Alltagsrassismus:Traurige Realität

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Mehr als 60.000 Bürger mit ausländischem Pass leben im Landkreis München. Die Bevölkerung ist bunt. (Foto: Stephan Rumpf)

Menschen aus 165 Nationen leben im Landkreis. Das Bild von Weltoffenheit trübt ein Rassismus, der sich ganz oft im Kleinen zeigt

Von Gregor Bauernfeind, Landkreis München

Mit dem Vorurteil, dass Migranten ärmer, weniger weltoffen und gebildet seien, ist auch Inci Ahmad konfrontiert. "Ach", habe sie verwundert mal jemand direkt angesprochen, als er sie mit einer überregionalen Zeitung unterm Arm gesehen habe. "Du liest die?", fragte der Gesprächspartner die SPD-Politikerin, die seit 2002 im Unterhachinger Gemeinderat sitzt. Aufgrund ihres Aussehens hatte er ihr das offenbar nicht zugetraut.

Als sie vor 40 Jahren nach Unterhaching gekommen sei, sei die Situation noch schlimmer gewesen, sagt sie. Viele hätten Abstand gehalten, sie nicht gegrüßt oder ihr ins Gesicht geschaut und ihr zu verstehen gegeben: Du gehörst nicht zu uns. "Mit viel Traurigkeit" blicke sie heute auf diese Jahre ohne Wärme zurück. Mit der Zeit hat sie sich an solch eine Ungleichbehandlung gewöhnt. "Heute tut es mir nicht mehr weh."

Mehr als 60.000 Bürger mit ausländischem Pass leben im Landkreis München. Die Bevölkerung ist bunt. (Foto: Stephan Rumpf)

Mittlerweile ist der Landkreis auch bunter. Im Landkreis leben Menschen aus 165 Nationen. Die Zahl der ausländischen Bürger übertraf 2015 erstmals die 60 000, heute sind es 62530. EU-Binnenwanderung vor allem aus neuen Mitgliedsstaaten sei mit für die jüngsten Veränderungen verantwortlich, sagt Ali Danabas, der Integrationsbeauftragte des Landkreises.

So haben Italiener und Kroaten den Türken den Rang abgelaufen. Der Großteil der ausländischen Bevölkerung konzentriert sich auf wenige Herkunftsländer, zwei Drittel von ihnen kommen aus 15 Nationen (siehe Grafik), die mit Ausnahme von Afghanistan, Kosovo, Bosnien und der Türkei christlich geprägt sind. Unter den 62 530 Ausländern sind auch die 4107 derzeit im Landkreis lebenden Asylbewerber, sie stammen vor allem aus Afghanistan, Syrien und Nigeria.

SZ-Grafik; Quelle: Landratsamt (Foto: SZ-Grafik; Quelle: Landratsamt)

Im Landkreis gebe es eine Vielzahl von Akteuren, die sich für Integration und gegen Rassismus einsetzten, sagt Danabas. Asyl-Helferkreise existierten in jeder Gemeinde. "Die leisten Unglaubliches. Sie tragen ganz wesentlich dazu bei, dass Integration gelingt", lobt der Beauftragte. Doch die Realität ist differenziert. Auch wenn sich seit der Ankunft Inci Ahmads vor 40 Jahren in Unterhaching viel zum Besseren gewandelt hat, hat sich in den vergangenen Jahren das gesellschaftliche Klima wieder verschärft, da sind sich Danabas und Ahmad einig. "Sarrazin hat die Büchse der Pandora geöffnet", sagt Ali Danabas. Er sei als Vertreter einer etablierten Partei ohne Konsequenzen mit seinen Ansichten durchgekommen, die Hemmschwelle, rassistische Ressentiments ganz offen zu äußern, sei seither gesunken.

SZ-Grafik; Quelle: Landratsamt (Foto: SZ-Grafik; Quelle: Landratsamt)

"Die Menschlichkeit wird weniger", findet auch Mustafa Sahin aus Putzbrunn. Er engagiert sich seit 20 Jahren für Integration und ist Sprecher der Gruppe "Begegnung der Kulturen" der Agenda 21 Ottobrunn-Neubiberg. Seit 2015 viele nach Deutschland flüchteten, habe sich die Situation verschärft, auch für Menschen mit Migrationshintergrund, die schon lange im Land sind. In Deutschland spende und helfe man zwar sehr viel, lobt Sahin. Durch Finanzkrise und Existenzängste sei der Ton aber rauer geworden. "Nur wer genug Brot auf dem Tisch hat, teilt gerne", sagt er. Politik und Medien tragen seiner Meinung nach eine Mitschuld an den Vorurteilen.

SZ-Grafik; Quelle: Landratsamt (Foto: SZ-Grafik; Quelle: Landratsamt)

Und bei denen bleibt es manchmal nicht. 433 rechtsmotivierte Straftaten, davon 39 Gewaltdelikte, hat es 2015 im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums München, also in der Landeshauptstadt und im Landkreis, gegeben. Ausländer und Andersaussehende sind nicht immer Opfer dieser Straftaten, 144 Fälle werden aber als "fremdenfeindlich", 24 als "antisemitisch" eingestuft. 2016 blieb die Zahl der Straftaten konstant, 437 zählt die Polizei München, davon zehn gegen Asylunterkünfte. "Eine organisierte geplante Begehung von Gewaltdelikten war in diesem Bereich nicht festzustellen", heißt es im jüngsten Sicherheitsreport.

SZ-Grafik; Quelle: Landratsamt (Foto: SZ-Grafik; Quelle: Landratsamt)

"Das Bild organisierter Nazigruppen ist veraltet", bestätigt Anja Spiegler, die sich bei der Beratungsstelle "before" in München um Opfer rechter und rassistischer Gewalt kümmert. Das Problem sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sagt sie. Die Opfer hätten über die körperliche Gewalt hinaus vor allem lange mit einer psychischen Belastung zu kämpfen. "Es reißt einen aus dem Alltag", sagt sie. In mehr als 100 Fällen hat Spiegler seit Gründung der Organisation im März 2016 Betroffene aus Kreis und Stadt betreut. Ein Hinweis darauf, dass nicht alle Fälle angezeigt werden.

Außer Opfern von Gewalttaten betreut "before" auch Betroffene von Diskriminierung, also Menschen, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes ungleich behandelt werden. Ein im Vergleich zu den sichtbaren Gewalttaten weniger klar umrissenes, aber auch weiteres Feld. Im Gesundheitswesen, auf Ämtern und Behörden oder im Bildungskontext findet laut "before" Diskriminierung beispielsweise statt. Handfeste Nachteile haben Betroffene auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Ein Problem, mit dem vor allem die Asylbewerber im Land zu kämpfen haben - das zeigen auch die knapp 1000 "Fehlbeleger" im Landkreis, die als anerkannte Flüchtlinge keine eigene Wohnung finden und so weiter in den für sie nicht mehr vorgeschriebenen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. "Die Wohnungssituation in der gesamten Region ist angespannt. Darunter leidet die ganze Bevölkerung. Behinderte, Alleinerziehende, ältere Menschen oder Ausländer haben es noch etwas schwerer", bestätigt Ali Danabas.

"Eine gewisse Resignation" bei den Betroffenen stellt Anja Spiegler von "before" fest. "Es wird viel geschwiegen", sagt sie. Viele Opfer kennen es schlicht nicht anders und halten Diskriminierung für normal. Andere halten die Füße still, um nicht noch mehr Ärger zu bekommen. "Wir können leider beobachten, dass es einem zum Nachteil ausgelegt wird, wenn man den Mund aufmacht", sagt Spiegler.

Eine Vertreterin der jüngeren Generation ist Nihan-Serra Yamak. Die Tochter türkischer Einwanderer ist in Garching aufgewachsen, heute sitzt die 29-jährige für die SPD im Stadtrat. Am eigenen Leib habe sie nie Diskriminierung erfahren in Garching, dessen Zivilgesellschaft sie lobt. Doch erst neulich sei ihr die Einreise in die USA verweigert worden, die sie wegen einer Hochzeit besuchen wollte. "Wegen meines iranischen Namens. Das ist ein Beispiel, wie es werden kann, wenn man nicht vorbeugt", sagt sie. Wenn man sie aber so darauf anspricht, fällt ihr dann doch etwas ein. Als sie vor kurzem innerhalb Garchings umzog, hat sich ihre langjährige Nachbarin nicht verkneifen können, sie mit den Worten zu verabschieden: "Geht's doch dahin, wo ihr hergekommen seid!" Yamak hat sich gewundert. Sie war doch immer schon da.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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