"Argumentationstraining gegen Stammtischparolen":Besser nachfragen als belehren

Uni Dozent Christian Boeser-Schnebel

Christian Boeser-Schnebel ist Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Pädagogik mit Schwerpunkt Erwachsenen- und Weiterbildung an der Universität Augsburg und Leiter des Netzwerks Politische Bildung Bayern.

(Foto: oh)

Christian Boeser-Schnebel erklärt, wie man auf Stammtischparolen reagiert

Interview von Daniela Bode, Neubiberg

In so einer Situation war wahrscheinlich jeder schon einmal: Man sitzt in einer Runde und plötzlich äußert sich jemand abfällig über Ausländer. Wie reagiert man am besten? Wie kontert man, damit der andere zum Nachdenken angeregt wird? Sich mit diesen Fragen genauer befassen kann man beim "Argumentationstraining gegen Stammtischparolen". Die Arbeiterwohlfahrt in Neubiberg lädt an diesem Mittwoch, 28. Juni, um 19 Uhr zu der Veranstaltung im Wilhelm-Hoegner-Haus an der Albrecht-Dürer-Straße 29 ein. Im Gespräch mit der SZ erklärt der Augsburger Uni-Dozent Christian Boeser-Schnebel, der das Training mitentwickelt hat, was die Teilnehmer dabei lernen können.

SZ: "Mit den Flüchtlingen ist die Kriminalität enorm gestiegen." Was entgegnet man einem, der das behauptet?

Boser-Schnebel: Ich würde versuchen, durch Fragen mit dem anderen ins Gespräch zu kommen. Zunächst brauche ich ja Informationen, was er genau meint und warum er das behauptet. Ich kann über Nachfragen den Hintergrund seiner Äußerung erfahren. Ich kann mit ihm auch darüber sprechen, was Kriterien für eine zuverlässige Quelle sind. Sagt er, seine Informationen kommen aus den hintersten Winkeln des Internets, kann ich die Seriosität begründet anzweifeln. Grundsätzlich muss ich mir auch meine Haltung überlegen: Will ich ihn belehren oder interessiert mich, was der Anlass seiner Äußerung ist?

Was bringen Sie den Menschen also in Ihren Trainings bei?

Der Clou ist: Viele wollen bei so einem Kurs Tricks, Strategien und Techniken, wie sie beispielsweise bei menschenfeindlichen Äußerungen Paroli bieten können. Wir wollen aber auch vermitteln: Wenn ich bei anderen Lernprozesse auslösen will, darf ich sie nicht belehren, sondern muss das offene Gespräch suchen. Es geht viel darum, warum jemand sich scharf oder aggressiv äußert. Wichtig ist deshalb sowohl die klare eigene Positionierung als auch die Offenheit für andere Positionen. Wenn die Bedeutung dieser Haltung klar ist, dann kann man über Techniken reden. Die Offenheit praktiziert man zum Beispiel, indem man Fragen stellt. Wer sagt, "die Politiker reden doch nur von Gerechtigkeit - da ist aber nichts dahinter", den könnte man fragen: Was wäre denn gerecht? Mit Nachfragen bringt man Menschen dazu, sehr viel differenzierter zu sein.

Was ist das Besondere an Ihrem Ansatz?

Man lernt nicht das beste Argument kennen, sondern einen Gesprächsmodus zu finden. Und wenn ich diesen Gesprächsmodus praktiziere, finde ich oft zusammen mit meinem Gesprächspartner gute Argumente.

Manche Teilnehmer verlassen Ihre Trainings auch irritiert. Warum?

Ein pensionierter Anwalt sagte einmal: Ich will die richtige Technik lernen, um die Idioten auszutricksen und ihnen die Wahrheit beizubringen. Ich fragte ihn nach seiner Haltung. Eine klare Position habe er, aber - das müsse er zugestehen - keine Offenheit. Und das ist das Problem: Viele unterstellen anderen eine Arroganz, für die sie aber selbst anfällig sind. Wenn Teilnehmer das erkennen, sind sie erst einmal bedröppelt. Wir arbeiten mit einer Technik, die das Dilemma in den Mittelpunkt stellt. Es gibt oft zwei Werte, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Bei Sozialverbänden kommt oft die Frage, wie man bei der Behauptung, "die Flüchtlinge kriegen alles", dagegen argumentiert. Auf der einen Seite steht der Wert, anderen zu helfen. Auf der anderen Seite der Wert: Wir müssen an unsere eigenen Leute denken. Nur darf man diesen Wert eben nicht absolut setzen. Sonst lande ich bei Hartherzigkeit gegenüber Fremden. Das Ziel ist zu begreifen, dass es nicht um Entweder-oder geht, sondern um Sowohl-als-auch.

Sie haben bei den Trainings großen Zulauf. Wer bucht sie?

Das Interesse ist sehr breit. Volkshochschulen, Stiftungen, Schulen, Jugendverbände, Helferkreise und Parteien, jüngst auch die Bundeswehr.

Oder eben die Arbeiterwohlfahrt in Neubiberg. Wie läuft der Kurs ab?

Es wird einen Vortrag geben, aber auch interaktive Elemente. Oft kommen die Leute mit eigenen Erfahrungen, die dann besprochen werden.

Wegen der großen Nachfrage an Trainings gibt es mittlerweile ein Team an Referenten. In Neubiberg wird Wolfgang Fänderl, der im Bereich politische Bildung freiberuflich tätig ist, sprechen. Die Teilnahme ist kostenlos. Anmeldung unter Telefon: 0151/58 40 98 38.

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