Süddeutsche Zeitung

Artensterben:Im Insektenhotel wird es still

Am Donnerstag startet das Volksbegehren "Rettet die Bienen". Naturschützer wie Eike Hagenguth aus Oberhaching sehen darin eine Chance, insgesamt auf die Notwendigkeit des Artenschutzes hinzuweisen.

Von Helena Ott

Mit dem Rad fährt Eike Hagenguth zum Insektenhotel in der Nähe der Kugler-Alm in Oberhaching. Es ist ein mannshoher Kasten, mit vielen Löchern zum Einnisten. Einige der Röhren aus Ton, Halmen und Holz sind mit einer gelben Masse verstopft. Harz, erklärt Hagenguth. Im Inneren liegen die Larven von verschiedenen Wildbienen und Wespenarten. Sie fressen, was ihnen das Muttertier an Nektar für den Winter bereitgelegt hat.

An den "Belegzahlen" im Insektenhotel merkt Hagenguth: Es sind weniger geworden. Laut einer Studie aus dem vorangegangen Jahr sind seit den Neunzigerjahren 75 Prozent aller Fluginsekten in Deutschland verschwunden. Der Schwund betrifft viele weitere heimische Tierarten, Amphibien und Vögel etwa. Schon seit 20 Jahren bemerkt Hagenguth, wie die Tiere vor seiner Haustüre weniger werden. Er kann keine Zauneidechsen mehr beobachten, kaum mehr Goldammern singen hören und er schützt die wenigen Gelbbauchunken, die im Biotop leben.

Obwohl der gelernte Gärtner in Rente ist, ist sein Terminkalender in diesen Tagen voll. Wie die Bienen im Frühjahr schwärmt er fast täglich aus, um für das bayernweite Volksbegehren "Artenvielfalt - Rettet die Bienen" zu werben. Von Donnerstag, 31. Januar, an können Wahlberechtigte ihre Stimme bei ihrer Gemeinde abgeben.

An diesem Montagabend hält Hagenguth, der ehrenamtlich beim Bund Naturschutz tätig ist, einen Vortrag im Gasthaus Weißbräu in Oberhaching. Gemeinsam mit einem Imker stellt er dort die Kernforderungen des Volksbegehrens vor.

Das Volksbegehren markiert eine Zäsur: Der erste groß angelegte Versuch, politisch gegen das Insektensterben vorzugehen. Bei "Rettet die Bienen" sollen die kleinen Honigsammler nach Vorstellung der Initiatoren stellvertretend stehen für die gesamte heimische Fauna. Von den Insekten hängt viel ab, weil sich auch ein großer Teil der Amphibien und Vögel von ihnen ernährt. Zur Aufzucht der Jungen seien sie besonders wichtig, sagt Eike Hagenguth.

Um Berufstätigen die Unterschrift zu erleichtern, bieten viele Gemeinden im Münchner Landkreis Sonderöffnungszeiten ihrer Rathäuser an. Die Hürde ist beträchtlich: Eine Million Bayern müssen unterschreiben, damit das Referendum Erfolg hat. Wenn das gelingt, muss der Gesetzentwurf des Aktionsbündnisses von den Abgeordneten im Bayerischen Landtag behandelt werden. Der Entwurf sieht den geringeren Einsatz von Pestiziden, die Insekten töten, vor sowie mehr zusammenhängende Schutzgebiete und einen Ausbau der ökologischen Landwirtschaft.

Eike Hagenguth hofft, dass das Quorum erreicht wird. Noch wichtiger ist ihm aber, dass sich im Bewusstsein der Politiker und der Gesellschaft schnell etwas ändert. "Es ist schlimm, wie sich die Menschen an diese Artenarmut gewöhnt haben und nicht verstehen, dass ihnen das langfristig die Lebensgrundlage nimmt", sagt der 77-Jährige. Studien belegen, dass 80 Prozente der Gemüsepflanzen und Obstbäume von der Bestäubung durch Wild- und Honigbienen abhängen.

Keine Bienen - keine pflanzlichen Produkte. Aber dazu müsste man erst einmal bemerken, dass die Insekten fehlen, sagt Hagenguth. Der Bund Naturschutz kann eigentlich im Moment nicht klagen. Seit mehreren Jahren steigen die Mitgliedzahlen im Münchner Raum. "Aber hier in Oberhaching sind das leider fast alles Leute ab 50", sagt Hagenguth. Nicht, dass er sich nicht über jeden freuen würde; er und seine Ortsgruppe brauchen dringend Unterstützung bei der Pflege von 200 Nistkästen, acht Biotopen und den Insektenhotels.

"Ich bin nicht mehr da, wenn der dramatische Artenschwund noch richtig zum Problem wird."

Dennoch versteht Hagenguth gerade die Lethargie der jungen Leute nicht. "Ich bin nicht mehr da, wenn der dramatische Artenschwund noch richtig zum Problem wird. Aber die Jungen, die müssen doch später damit leben."

In den vergangenen zwanzig Jahren konnte der Oberhachinger bei seinen Naturerkundungen sukzessive zusehen, wie die Landschaft umstrukturiert wurde: Blühende Wiesen wichen Wohnhäusern, kleinteiliger Ackerbau wich Monokulturen, Hecken und Büsche wurden gerodet. Hagenguth versteht, dass bäuerliche Kleinbetriebe zu wenig erwirtschaften können; aber "die Politik müsste dafür sorgen, dass nicht nur riesige Agrarkonzerne überleben", findet er.

In der Nähe seines Hauses sind acht Nistkästen, die Hagenguth sauber hält und repariert. In diesem Jahr sind erstmals nur noch fünf belegt. Der Oberhachinger ist völlig anders aufgewachsen als die meisten Kinder heute. Es gab nur wenig Spielsachen damals, sagt er. Irgendwie musste man sich beschäftigen.

"Wir haben halt Eidechsen gefangen und wieder freigelassen". Es war Zeit, Schmetterlinge zu beobachten, und die Namen von Bäumen, Blumen und Tieren zu lernen. Von der Wechselkröte über die Maskenbiene bis zum Flussregenpfeifer - Hagenguth erkennt sie alle. Heute sei man schon froh, sagt er, wenn ein Kind eine Amsel von einer Krähe unterscheiden könne.

Wo das Wissen über die Arten fehlt, fehlt häufig auch die Faszination. Seit der Verbreitung von Smartphones im Jahr 2010 sei es besonders schlimm geworden, sagt Hagenguth. Er könne verstehen, dass die Reize elektrischer Geräte häufig größer sind als das, was die ruhige Natur auf den ersten Blick zu bieten hat. Man müsse manchmal genau beobachten, bis man die Nester von Jungvögeln entdeckt, Fledermäuse in der Nacht fliegen sieht oder Frösche aufspürt, die sich auf den Weg in ein benachbartes Biotop machen, um einen Partner zu finden.

Damit das in Zukunft überhaupt noch möglich ist, setzt Hagenguth seine Hoffnung auf das Referendum. "Wir brauchen dringend mehr Ausgleichsflächen. Bunte, blühende Wiesen, wo die Insekten Nahrung finden, mehr Totholz, in dem Tiere nisten können." Er zeigt auf die eingeschneite Wiese hinter dem Insektenhotel.

Vor zehn Jahren hat der Bund Naturschutz erreicht, dass die Gemeindefläche nicht mehr bewirtschaftet wird. Nur einmal im Jahr wird gemäht. Wildwuchs. Die Büsche am Rand dürfen stehen bleiben und es wächst, was sich verbreitet. "Aus unserer Sicht ist das heute die wertvollste Fläche in ganz Oberhaching."

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SZ vom 28.01.2019/wkr
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