Süddeutsche Zeitung

Archäologie:Die armen Ochsen

Simon Trixl und seine Kollegen vom Institut für Paläoanatomie der LMU sind bei Ausgrabungen rund um Kirchheim auf interessante Funde gestoßen. Diese lassen Rückschlüsse auf einen nicht eben zimperlichen Umgang mit Tieren zu

Von Pauline Deichelmann, Kirchheim

Tiere hatten schon vor vielen Tausend Jahren eine wichtige Aufgabe für die Gesellschaft. Das hat Simon Trixl gemeinsam mit sieben weiteren Wissenschaftlern des Instituts für Paläoanatomie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) herausgefunden. Seit mehreren Monaten ist er bei Ausgrabungen rund um Kirchheim beteiligt. Am Dienstagabend nun stellte die Ergebnisse in einer großen Präsentation in der Gemeindebücherei Kirchheim vor. "Zwischen Wandel und Beständigkeit: Die Entwicklung der späteisenzeitlichen-frührömischen Viehwirtschaft im Alpenraum und dem nördlichen Alpenvorland", lautete der Titel der Abschlussarbeit. Bei den Ausgrabungen konzentrierte sich Trixl vor allem auf die Heimstettener Gruppe. Dies ist ein Zusammenschluss verschiedener Orte auf der Fläche, wo heute Poing, Heimstetten, Kirchheim und andere liegen.

Eine Zivilisation, wie sie zu dieser Zeit existierte, wäre ohne die Tiere nicht möglich gewesen, denn sie waren vielseitig einsetzbar, wie Trixl sagt. Das Geweih und die Knochen von Tieren wurde für die Produktion von Werkzeugen wie Messer oder Hammer eingesetzt. Außerdem bildeten Tiere eine wichtige Grundlage der damaligen Ernährung.

Durch die Struktur oder Hack- und Schnittspuren an den Knochen konnten die Wissenschaftler feststellen, dass sich die Zerlegungsweise der Tiere im Laufe der Zeit änderte. Eines blieb aber immer gleich: Die Rinderzucht bestimmte des alltägliche Leben der Menschen zur damaligen Zeit. Mehr als 60 Prozent der Tierhaltung bestand aus Rindern, gefolgt von Pferden und anderen Kleintieren. Rund um Kirchheim gab es nach den Worten des Wissenschaftlers keine Funde, die auf eine Hühnerzucht hinweisen. Somit waren Rinder und Pferde die Hauptnutztiere der Bevölkerung um das Jahr 50 nach Christus in römischer Zeit. Der Grund dafür war laut den Archäologen der gute Zugang zu Grundwasser, denn damals wie heute benötigten Rinder viel Wasser. Auch die große Anzahl an vorhandenen Weideflächen spielte eine wichtige Rolle.

Das Besondere an der Rinderhaltung in der Heimstettener Gruppe war die frühe Schlachtung junger Ochsen. Reste von Kühen fand man bei den Ausgrabungen nur selten. Somit dürfte die Milchproduktion nicht die Lebensmittelproduktion bestimmt haben. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass viele Ochsen aufgrund ihrer Größe und Kraft als Zugtiere für den überregionalen Markt gezüchtet wurden. Nur die Ochsen, die nicht für die Arbeit auf dem Feld geeignet waren, wurden geschlachtet.

Die Heimstettener Gruppe hat sich bewusst von der Römischen Gruppe unterscheiden wollen. Daher wählten sie einen anderen Kleidungsstil und eine andere Bestattungsweise. Die Gruppe zeichnete sich auch dadurch aus, dass sie die verstorbenen Tiere ähnlich wie die Menschen bestatteten, und in harten Wintern lebten die Tiere mit der Familie im Haus. Zimperlich aber ging man mit den Tieren nicht um. An den Knochen von Ochsen ließ sich feststellen, dass sie sich bei der harten Arbeit diverse Knochenbrüche oder Gelenkverstauchungen zuzogen, wie Trixl berichtete.

Mehr als 3000 Knochen hat das Team um Simon Trixl in den vergangenen zwei Jahren rund um Kirchheim gefunden und untersucht. Die Gegend in diesem Bereich biete den Archäologen noch viele Möglichkeiten für weitere Forschungen zu der Eisen- und Römerzeit, sagte der Wissenschaftler.

In der ersten Version war der Titel des Forschungsberichts falsch wiedergegeben worden. Außerdem war die Heimstettener Gruppe nicht ausreichend erklärt.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2019
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