonnengott der Nacht also, und dieses durchaus poetische Bild ist in sich ein Widerspruch, denn eine schwarze Sonne, wo hat man das denn schon gesehen? Ein Absurdum, ganz klar.

Schuster will mit seinen Bildern die Frage aufwerfen, was passiert, wenn Spiritualität fehlt. Die Sehnsucht nach einem geistigen Licht bricht sich dann quasi Bahn, es möge doch bitte aufscheinen in diesen ambivalenten Zeiten, in denen sich der Mensch durch die Nutzung der sozialen Medien selbst isoliert - und zugleich die Suche nach einem Sinn des großen Ganzen, der mehr zu bieten hat als das ermüdende Zweiergespann von Pflicht und Moral, doch nicht lassen kann. Die bewusste Verfremdung, die einem bei Schuster immer wieder begegnet, ist daher ausdrücklich gewählt. Maskieren, verhüllen, womöglich sogar irritieren. Was auch immer die Bilder beim Betrachter auslösen, so wirklich schlau wird dieser daraus zunächst nicht. "Eine eindeutige Aussage, die eine Geschichte zu Ende erzählt, das ist nicht mein Ansinnen", sagt der Künstler, der an der FH München Kommunikationsdesign studiert hat. "Ich will nicht in der plakativen Vordergründigkeit enden."

Diese Gefahr besteht schon deshalb nicht, weil Schusters Arbeiten handwerklich irre gut gemacht sind. Bis 2012 hat er an einer Münchner Grafikdesignschule Kunsthistorie und Illustration unterrichtet, die Liste seiner Ausstellungen ist lang. Manche seiner Bilder bauen auf einer Fotografie auf, die er am Computer zunächst bearbeitet und dann übermalt. Besonders Details des menschlichen Körpers, die sinnlichen Lippen einer Frau oder sehnige Hände, die in ihrer Haltung denen eines Spastikers ähneln - ein wiederkehrendes Motiv - haben fotorealistische Qualitäten. Was der Künstler indes nicht unbedingt so sieht, weil ihm bei der Fotografie als solcher die Intensität abgeht. Stattdessen sagt er: "Der psychologisch-analytische Blick ist mir wichtiger." Hell-Dunkel-Kontraste setzt Schuster versiert, die Wechselwirkung von Licht und Schatten entfaltet bei ihm ungekannte Intensität, dann wiederum entreißt er Motive ihrem gewohnten Kontext, etwa, wenn er einen ausladenenden Farbblock Ultramarin über einem Menschenkörper und einem deformierten Schafskopf anordnet, die in einem Vakuum scheinbar beziehungslos aufeinander zu treiben und doch nicht zusammenfinden. Es müssen schon ganz gewaltige Kräfte wirken in einem Menschen, der zu solcher Tiefe fähig ist. Was ist das für ein Mensch, der Gasmasken faszinierend findet, weil sie etwas verbergen?

Klar ist: Der viel beschriebene Blick hinter die Kulissen reizt Schuster, das Oberflächliche dagegen liegt ihm fern. Doch um ihn zu begreifen, muss man vielleicht seinerseits einen zweiten oder dritten Blick wagen, sich vorsichtig herantasten an dieses Spiel des Deutens, zu dem er einlädt. Dessen Ausgang ist natürlich ungewiss: Bilder können allenfalls "eine Initialzündung" geben, wie er meint. Niemals aber Antworten. Zum Beispiel: Ein Mann kauert in der Ecke, die ineinander verkeilten Glieder hat der Künstler mit anatomischer Präzision in Acryl auf die Leinwand gebracht. Die Angst muss ihn in diese hineingetrieben haben, vielleicht auch die Kälte. Jedenfalls leidet man fast zwangsläufig mit ihm. Schusters Kunst kann eben auch weh tun, und der Betrachter muss das dann aushalten. Oder besser: Er darf.

Bei aller Hinwendung zum Düsteren realisiert man nämlich auch positiv: Endlich mal einer, der sich treu ist, der nicht auf Teufel komm raus gefallen will, der sich dem Geschmack des gemeinen Kunstliebhabers nicht anbiedert. In Ottobrunn, wo Schuster bereits vor zwei Jahren in einer Gemeinschaftsausstellung vertreten war, schätzt man seine Arbeit. Obgleich er dem Betrachter mitunter Dinge zumutet, mit denen der sich nicht so gerne konfrontiert sieht. Man sollte die Tür zu diesem wundersamen Raum der Reflexion, der sich bei Schuster auftut, nicht gleich wieder zuschlagen. Sondern beherzt hindurchgehen. Und eigene Antworten finden.

Die Ausstellung "Helos Noctis" dauert bis zum 7. Oktober. Sie ist geöffnet mittwochs bis freitags von 15 bis 18 Uhr sowie samstags 10 bis 13 Uhr.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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