Süddeutsche Zeitung

Aschheim:Zwischen Angst und Hilfsbereitschaft

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Bei der Informationsveranstaltung über die geplante Erstaufnahmeeinrichtung in Dornach äußern sich Anwohner verunsichert über die zu erwartende Zahl an Flüchtlingen. Andere sind gekommen, um ihre Unterstützung anzubieten

Von Martin Mühlfenzl, Aschheim

Der lang anhaltende Applaus zu Beginn macht Mut. Beifall der beinahe 2000 Besucher im Aschheimer Feststadl gibt es immer dann, wenn über die Hilfsbereitschaft in der Gemeinde berichtet wird, über das ehrenamtliche Engagement in der Notunterkunft in einem Bürogebäude im Gewerbegebiet Dornach, über die Spendenbereitschaft vieler Bürger.

Das ist das eine Gesicht der Gemeinde Aschheim an diesem Abend, an dem neben Bürgermeister Thomas Glashauser (CSU), Landrat Christoph Göbel (CSU) und Regierungsvizepräsidentin Maria Els auch Vertreter der Johanniter und Polizei über die momentane Situation in der provisorischen Erstaufnahmeeinrichtung der Regierung von Oberbayern berichten - aber auch über deren Zukunft.

Das andere Gesicht der Kommune ist eng mit jener Zukunft verbunden - und es ist ein fragendes, sorgenvolles und manchmal angsterfülltes. Das bemerken jene, die ihre Bürger informieren wollen, immer dann, wenn ihnen die Kritik direkt entgegen gerufen wird. Wenn vor allem Dornacher Bürger davon berichten, dass ihnen die Gesundheit ihrer Kinder Sorgen bereite, sie Angst um die Sicherheit in ihrem kleinen 1400-Seelen-Dorf hätten, und wichtige Informationen nicht oder zu spät publik gemacht würden. Auch dann brandet Applaus auf - nicht von allen, aber von vielen.

Die Bürger der Gemeinde werden an diesem Abend vor vollendete Tatsachen gestellt, von der Regierung von Oberbayern, die unter dem Druck der vielen Flüchtlinge, die in den Süden der Republik kommen, nach alternativen Unterbringungsmöglichkeiten sucht. Eine haben sie in Dornach gefunden. Von einem Berliner Investmentfonds hat die Behörde zwei Bürogebäude angemietet und binnen kürzester Zeit Platz für bis zu 2500 Flüchtlinge geschaffen - betrieben und organisiert von den Johannitern und vielen Freiwilligen. Soweit der Status quo.

Doch die Anwesenden im Feststadl interessiert vor allem, was die Regierung von Oberbayern künftig auf dem Areal vorhat. "Der Ablauf der Versammlung ist für mich bisher vollkommen unbefriedigend", echauffiert sich Karl-Heinz Nuss nach den ersten Ausführungen. "Wir wollen wissen, wie es weiter geht. In der Einladung war die Rede von bis zu 5000 Asylbewerbern." Die Menschen hätten ein Anrecht darauf, zu wissen, wie sie auf Jahre hinaus mit der Unterkunft leben sollen, sagt Nuss - und bekommt viel Beifall.

Viele Fragen aber können Landrat Göbel und auch Regierungsvizepräsidentin Els nicht beantworten - noch nicht. Sie kennen nicht die genaue künftige Größe einer Erstaufnahmeeinrichtung, nicht den genauen Zeitraum, in dem eine solche Unterkunft bestehen bleibt. Die Bürger müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass weder die Gemeinde noch der Landkreis die Möglichkeit haben, eine dauerhafte Unterkunft zu verhindern. "Wir können die Frage, ob sie kommt, nicht beeinflussen", sagt Landrat Göbel. Regierungsvizepräsidentin Maria Els macht deutlich, dass die Erstaufnahmeeinrichtung, die in einem der beiden Bürogebäude entstehen wird, "mindestens zehn Jahre" Bestand haben werde - und ihr ist wichtig zu betonen: "als Erstaufnahmeeinrichtung."

Dieser Begriff spielt in der Argumentation seitens der Politik und Verwaltung eine entscheidende Rolle, würden Flüchtlinge dort doch nur eine vorübergehende Unterkunft für "drei bis sechs Wochen" finden, wie Maria Els sagt. In der derzeitigen Notunterkunft blieben sie sogar nur etwa 24 Stunden. Es ist ihr Versuch, den Bürgern die Angst zu nehmen, dass sie die große Zahl der Flüchtlinge bei der Integration der Menschen überfordern könnte. "Es geht bei einer Erstaufnahmeeinrichtung nicht um Integration. Es geht um die Registrierung und die Einleitung des Asylverfahrens", sagt Els. Sie dringt mit ihrem technokratischen Ansatz nicht durch.

Zumindest nicht bei jenen, die teils offen, teils versteckt ihre Ablehnung einer derart großen Unterkunft kundtun. Peter Henselmann etwa sagt, diese Dimension werde zur Isolation der Flüchtlinge führen. Eine Dornacher Bürgerin sagt, die letzten Tage seien für sie und ihre Familie "beklemmend" gewesen - und blickt voraus: "Wir werden dann in der Minderheit sein." Viele Bürger äußern Zweifel, dass die Gesundheits-Screenings der Flüchtlinge ausreichten, um die Bürger zu schützen. "Wie sehr ist die Bevölkerung gefährdet", will ein Mann wissen. Eine Frau sagt, eine sozialverträgliche Integration sei nicht möglich - mehrere tausend Flüchtlinge in einem Ortsteil mit 1400 Menschen, das sei nicht realisierbar.

Moderator Tom Meiler vom Bayerischen Rundfunk fragt, ob Aschheim der einzige Ort im Landkreis sei, wo so viele Flüchtlinge untergebracht werden könnten. Doch Landrat Göbel nimmt ihm den Wind aus den Segeln: "Wir werden hier nicht nach dem Floriansprinzip verfahren, das wird es mit mir nicht geben. Es ist keine Alternative zu sagen, wir nehmen die Flüchtlinge nicht, sondern die Nachbarn."

Es gibt an diesem Abend aber auch aus dem Auditorium andere Töne. Stimmen, die, wie es eine Aschheimerin formuliert, zeigten, dass sich eine Front gebildet habe. Sie selbst sei gekommen, um zu erfahren, wie man helfen könne: "Ich war stolz, als ich gesehen habe, wie den Flüchtlingen hier in Dornach geholfen wurde." Aber bisher sei dieser Abend mehr als beschämend. Nahid Shahalimi, selbst vor vielen Jahren aus Afghanistan geflohen, ergreift ebenfalls das Wort: "Wir dürfen keine Angst haben. Lasst uns den Menschen helfen." Es ist der Zeitpunkt, an dem die Stimmung wieder ein wenig kippt. "Es ist noch nicht darüber gesprochen worden, wie wir in diesem reichen Speckgürtel helfen können", sagt eine Bürgerin. Auch diese Fragen müssten beantwortet werden.

Die Politik versucht es - aber nicht immer gelingt es ihr. Wolfgang Baumüller, Johanniter und Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung, sagt: Momentan seien keine Spenden nötig, die Lager quellten über. Freiwillige aber würden immer gesucht. Vielleicht ist dies eine Chance für eine Bürgerin, die ihre Sorgen so beschreibt: "Ich hatte noch keinen Kontakt mit Flüchtlingen. Es ist auch schwer, den herzustellen. Ich weiß bisher nicht, wie das geht."

Seit Mittwochnachmittag besteht dazu wieder Gelegenheit. Die Notunterkunft ist mit 250 Flüchtlingen in Betrieb.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2015
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