Oktoberfest:Ukrainerinnen verzieren jetzt Wiesnherzen

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Bereits im Mai beschrifteten Ukrainerinnen bei der Firma Zuckersucht in Aschheim Lebkuchenherzen für das Oktoberfest. (Foto: Claus Schunk)

Nach zwei Jahren Pause gibt es wieder ein Oktoberfest, und die Aschheimer Firma Zuckersucht braucht dringend Arbeitskräfte für die Produktion von Lebkuchenherzen. Deshalb stellt sie nun in großem Stil Geflüchtete ein.

Von Lara Jack, Aschheim

Schon aus 100 Metern Entfernung kann man die Großkonditorei Zuckersucht in Aschheim riechen, der würzig-süße Duft von frischgebackenen Lebkuchen liegt in der Luft. Abertausende von Oktoberfest-Herzen werden hier in den nächsten Monaten entstehen, mitunter verziert von Geflüchteten aus der Ukraine.

Seit etwa 20 Jahren versorgt das Aschheimer Unternehmen die Münchner Wiesn mit seinen typischen bunt verzierten Lebkuchenherzen. Zwei Jahre hintereinander wurde das Oktoberfest abgesagt und der Süßwaren-Betrieb reduzierte sein Personal von etwa 150 auf 70 Mitarbeiter. Nun, da die Produktion wieder hochgefahren werden soll, fehlt es an Personal und Zuckersucht-Geschäftsführer Bernd Dostler hat kurzerhand zwölf geflüchtete Ukrainerinnen als Vollzeit-Arbeitskräfte eingestellt.

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Den Kontakt zu den Geflüchteten, sagt Dostler, habe sein Nachbar hergestellt, der selbst aus der Ukraine stammt und sich seit Kriegsbeginn für die Vermittlung seiner Landsleute nach und innerhalb von Deutschland engagiert. "Die Arbeiterinnen sind wirklich froh um einen Job und das Beschriften und Bemalen der Lebkuchen lernen sie total schnell", erzählt Dostler. Außerdem wohnen die Frauen allesamt in Mitarbeiter-Appartements über der Backstube. Ginge es nach ihm, so Dostler, würde er weitaus mehr Ukrainer anstellen und beherbergen. Dafür fehle ihm aber noch der notwendige Wohnraum und auch die Wartezeiten auf Termine bei den zuständigen Behörden zögerten weitere Anstellungen hinaus. Das bestätigt auch Simone Wagner, Büro-Managerin bei Zuckersucht: "Die Ukrainerinnen mussten schon drei bis vier Wochen auf einen Termin bei der Ausländerbehörde warten. Erst nachdem wir dort hingeschrieben haben, gab es dann plötzlich innerhalb von drei bis vier Tagen einen Termin."

Behördengänge verzögern die Anstellung weiterer Arbeitskräfte

Laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales dürfen ukrainische Flüchtlinge mit dem Erhalt ihres Aufenthaltstitels anfangen zu arbeiten. Dieser muss allerdings erst bei der zuständigen Ausländerbehörde beantragt werden, die Wartedauer für einen Termin kann bis zu fünf Wochen in Anspruch nehmen. "Die Bürokratie ist schwierig, aber da hilft unser Nachbar sehr. Er geht mit den Leuten zum jeweiligen Amt und übersetzt auch für sie", sagt Dostler. Neben dem Vermittler helfe beim täglichen Übersetzen aber vor allem das russische Personal im Betrieb, betont er. "Unsere russischen Mitarbeiter übersetzen für die Ukrainerinnen, die ja alle russisch sprechen. Da muss man sagen, Russen und Ukrainer arbeiten wunderbar zusammen, zumindest außerhalb von Russland. Der Konflikt zwischen den beiden Ländern ist bei uns nicht spürbar."

An diesem Tag wird für die Verzierungen der Herzen überwiegend mit dem Blau und Gelb der ukrainischen Flagge gearbeitet. (Foto: Claus Schunk)

Im Erdgeschoss des Süßwarenherstellers sind die Vorbereitungen fürs Oktoberfest derweil im vollen Gange, ungefähr 500 000 Wiesn-Herzen sollen heuer produziert werden. In der Backstube reihen sich Dutzende mit Lebkuchen befüllte Regale aneinander. Auf den Arbeitsflächen türmen sich Schüsseln mit bunter Zuckercreme, an diesem Tag wird für die Verzierungen überwiegend mit dem Blau und Gelb der ukrainischen Flagge gearbeitet. An einer Arbeitsstation stehen drei Ukrainerinnen mit Haarnetzen auf dem Kopf und Spritztüllen in der Hand. Mit gekonntem Griff verteilen sie die Paste auf dem noch kargen Gebäck. Die drei Frauen geben ein ungleiches Trio ab, und doch sind sie enge Freundinnen.

"Wenn der Krieg vorbei ist, bleiben die Leute da"

Natalia ist mit 43 Jahren die älteste von ihnen. Sie trägt knallig pinken Lippenstift, hat schwarz gefärbtes Haar und die meiste Zeit ein Lächeln im Gesicht. Sie spricht fließend englisch und übersetzt für die beiden anderen. "Ich bin Ökonomin. Ich habe eine Hochschulbildung", sagt Natalia. Die acht Jahre jüngere Mariia wirkt neben ihrer kontaktfreudigen Kollegin zurückhaltend, sie spricht nicht viel. Doch man erfährt von ihr, dass sie vor dem Krieg Tourismus-Managerin war. Die 20-jährige Kseniia zückt unterdessen ihr Smartphone. Sie verwendet beim Erzählen lieber Bilder als Worte und sucht im Internet nach einem Foto, das ihren früheren Beruf erklärt. Auf dem Touchscreen erscheint das Bild einer Sportlerin mit Kunststoffbein. Kseniias Familie habe ein Unternehmen gehört, das Prothesen herstelle, dolmetscht Natalia, dort habe sie gearbeitet. Drei Berufswege, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und doch schmücken die drei jetzt gemeinsam Wiesn-Herzen.

Sie arbeiteten alle sehr gerne hier, sagt Natalia stellvertretend für die anderen zwei. "Ich weiß nicht, wie ich meine Gefühlssituation beschreiben soll, denn es ist sehr hart für unser Land. Aber gleichzeitig sind wir von Gott gesegnet und ich bin froh, hier zu sein und arbeiten zu dürfen." Ähnliches höre Dostler auch von anderen Geflüchteten, die sich nach seinen Worten hier inzwischen sehr wohl fühlten. Er ist überzeugt: "Ich habe keine Bedenken, dass ich nur der Lückenfüller bin für einen Monat. Wenn der Krieg vorbei ist, bleiben die Leute da."

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