Wer die Arbeitslosenzahlen im Landkreis München für den Juli betrachtet, könnte auf den ersten Blick alarmiert sein. Immerhin waren 1057 Menschen mehr arbeitslos als im Juli des Vorjahres, ein Plus von gut 20 Prozent. Das Gleiche galt bereits im Juni: Vor einem Monat zählte die Agentur für Arbeit 1023 Menschen mehr ohne Beschäftigung als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich, dass es keinen Grund zur Panik gibt. Denn mit einer Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent herrscht im Landkreis offiziell immer noch Vollbeschäftigung, auch wenn 6206 Menschen aktuell eine Beschäftigung suchen. Und obgleich die Quote vor einem Jahr mit 2,6 Prozent noch niedriger war, steht München-Land nach wie vor noch etwas besser da als der bayerische Durchschnitt, der mit 3,5 Prozent bundesweit ebenfalls zu den niedrigsten zählt.
Trotzdem behalte die Agentur für Arbeit München die sich verschlechternde Situation im Blick, sagt Pressesprecher Birger Nemitz. Woran genau die gestiegenen Arbeitslosenzahlen lägen, könne er aktuell noch nicht sagen. Zeit für einen Blick auf die Details.
Das Gute vorweg: Auch die absolute Zahl der Erwerbstätigen ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. 4060 Menschen mehr hatten im Juni einen Job. Es wird also nach wie vor eingestellt im Landkreis. Bei der gestiegenen Arbeitslosigkeit im Landkreis dürfte es sich also wahrscheinlich nicht um sogenannte konjunkturelle Arbeitslosigkeit handeln. Konjunkturelle Arbeitslosigkeit tritt auf, wenn wegen schlechter Wirtschaftslage Menschen weniger Geld ausgeben, in der Folge die Nachfrage sinkt und Firmen ihre Arbeitnehmer entlassen oder zumindest keine Neuen mehr einstellen.
Doch obschon das für die Gesamtsituation kein grundlegendes Problem zu sein scheint, könnten einzelne Branchen von konjunktureller Arbeitslosigkeit betroffen sein. So fiel die Frühjahrsbelebung in der Baubranche laut Florian Reil, Pressereferent der Industrie und Handelskammer München und Oberbayern (IHK), auch deswegen gering aus, weil hohe Kosten und eine angespannte Haushaltslage zu weniger Bauaufträgen geführt hätten. An anderer Stelle sei die für die Jahreszeit übliche Belebung des Arbeitsmarktes aus anderen Gründen ausgeblieben. So liege etwa das Geschäft im Blumengroßhandel wegen des unberechenbaren Wetters in diesem Frühjahr teils brach.
Die größte Ursache dürfte ein Matching-Problem sein
Im Landkreis München hat sich derweil der negative Trend auf dem Arbeitsmarkt im Juli fortgesetzt – verglichen mit dem Vorjahreszeitraum sind die Arbeitslosenzahlen sogar explodiert. Insgesamt meldete die Bundesagentur für Arbeit für diesen Juli 6206 Arbeitslose, das entspricht 20 Prozent mehr als noch im Juli 2023. In diesem Juli meldeten sich insgesamt 1790 Menschen neu oder erneut arbeitslos, mehr als 300 als im Juni. Dennoch stieg die Zahl derer, die aus der Erwerbslosigkeit herauskamen im Juli um etwas mehr als 100 Menschen auf nahezu 1800.
Dieser rege Wechsel spricht für einen hohen Anteil an friktioneller Arbeitslosigkeit. Diese tritt auf, wenn Menschen sich etwa beim Wechsel von einem Job zum nächsten für kurze Zeit arbeitslos melden, obwohl sie bereits ihre nächste Stelle in Aussicht haben. Auch wer sich nach einer abgeschlossenen Ausbildung kurzfristig arbeitslos meldet, fällt in diese Kategorie.
Gleichzeitig bleiben viele ausgeschriebene Stellen länger vakant. Die Betriebe hätten teils große Probleme, passende Bewerber für ihre freien Stellen zu finden, sagt Florian Reil von der IHK. Inzwischen rede er nicht mehr vom Fachkräftemangel, sondern von Arbeitskräftemangel, da auch Hilfskräfte fehlten. Dass in diesem Juli im Vergleich zum Vormonat und zu 2023 weniger offene Stellen gemeldet sind, sei dabei kein Indikator für einen gegenläufigen Trend, so Nemitz. „Wir sehen hier eher eine Normalisierung. Langsam ist die Zahl der ausgeschriebenen Stellen wieder auf dem Niveau der Zeit vor Corona angekommen.“
Dass die ausgeschriebenen Stellen länger unbesetzt bleiben, erklärt Nemitz mit einem „Matching-Problem.“ Dieses trete auf, wenn die ausgeschriebene Stelle nicht zum Bewerber passt. Gründe dafür seien die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort oder die Tatsache, dass der Bewerber nicht die gewünschte fachliche Qualifikation mitbringe. Dieses Problem betreffe vor allem hoch spezialisierte Fachkräfte, bei denen eine Weiterbildung oder Umschulung nicht immer umsetzbar sei. So entsteht neben friktioneller auch strukturelle Arbeitslosigkeit.
Aktuell sei es noch zu früh, um einen langfristigen Trend zu erkennen
Dabei ergibt sich je nach Branche eine andere Lage. Im Bereich der fertigungstechnischen Berufe etwa kommen im Juli nur 0,8 potenzielle Bewerber auf jede Stelle. Bei Verkehrs- und Logistikberufen und Bau- und Ausbauberufen ist das Verhältnis mit etwas mehr als eins zu eins für die Unternehmen nur geringfügig besser. Am besten sieht es für sie mit je 5,9 Bewerbern pro Stelle für Berufe in der Unternehmensführung und Organisation oder Berufe im Bereich der unternehmensbezogenen Dienstleistung aus. Indes sind die Zahlen nur bedingt aussagekräftig, da etwa 17 Prozent der Arbeitslosen bei der Agentur für Arbeit keine Angabe über ihr Ziel-Berufsfeld gemacht haben.
Simone Burger, Regionsgeschäftsführerin der DGB München sieht keine Krise in einer konkreten Branche, die für die steigenden Arbeitslosenzahlen verantwortlich wäre. Aktuell sei es noch zu früh, um einen langfristigen Trend zu erkennen. So seien weiter die Arbeitgeber in der Pflicht, attraktive Angebote zu schaffen, um Arbeitskräfte zu gewinnen. „München Land muss man sich leisten können und dies ist mit vielen Gehältern nicht mehr möglich“, gibt sie zu bedenken. Auch bezahlbarer Wohnraum in der Nähe der Arbeit sei ein wichtiger Faktor. Bei 3,6 Prozent Arbeitslosigkeit sei der Markt für die Bewerber noch so gut, dass viele nicht dazu bereit seien, für einen Job weit zu pendeln, vermutet auch Nemitz.