Zusammenarbeit von Union und AfD:„Das muss die absolute Ausnahme bleiben“

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Wie viel Abstand halten CDU und CSU unter Friedrich Merz zur AfD? Der Unionsfraktionschef und Kanzlerkandidat am Freitag im Bundestag - im Vordergrund Abgeordnete der AfD. (Foto: Nadja Wohlleben/REUTERS)

Wie geht es weiter nach der Asyl-Abstimmung im Bundestag? Mitglieder von CSU und Kirchen aus dem Landkreis München bewerten das Vorgehen von Friedrich Merz und der Union unterschiedlich – und wenigstens einer von ihnen schläft schlecht.

Von Laura Geigenberger, Irmengard Gnau, Unterhaching

Richard Raiser hat schlecht geschlafen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, nachdem im Bundestag der Antrag von CDU/CSU zur Verschärfung des Asylrechts in Deutschland mit den Stimmen der AfD angenommen wurde und sich die Rechtspartei dafür feierte. Raiser ist Mitglied der CSU im Ortsverband Unterhaching, er ist Dritter Bürgermeister in seiner Heimatgemeinde – und er engagiert sich im Rat des katholischen Pfarrverbands. Als Christ und CSU-Kommunalpolitiker stellt ihn diese Abstimmung vor eine innere Zerreißprobe.

„In der Sache“, sagt Raiser, stimme die Richtung von Unionsfraktionschef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz in der Asylpolitik, denn da sieht der Unterhachinger „dringenden Handlungsbedarf“. Zugleich ist es Raiser aber wichtig klarzustellen, dass Menschen aus anderen Nationen in Deutschland weiterhin willkommen seien. Gerade im Alltag am Ort klappe das Zusammenleben verschiedener Kulturen gut, brauche es weiter Engagement für Integration.

Eine Zusammenarbeit der Union mit der AfD ist für Raiser unvorstellbar, auf keiner Ebene; doch bei nötigen Anträgen dürfe man sich eben auch nicht ausbremsen lassen. Zugleich warnt der Kommunalpolitiker: „Wir müssen aufpassen, dass wir als Union nicht ins falsche Fahrtwasser geraten. Wir müssen die Abgrenzung aufrechterhalten zu dieser unsäglichen AfD-Politik.“ Eine durch die AfD erreichte Abstimmungsmehrheit wie am Mittwochabend, die vielfach kritisiert wird, „das muss die absolute Ausnahme bleiben“, sagt Raiser.

Nicola Gerhardt fühlt sich nach der denkwürdigen Abstimmung dagegen nicht innerlich gespalten. Die CSU-Kommunalpolitikerin aus Garching hält die Entscheidung von Friedrich Merz für notwendig und richtig, wie sie auch auf ihren Accounts in den Sozialen Medien schreibt. „Ich bin mir ganz sicher, dass schon vor der schrecklichen Tat von Aschaffenburg Leute bis weit in die bürgerliche Mitte hinein mit dem Gedanken gespielt haben, die AfD zu wählen, wegen persönlichen Erfahrungen mit der Migration“, sagt die CSU-Kreisrätin.

„Wenn wir nicht schnell etwas tun, fliegt uns das um die Ohren“, sagt selbst die Asylhelferin

So seien in mancher Schulklasse Deutsch-Muttersprachler inzwischen in der Minderheit. „Das sind Zeichen von Überforderung“, sagt die 56-Jährige. Das sagt sie nicht obwohl, sondern weil sie neben ihrem politischen Engagement auch Vorsitzende des Pfarrgemeinderats St. Severin in Garching ist, den Helferkreis Asyl in ihrer Heimatstadt aufgebaut hat und sich dort stark engagiert. Auch aus dieser Erfahrung heraus stellt sie fest: „Ich bin froh, dass der Elefant im Raum – die Migration – endlich angesprochen wurde. Das System funktioniert hinten und vorne nicht mehr. Wenn wir nicht schnell etwas tun, fliegt uns das um die Ohren.“

Für notwendig erachtet die CSU-Kreisrätin Nicola Gerhardt, die auch in der Kirche und im Asylhelferkreis aktiv ist, die gemeinsame Entscheidung von Union und AfD. (Foto: Claus Schunk)

Es gehe nicht darum, Migranten per se in ein schlechtes Licht zu rücken, betont Gerhardt. „Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Aufnahme Grenzen hat. Sonst droht uns ein Rechtsruck wie in den USA.“ Wäre sie als Abgeordnete bei der Abstimmung im Bundestag dabei gewesen, hätte sie mitgestimmt, sagt Gerhardt, „ungern, aber ich hätte es als leider notwendig erachtet“. Dass die AfD ihre Rolle in der Abstimmung ausschlachten würde, sei erwartbar gewesen. Doch diese Bilder würden bald wieder verschwinden, meint Gerhardt. Dass die Union aus CDU und CSU nach der Bundestagswahl eine Koalition mit der AfD eingeht, hält Gerhardt in jedem Fall für „absolut undenkbar“.

Dass Merz’ Forderungen zur Migration und die gemeinsame Entscheidung von Union, FDP und AfD im Bundestag aus Kreisen der evangelischen und katholischen Kirche scharf verurteilt werden, daran stört sich Gerhardt. Es sei gut, dass die Kirchen zur Wahlteilnahme aufriefen, sagt die 56-Jährige; diese hätten aber keine Kompetenz in der Frage, wie Migrationspolitik so zu gestalten sei, dass sie funktioniert.

"Ausdruck berechtigter Sorge", sei die Stellungnahme der Kirche, sagt Unterschleißheims evangelische Pfarrerin Mirjam Pfeiffer. (Foto: Stephan Rumpf)

„Grundsätzlich hält sich die Kirche aus dem Wahlkampf raus, und das finde ich auch richtig“, sagt Mirjam Pfeiffer, die Pfarrerin der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Unterschleißheim-Haimhausen. Die Stellungnahme von katholischer und evangelischer Seite ist nach ihrer Meinung jedoch ein „Ausdruck der berechtigten Sorge“ hinsichtlich der politischen Entwicklung in Deutschland. Auch sie zeigt sich besorgt über die Richtung, in die sich der Wahlkampf dadurch weniger als vier Wochen vor der Bundestagswahl zuspitzt. „Dass die Migrationspolitik so ausschließlich ins Zentrum gerückt wird“, sagt sie, „das führt dazu, dass Menschen Ausgrenzung erfahren, die mit dem Ganzen überhaupt nichts zu tun haben.“ Die Theologin sieht darin eine „große Gefahr für die Demokratie, für das Bunte, das Miteinander und die Suche nach sinnvollen, tragfähigen Kompromissen“.

Von einer „Selbstzerstörung mit Ansage“ spricht Rainer-Maria Schießler

Rainer-Maria Schießler, der bekannte katholische Stadtpfarrer von München, machte als Gastredner beim Neujahrsempfang der CSU in Gräfelfing am Donnerstag sein Entsetzen über das Verhalten von Friedrich Merz deutlich. Diese Abstimmung sei eine „Selbstzerstörung mit Ansage“ gewesen. Schießler appellierte an die christliche Mitmenschlichkeit. Politikerinnen und Politiker müssten notwendige Lösungen finden, aber nicht auf Kosten der Menschlichkeit.

"An der Grenze der Kapazität", sieht selbst der frühere Putzbrunner Diakon Karl Stocker, der sich jahrelang für Asylbewerber engagiert hat, die Gesellschaft. (Foto: Claus Schunk)

Dagegen möchte Karl Stocker, lange Jahre Diakon im Pfarrverband Vier Brunnen und bis heute stark engagiert in den Asylhelferkreisen Ottobrunn und Putzbrunn, grundsätzlich „niemanden aus der Bevölkerung“ ausgeschlossen sehen. „An erster Stelle sind für mich die demokratischen Parteien gefragt. Aber das Schönste wäre, wenn alle Parteien eine Lösung finden, die jedem gerecht wird“, sagt er.

Der Schwierigkeit seines Wunsches sei er sich allerdings bewusst, schließlich sei auch er zwiegespalten. Hilfsbereitschaft für Asylbewerber ist Stockers Ansicht nach zwar vorhanden, doch er sehe auch ein, sagt er, dass sich das Land an der „Grenze der Kapazität“ befinde. „Eine gewisse Regulierung halte ich für notwendig“, sagt Stocker. Sicher sei aber: „Ein radikales Vorgehen wird die Sache nicht lösen.“

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