Süddeutsche Zeitung

Asyl im Landkreis:Kopfschütteln in den Rathäusern über Planungsstopp

Das Vorgehen der Regierung bei den Flüchtlingsunterkünften stößt bei Kommunalpolitikern auf Unverständnis.

Von Martin Mühlfenzl

Viele hundert Wohnungen, Häuser und Grundstücke würden im Monat im Landratsamt auf ihre Tauglichkeit als mögliche Unterkunft für Flüchtlinge hin geprüft, sagt Landrat Christoph Göbel (CSU). Besser gesagt: wurden. Denn damit ist es vorerst vorbei.

Die Regierung von Oberbayern hat die Landkreise nach einem entsprechenden Kabinettsbeschluss der Staatsregierung angewiesen, den Bau und die Anmietung "jeglicher weiterer Asylbewerberunterkünfte" zu stoppen. Zudem hat das Landratsamt der Regierung "alle bereits vertraglich vereinbarten und in Verhandlung und Planung stehenden Projekte" zur Überprüfung übermitteln müssen. Konkret heißt das: Landrat Göbel darf derzeit unter keinen einzigen Vertrag für ein Projekt seine Unterschrift setzen.

Dieses Vorgehen des Freistaates stößt sowohl beim Landrat als auch bei den Bürgermeistern der 29 Städte und Gemeinden im Landkreis auf wenig Begeisterung. "Das macht überhaupt keinen Sinn", sagt Unterschleißheims Bürgermeister Christoph Böck (SPD). "Es nimmt uns momentan jede Planungssicherheit. Wir sind damit handlungsunfähig - obwohl wir handeln müssten."

Noch immer stehen in Landkreis sieben Traglufthallen

Denn die Staatsregierung und die Regierung von Oberbayern sendeten mit diesem Vorgehen eine fatale Botschaft aus: "Es wird so getan, als wären keine Flüchtlinge mehr da. Aber das Gegenteil ist doch der Fall", sagt Böck. Richtig sei, dass derzeit kaum mehr Schutzsuchende in den Freistaat kämen. "Aber unsere Aufgabe ist es, den Menschen, die bereits hier sind und auch hier bleiben werden, eine feste Unterkunft bieten zu können."

Noch immer stehen im Landkreis sieben Traglufthallen mit einer Kapazität für bis zu 2100 Menschen. Etwa 1500 Menschen sind in diesen derzeit auch untergebracht. "Das ist sicher nicht die beste Form der Unterbringung", sagt Landrat Göbel. "Vor allem aber ist es die teuerste." Über einen langen Zeitraum - vor allem in den Monaten September, Oktober und November - hätten diese Hallen einen unglaublich wichtigen Beitrag geleistet, Menschen schnell, sicher und einigermaßen menschenwürdig unterbringen zu können. "Aber unser Ziel ist es, die Asylbewerber aus den Hallen heraus zu bringen. Das schaffen wir nur gemeinsam, wenn wir auch weiter Wohnraum schaffen."

Daran arbeitet etwa die Gemeinde Ottobrunn weiter mit Hochdruck, und sie wird, das machte Bürgermeister Loderer (CSU) im Gemeinderat klar, auch nicht von der bei Anwohnern umstrittenen Siedlung für bis zu 320 Flüchtlinge am Kathi-Weidner-Weg im Westen der Kommune abrücken. Allerdings, sagt Loderer, sei nicht auszuschließen, dass zunächst statt zehn etwa nur sechs oder sieben Häuser gebaut würden. "Auf Sicht eben.

Das heißt aber nicht, dass grundsätzlich reduziert wird", sagt Loderer. So würden auch nach der Genehmigung des Bauantrags alle zehn Fundamente für die Häuser der Firma Feel Home gegossen. "Die Regierung von Oberbayern wird die entsprechende Genehmigung erteilen. Das Signal lautet weiter: Der Bedarf ist da."

Das sehen auch Landrat Göbel und Rathauschef Böck so: Beide gehen davon aus, dass etwa 80 Prozent der Schutzsuchenden dauerhaft im Landkreis bleiben werden. "Genau das ist die große Herausforderung: Wo sollen diese Menschen hin? Wir können sie nicht auf der Straße stehen lassen", sagt Göbel. "Wenn wir tatsächlich keine Unterkünfte mehr errichten, treffen wir keine Vorsorge und geraten dann zwangsläufig auch dieses Jahr wieder in Stressszenarien." Und diese würde ebenso zwangsläufig wieder in sehr teure Notlösungen wie Traglufthallen oder gar Belegungen von Turnhallen münden. Baierbrunns Bürgermeisterin Barbara Angermaier (BiG) sagt dementsprechend, ihre Kommune werde alle laufenden Projekte auch weiter verfolgen, unabhängig davon, ob der Landrat derzeit seine Unterschrift unter Verträge für neue oder schon in Planung befindliche Projekte setzen dürfe oder nicht.

Einige Fragen bleiben offen

Wer für diese Anweisung überhaupt verantwortlich zeichnet, kann aber selbst Landrat Göbel nicht sagen: "Ich vermute, dass sie aus dem Sozialministerium kam. Ich weiß auch nicht, wer am Ende die ganzen Projekte überprüfen wird. Da bleiben schon einige Fragen offen." Sehr klar sei für ihn aber, dass bei dieser Entscheidung "ökonomische Beweggründe" eine entscheidende Rolle gespielt hätten: "Der Freistaat hat erkannt, dass derzeit viele Bundes- und Landesliegenschaften, die als Unterkünfte gedacht sind, nicht belegt sind. Die sollen jetzt wieder genutzt werden, weil sie einfach billiger sind." Das Problem der langfristigen Unterbringung im Landkreis München löse diese Maßnahme aber nicht. "Die der kurzfristigen im Landkreis Wunsiedel eventuell."

Sollten die Flüchtlingszahlen wider Erwarten langfristig doch gering bleiben, hat Bürgermeister Loderer einen Wunsch: "Dann dürfen die, die bisher sehr kooperativ und aufnahmebereit waren, nicht die Dummen sein."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2971723
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.04.2016/hilb
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.