Süddeutsche Zeitung

Aschheim:Sturm bringt Zirkus in Not

Lesezeit: 3 min

Das Tierzelt der Familie Brumbach ist zerstört, sie schätzen den Schaden auf 40 000 Euro. Ohne Spenden hat der Betrieb, der in neunter Generation geführt wird, keine Zukunft.

Von Carina Irimia, Aschheim

Nico Brumbach, 27, betritt das Zirkuszelt. Unter seinen Schuhen knirscht der Boden aus Erde und Steinen. "Wir sind noch am Aufräumen." Auf dem Boden liegen zerknitterte Plakate. Der Clown darauf hat Matsch-Sprenkel im Gesicht. Nico Brumbach stapft quer durch das Zelt, das vom Sturmtief Bianca arg gebeutelt wurde. Der Junior-Chef bleibt drei Meter entfernt vom Zirkuszelt vor einer großen blauen Plane stehen, die teilweise über Metallzäunen liegt. Das war einmal das Tierzelt und das Zuhause von Pferden, Ponys, Lamas und Ziegen. Brumbach sieht sich ungläubig um. Er schätzt den Schaden auf etwa 40 000 Euro: "Unsere Familie steht vor dem Nichts". In der vergangenen Nacht hat er keine Sekunde geschlafen. "Es war alles gut verankert." Doch dann kam Bianca.

Der Circus Betolli ist ein reiner Familienbetrieb. Um zehn Uhr abends sei noch alles ruhig gewesen, erinnert sich Brumbach. Die Familie ist gerade damit beschäftigt, die Tiere mit Futter und Wasser zu versorgen. Gegen Mitternacht geht es los, beschreibt Brumbach. Sturm Bianca wird immer stärker. Der Wind wirbelt schlagartig die Zirkusplakate durch die Luft. Stühle fliegen weg. Planen lösen sich und peitschen durch die Luft, "wie bei einem Tornado, dazu kam noch der Schnee, gemischt mit Regen", sagt Brumbach. Zur Sicherheit führt die Familie alle Tiere ins Freie. Plötzlich löst sich einer der zwei Meter langen Eisenanker am Tierzelt aus der Erde und fliegt durch die Luft. "Wie ein großer Felsen knallt er auf dem Boden auf." Die Brumbachs versuchen, ihn wieder in den Boden zu schlagen. Es bringt nichts. Ein Windstoß reißt die restlichen 44 Eisenanker heraus. Das Zelt fliegt über die Köpfe der Familie hinweg. "Wir wussten nicht, wo wir zuerst hinrennen sollten. Natürlich haben wir uns dann zuerst um die Tiere gekümmert."

Das ganze Ausmaß des Sturms sieht Nico Brumbach erst am nächsten Morgen bei Tageslicht. Eine erste gute Bilanz: Weder Tiere noch Menschen sind verletzt. Doch das Tierzelt ist komplett zerstört. Fünf Pferde und zwei Ziegen stehen draußen, die beiden Lamas bringt die Familie im Tieranhänger unter, in dem sie es warm haben. Das große Zirkuszelt für 250 Besucher steht zwar noch, doch auch hier hat der Sturm die Zeltplane, die Loge und einige Stühle zerstört.

"Zirkus ist mein Leben."

Eigentlich sollte das Zelt am Freitagnachmittag mit Besuchern gefüllt sein. Jetzt steht Brumbach zwischen den beiden zerstörten Zelten und weiß nicht einmal, ob es überhaupt wieder Vorstellungen geben kann. Neben ihm mümmeln die Pferde auf einer kleinen improvisierten Koppel an ihrem Heu. Das weiß-braune Fell sieht feucht aus vom regnerisch kalten Wetter. Brumbach sieht lange zu ihnen hinüber: "Für uns ist erst einmal wichtig, dass die Tiere wieder ein Dach über dem Kopf haben." Sie sind das Kapital der 15-köpfigen Familie. Die Brumbachs betreiben den Zirkus bereits in der neunten Generation. Der Junior-Chef hat bereits mit zwei Jahren begonnen, sich in Luftakrobatik zu üben. Außerdem tritt er als Clown auf. "Zirkus ist mein Leben", sagt Brumbach. "Das ist wie in eine andere Welt einzutauchen." Nach der letzten Nacht steht jedoch ihre Existenz auf der Kippe, denn gegen Sturmschäden ist der Zirkus nicht versichert. Die Familie kommt aus Hanau. Es sei ihre erste Saison in Bayern, so Brumbach, und nun vielleicht die letzte.

Neben den Pferden steht ein großer Anhänger. An der Laderampe beobachtet eines der Lamas durch ein Gitter mit lang gestrecktem Hals alles ganz genau. Im Anhänger poltert das zweite Lama über den Strohboden. Das würde Nico Brumbach gerne all seinen Tieren ermöglichen. Dafür hat die Familie aber kein Geld. "Wir sind auf die Bevölkerung angewiesen." Ohne Spenden könnten sie ihren Zirkus nicht wieder aufbauen. Brumbach betont, die Familie sei auch dankbar für Sachspenden, wie Futter für die Tiere oder Kleidung für die Artisten. Einige Leute seien schon vorbeigekommen, sie brachten Futter. "Aber das reicht leider nur für kurze Zeit", sagt Brumbach. Er schaut in eine ungewisse Zukunft und hofft auf die Unterstützung aller Zirkusfreunde, "sonst können wir die Tradition aufgeben".

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Quelle:
SZ vom 29.02.2020
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