Asylbewerber:Von Afrika in die Zwickmühle

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Sabine Gabriel vom Taufkirchner Helferkreis Asyl unterstützt Austine Sunday aus Nigeria. (Foto: Claus Schunk)

Austine Sunday verlor seine Arbeitserlaubnis, weil er keine Passnummer vorzeigen kann. Die bekäme er nur in Nigeria

Von Christina Hertel, Taufkirchen

Auf einen Handwerker muss man im Raum München manchmal wochenlang warten - weil die Auftragsbücher voll sind und weil es gleichzeitig nicht genug Menschen gibt, die Rohre verlegen, Wände mauern oder Dächer decken können. Austine Sunday, 30 Jahre alter Flüchtling aus Nigeria, arbeitete als Hilfsarbeiter für einen Installateur in Neubiberg. Seine Chefin, die nicht möchte, dass ihr Name in der Zeitung steht, sagt, sie sei zufrieden mit ihm gewesen. Er habe Arbeiten erledigt, für die sich oft nur schwer jemand finden lasse. Dennoch ist Sunday heute nicht mehr für den Betrieb tätig - weil ihm das Landratsamt die Arbeitserlaubnis entzogen hat. Seine Chefin versteht das nicht: "Er konnte für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen. Jetzt bekommt er wieder Geld vom Staat."

Sunday kam 2015 nach Deutschland, seitdem lebt er in einer Flüchtlingsunterkunft in Taufkirchen. Er sagt, er sei Christ und vor der Terrormiliz Boko Haram geflohen, doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte seinen Asylantrag ab. Abschieben können ihn die Behörden allerdings nicht. Zum einen, weil Sunday keine Papiere hat und ihn sein Heimatland deshalb nicht zurücknimmt. Zum anderen, weil er vor etwas mehr als einem Jahr Vater geworden ist. Die Mutter des Kindes ist ebenfalls Asylbewerberin aus Nigeria, ihr Antrag ist noch nicht entschieden. Das Münchner Landratsamt stellt Sunday deshalb alle paar Wochen neue Duldungen aus. Theoretisch können auch geduldete Asylbewerber eine Arbeitserlaubnis erhalten. Doch die Ausländerbehörden können diese entziehen - wenn sie annehmen, der Asylbewerber arbeite zu wenig mit, seine Papiere zu beschaffen.

Zu Sunday konkret will sich das Landratsamt aus Datenschutzgründen nicht äußern. Es schreibt aber, dass Geflüchtete bereits während des Asylverfahrens immer wieder darauf hingewiesen würden, sich um ihre Papiere kümmern zu müssen. Bis das Verfahren abgeschlossen ist, könnten Jahre vergehen. Wenn der Geflüchtete dann immer noch keine Dokumente vorlegen kann, sei dies ein Hinweis, dass die "Mitwirkungspflichten", wie es in der Behördensprache heißt, nicht erfüllt wurden. Sabine Gabriel, die auch in Taufkirchen wohnt und Austine Sunday bei einem Begegnungsnachmittag kennengelernt hat und sich seither um ihn kümmert, gibt zu, dass er sich am Anfang nicht um seinen Ausweis gekümmert habe. Die Angst vor einer Abschiebung sei schließlich groß. Doch dann habe sich Sunday tatsächlich bemüht, sei nach Berlin zur nigerianischen Botschaft gereist. Sie habe für etwa 300 Euro Fahrt und Hotelzimmer finanziert. Doch er kehrte ohne Papiere zurück. Die Mitarbeiter der Botschaft teilten ihm mit, dass sie ihm nur einen Ausweis ausstellen würden, wenn er eine Passnummer vorweisen könne - doch diese ist zusammen mit seinen Dokumenten verloren gegangen. Erfahren könnte er sie wohl nur in Nigeria, doch dorthin möchte er nicht zurückkehren, zu unklar ist, ob er dann jemals wieder nach Deutschland kommen könnte.

Kurz nach der Berlinreise musste Sunday seine Duldung im Münchner Landratsamt erneut verlängern - und da entzog die Sachbearbeiterin ihm die Arbeitserlaubnis. "Für sie war die Fahrt nach Berlin kein Bemühen. Aber was hätte er denn noch tun sollen?", fragt Sabine Gabriel, die bei dem Termin dabei war. In ihren Augen grenzte das Verhalten der Sachbearbeiterin an Schikane: Sunday musste immer wieder ein gleiches Formular ausfüllen und für die Verlängerung seiner Duldung 60 Euro bezahlen. Laut Landratsamt richtet sich die Gebühr nach einer gesetzlichen Vorschrift. Gabriel, die die Gebühr übernahm, fragt sich: "Wie sollen sich Flüchtlinge das denn auf Dauer leisten?"

Wie es Austine Sunday mit dem Ganzen geht? Er sei genervt und müde, sagt er. In Deutschland habe er immer gearbeitet - zuerst in einem Hotel, dann bei dem Installateur - doch geholfen habe das nichts. Auch Walter Albrecht, der den Taufkirchner Helferkreis leitet, beobachtet, dass Flüchtlinge, wenn sie sich von Duldung zu Duldung hangeln und schließlich ihre Arbeitserlaubnis verlieren, reizbarer sind. Für verwunderlich hält er das nicht. Nach jahrelangem Warten fehle ihnen eine Perspektive, hinzu komme die Langeweile. Streit sei da programmiert. Wie vielen Asylbewerbern das Landratsamt die Arbeitserlaubnis entzogen hat, kann die Behörde nicht sagen. Dazu werde keine Statistik geführt. Die Pressestelle teilt aber mit, dass sie 2018 insgesamt 1 123 Arbeitserlaubnisse genehmigt habe - meistens für Menschen aus Afghanistan, Nigeria und Pakistan, Länder, bei denen es meist unproblematisch sei, "Identitätsdokumente" zu beschaffen.

So wie Austine Sunday geht es wohl hunderten Flüchtlingen in Deutschland. Wie der Spiegel berichtete, werden von den knapp 240 000 ausreisepflichtigen Ausländern in Deutschland mehr als 75 000 wegen fehlender Reisedokumente geduldet. Viele von ihnen stecken wohl wie Sunday in einem Dilemma: Beschaffen sie die Papiere, steigt auch das Risiko, dass sie zurückgeschafft werden. Kümmern sie sich in Augen der Behörden zu wenig darum, droht ihnen der Verlust ihrer Arbeit. Die Flüchtlingshelfer Walter Albrecht und Sabine Gabriel stellen den Sinn dieser Regeln in Frage. Sunday habe bei dem Installateur 1200 Euro im Monat verdient, Versicherungen, Steuern bezahlt und in dem Installationsbetrieb eine Arbeit erledigt, bei der es Personalmangel gebe. "Und jetzt muss der Staat für ihn aufkommen", sagt Gabriel.

© SZ vom 30.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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