Beinahe behutsam streicht Adriana Rezende mit der Hand über das glatte Holz. Ganz leicht kann man noch die Maserung des Baumstamms ertasten, aus dem die beeindruckende Platte stammt. Noch lehnt sie hier an der Wand im Lager, doch schon bald wird sie als Esstisch in einem Wohnzimmer stehen und ihren Besitzern jeden Tag Freude machen, das hofft Rezende zumindest. "Das richtige Stück Holz für einen bestimmten Kunden zu finden, ist wie ein Sechser im Lotto", sagt die 45-Jährige. "Man braucht Zeit dafür." Doch wenn es gelingt - Rezendes dunkle Augen leuchten, wenn sie davon berichtet, wie sie im Holzlager Schnittplatte um Schnittplatte umdreht, bis sie das perfekte Stück in Händen hält. Man nimmt ihr ab, dass sie jeden Tisch fast mit ein wenig Wehmut verkauft, so eng verbunden scheint sie den einzelnen Arbeiten zu sein.
Die Arbeitsteilung zwischen Adriana Rezende und Zuzana Jurdik (von links) ist klar. Rezende spricht mit dem Holz, Jurdik mit den Menschen.
(Foto: Angelika Bardehle)Nebenbei arbeiten die Geschäftsführerinnen weiter im Pflegebereich
Es riecht nach Holz und nach Kaffee im Laden von "Jurez Holzprodukte" in Aschheim. Zuzana Jurdik krault Retriever Kira den Kopf. Neben den beiden Geschäftsführerinnen ist die Hündin fester Teil der Belegschaft. Noch vor drei Jahren hätten sich wohl weder Jurdik noch Rezende vorstellen können, dass sie heute Inhaberinnen eines Gewerbes sind. Jurdik ist gelernte Krankenschwester und arbeitet seit einigen Jahren in der Psychiatrie, Rezende betreut bei der Lebenshilfe Menschen mit geistiger Behinderung. Dann aber kam der Schreck: Ärzte entdeckten an Adriana Rezendes Brustwirbelsäule einen Tumor am Rückenmark. Die Erkrankung war der Auslöser, sagt Rezende heute. "Ich habe zu Zuzana gesagt: Ich möchte etwas machen, wo mir das Herz brennt." Jurdik sagte ja.
Im November 2018 meldeten sie ihr Gewerbe an, die "Jurez GbR Zuzana Jurdik & Adriana Rezende". Noch ohne ein einziges Verkaufsstück, ohne Website, ohne Logo, lediglich mit einem Mietvertrag für einen Lagerraum. "Wir sind etwas blauäugig da rangegangen", sagt Jurdik und lächelt entschuldigend. "Wir hatten keine Ahnung vom Geschäft." Rezende winkt ab - das wird schon alles. "Ich hatte schon immer den Wunsch, etwas Eigenes zu machen", sagt die gebürtige Brasilianerin. "Aber ich habe mich hier in Deutschland nicht getraut." Mit Jurdik an ihrer Seite spürte sie die Unterstützung, die ihr zuvor gefehlt hatte, um einen solchen Start zu wagen. "Das Wissen, dass wir das gemeinsam machen, hat uns beide gestärkt."
Die beiden Frauen fertigen individuelle Tische aus Massivholzplatten für ihre Kundinnen und Kunden.
(Foto: Angelika Bardehle)Mit viel Engagement und Herzblut stürzen sich die beiden Frauen in die Gründung. Die Geschäftsidee war von Anfang an klar. Mit dem Werkstoff Holz fühlen sich beide verbunden. Jurdik ist in der Slowakei aufgewachsen, umgeben von Wald. Rezende hatte bereits in Brasilien handwerklich gearbeitet. Als sie 1993, mit 18 Jahren, als Au-pair zum ersten Mal nach Deutschland kam, vermisste sie die Natur. "Mit Holz zu arbeiten, zu basteln, bringt mich runter", sagt sie. Gleichzeitig kann sie ihre Kreativität ausleben, davon erzählt auch die Dekoration des Ladens; an der Decke des Lagers etwa leuchtet eine Lampe aus einem ausgesetzten Stück Schwemmholz. Auch von Spaziergängen mit Hund Kira kommt die 45-Jährige selten ohne ein besonderes Fundstück nach Hause. "Wenn wir im Wald sind, sammle ich Pilze und Adriana Holz", sagt Jurdik und grinst.
Den ersten großen Tisch baute Rezende, als die beiden Partnerinnen zusammenzogen, für das gemeinsame Wohnzimmer. Beim Versuch, einen Tisch zu kaufen, habe sie sich oft verarscht gefühlt, sagt Rezende. Die meisten Tischplatten waren geklebt, viele Verkäufer schienen wenig Ahnung vom Holz zu haben. Also baute Rezende den Tisch kurzerhand selbst, aus Massivholz. Diesem Prinzip sind sie treu geblieben. Das Holz für jeden Kundenwunsch suchen Jurdik und Rezende selbst aus. Sie beziehen es vor allem von einem Händler aus der Nähe von Graz, der die Bäume regional einkauft. Zustande kam der Kontakt durch Zufall - bei Instagram war ihnen der Händler vorgeschlagen worden. Überhaupt scheint sich einiges zusammenzufügen bei "Jurez", nicht nur die Namen der beiden Gründerinnen. Aus dem Lagerraum in Aschheim heraus haben Jurdik und Rezende längst expandiert; inzwischen haben sie neben einer Werkstatt ein eigenes Büro im Erdgeschoss und teilen sich die Verkaufsflächen mit dem Besitzer, einem eingesessenen Küchenanbieter. Nun blitzen zwischen gekachelten Durchreichen massive Tischplatten hervor, ergänzt der Cafétisch aus jahrhundertealter Mooreiche das mediterrane Küchenensemble.
"Mit Holz zu arbeiten, zu basteln, bringt mich runter", sagt Adriana Rezende.
(Foto: Angelika Bardehle)Ihr Vermieter war es auch, der sie mit wichtigen Tipps durch die ersten Klippen der Geschäftsgründung lotste. "Die ganze Bürokratie..." Jurdik schnauft. "Das war schwierig. Es gibt so viele Kammern, Versicherungen, und, und, und." Beide Geschäftsführerinnen arbeiten neben Jurez weiterhin in ihren Berufen, nun eben in Teilzeit. Das mildert den finanziellen Druck. Ihre Ersparnisse haben sie in die GbR gesteckt. Die Gründung aber haben sie nie bereut. "Das ist nicht nur ein Geschäft, das ist auch Hobby", sagt Rezende. Um besondere Wünsche ihrer Kunden umzusetzen, haben die beiden eine klare Arbeitsteilung. "Ich spreche mit dem Holz, Zuzana mit den Menschen", sagt Rezende und lacht. Im besten Fall entsteht am Ende ein Einzelstück, das allen Freude macht.