Süddeutsche Zeitung

Ausbildungsmarkt:Handwerk sucht den Draht zu jungen Leuten

Viele Betriebe finden keinen Nachwuchs und hadern mit dem Image ihrer Branche. Firmenchef Bennet Jost will das mit einem coolen Fest ändern.

Von Alina Willing, Oberhaching

Viele junge Menschen haben eine veraltete Vorstellung von Handwerksbetrieben im Kopf. Davon ist Bennet Jost überzeugt. Er ist Geschäftsführer von Jost Electric Services und hat für diesen Samstag das erste Handwerker-Sommerfest in Oberhaching auf die Beine gestellt. So will er zeigen, dass sich eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb lohnt.

Denn viele Unternehmen im Landkreis München beobachten seit einigen Jahren, dass sich immer weniger junge Leute für eine Ausbildung interessieren. Von insgesamt etwa 1900 gemeldeten Ausbildungsstellen im Landkreis seien aktuell noch 800 zu vergeben, so die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt.

Dem will Bennet Jost entgegenwirken. Mit dem Sommerfest will er ab 12.30 Uhr bei sich an der Firma das Handwerk so repräsentieren, wie er es wahrnimmt: "Frisch, jung und mit coolen Ideen." Er und sein Betrieb in Oberhaching rechnen am Samstag mit etwa 250 Besuchern, allerdings über den Tag verteilt. Laut Ordnungsamt dürfen nur 100 Personen gleichzeitig anwesend sein, damit die Kontaktbeschränkungen eingehalten werden. Jost hat Bierbänke, einen BBQ-Grill und Getränke organisiert. Außerdem einen DJ, der bis spät in die Nacht für Partystimmung sorgen soll. "Die jungen Leute sind ja alle in Feierlaune", meint Jost. Und genau die will er schließlich erreichen.

3506 Ausbildungsstellen seien am attraktiven Wirtschaftsstandort München noch unbesetzt, meldete die Agentur für Arbeit Ende Juli. Gleichzeitig hätten 2126 junge Menschen noch keinen Ausbildungsplatz gefunden. Auf eine Person ohne Ausbildungsvertrag kämen demnach 1,6 freie Stellen. "Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass es noch eine große Aufholjagd geben wird", sagt Christoph Leicher. Er ist Vorsitzender des Regionalausschusses der Industrie-und Handelskammer (IHK) für den Landkreis München. Grund dafür sei, dass sich viele Azubis noch nicht final für ein Unternehmen entschieden hätten. "Es ist ja noch etwas Zeit bis Oktober. Gerade wegen der digitalen Lernsituation an den Unis entscheiden sich viele doch noch für eine Ausbildung."

Vor Jahren gab es zu viele Bewerber

Der Aufholeffekt habe aber nicht nur mit der Corona-Pandemie zu tun: "Den gibt es jedes Jahr", sagt Leicher. Trotzdem schätzt er, dass etwa 650 Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben. Als Geschäftsführer des Familienunternehmens Leicher Engineering in Kirchheim kennt er sich mit der oft schwierigen Suche nach Lehrlingen gut aus. Vor zehn Jahren sei die Situation anders gewesen: "Damals gab es zu wenig Stellen und zu viele Bewerber. Die Lage hat sich komplett auf den Kopf gestellt."

Dass sich immer weniger junge Menschen für eine Ausbildung entscheiden, liegt laut Leicher auch am Schulsystem: "Der Lehrplan müsste elementar verändert werden." Es müsse mehr Berufsorientierung geben, weil bei vielen Berufen gar nicht klar sei, wie der Arbeitsalltag aussieht. "Die Lehrer selbst können das oft nicht gut genug rüberbringen, weil auch sie oft nur theoretisches Wissen vermittelt bekommen. Der Praxisbezug fehlt", meint Leicher. Die Münchner Arbeitsagentur empfiehlt Jugendlichen deshalb, in vielen verschiedenen Bereichen Praktika zu machen, um sich besser für einen Beruf entscheiden zu können. Auch die letzten Ferienwochen könnten noch sinnvoll genutzt werden. Wegen der Pandemie sei das zuletzt allerdings schwierig gewesen, das habe Schüler und Eltern verunsichert.

Dazu verweist die Agentur für Arbeit darauf, dass eine höhere Bildung für die meisten Schüler attraktiv ist, weil sie gesellschaftlich anerkannter ist als eine Ausbildung. Schulabsolventen seien immer weniger bereit, körperlich belastende Arbeiten anzunehmen. Aber Geld spielt auch eine Rolle. Und "gerade im Handwerk sind die Verdienstmöglichkeiten besonders gut", heißt es von der Agentur. Das dürfe nicht übersehen werden. Christoph Leicher sagt, junge Menschen profitierten das ganze Leben lang von einer Ausbildung. "Man lernt drei Jahre lang etwas Nützliches. Diese Zeit ist optimal, um herauszufinden, was einem liegt und Spaß macht."

Firmenchef Bennet Jost ist während seiner Zeit als Auszubildender und als Geselle aufgefallen, dass das Handwerk nicht genug repräsentiert wird. Das Sommerfest, das er mit seinem zwei Jahre jungen Betrieb jetzt veranstaltet, sei das erste seiner Art im Landkreis. "Zumindest soweit ich weiß." Wenn alles gut läuft, sollen seiner Vorstellung nach kommendes Jahr auch andere Firmen teilnehmen. "Ich will die Handwerksberufe mehr in den Mittelpunkt rücken", sagt Jost. "Es könnte dann zum Beispiel ein Schreiner kommen, der das handwerkliche Geschick der Besucher testet."

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SZ vom 20.08.2021/belo
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