Alexander Jesipow:Neue deutsche Melancholie

Alexander Jesipow ist ein gefragter Fotograf der Münchner Musikszene. Nun hat er ein neues Motiv gefunden: Aufnahmen, die junge Menschen in ihrer ganzen Verletzlichkeit zeigen.

Annika Willer

7 Bilder

Tuo, Münchner Mädchen-Duo

Quelle: sz.muk

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Ein Bild von zwei Mädchen in Sommerkleidern auf einer Blumenwiese, barfuß, offene Haare. Naturverbunden sieht das aus, spielerisch, ja: hippiemäßig. Es ist das Bandfoto von Tuó, einem jungen Folk-Duo aus Wolfratshausen, das in den letzten Monaten oft in Zeitungen und Magazinen zu sehen gewesen ist: Die beiden Musikerinnen starten gerade richtig durch. Alexander Jesipow hat das Foto gemacht. Der 20-jährige Münchener ist Haus- und Hoffotograf der jungen Münchener Bandszene - viele Musiker freuen sich, vor seiner Kamera posieren zu können, von ihm ins rechte Licht gesetzt zu werden. Doch das ist Alexander nicht mehr genug. Im Herbst wird er nach England gehen, um dort Fotografie zu studieren. Er will sich weiterentwickeln.

SZ-Extra

Quelle: Alexander Jesipow/oh

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Bisher ist er vor allem durch seine Fotos der Bands von "Flowerstreet Records" aufgefallen, einem kleinen Indie-Plattenlabel aus München. Er ist bei Konzerten dabei, gestaltet die CD-Covers und macht Pressefotos für die Bands. "Ich habe versucht, dass die Musik von Tuó in den Bildern widergespiegelt wird", erklärt Alexander. Das ist ihm gelungen. Immer, wenn über Tuó berichtet wird oder wenn jemand die MySpace-Seite der beiden Folk-Mädchen besucht, ist eines von Alexanders Bildern zu sehen.

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Quelle: Alexander Jesipow/region.lkz

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Auch Labelchef und Singer/Songwriter Gregor "Amadeus" Böhm hat er fotografiert, zudem die Bands Five!Fast!!Hits!!!, Lucky Fish, Elektrik Kezy Mezy und Pardon Ms Arden. Die Stärke von Alexander Jesipow: Alle Bandfotos sind sehr individuell - die Aufnahmen von Tuó wirken romantisch, die Pressebilder von Amadeus hingegen sind sehr schrill. Die Bildsprache ähnelt sich dennoch. "Ich mag Minimalismus, kleine Details, relativ schlicht gehaltene Bilder", erklärt der junge Fotograf.

Im Bild: Singer/Songwriter Gregor "Amadeus" Böhm

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Quelle: mue

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Alexander wirkt schlaksig, er trägt eine helle Jeans, ein einfaches Hemd, schwarze Sneaker. Eine Wuschelfrisur hat er. Auffällig lebendige Augen. Und am Arm trägt er eine knallblaue Uhr - die sticht heraus, wie manche der Details auf seinen Bildern.

Zum Fotografieren ist er eher zufällig gekommen: Vor dreieinhalb Jahren, an einem schönen Frühlingstag, hat Alexander die alte Kamera seines Vaters mit in die Stadt genommen und Motive gesucht. "Das hat mir unheimlich Spaß gemacht", erzählt er. In der Anfangszeit schießt Alexander oft Bilder im Vorbeigehen, unbemerkt. Die Menschen sollen sich nicht darauf einstellen, fotografiert zu werden.

Im Bild: Der Fotograf selbst, Alexander Jesipow

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Quelle: region.lkz

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Gerade mal acht Monate, nachdem er die Kamera für sich entdeckt hat, ist er auf einem Konzert im Münchner Atomic Café: Es spielen "Five!Fast!!Hits!!!", Münchner Szenegrößen. Alexander macht Fotos - ungefragt, einfach so. Nach dem Konzert ist er zur Band gegangen und hat ihnen die Aufnahmen gezeigt. Alexander schmunzelt ein wenig, als er von diesem Abend erzählt. Kurz: Die Musiker sind so angetan von den Bildern gewesen, dass Alexander sie von da an weiter begleitet hat. Gregor Amadeus Böhm ist Gitarrist der Band gewesen - als sich Five!Fast!!Hits!!! auflöst und Böhm die Plattenfirma Flowerstreet Records gründet, nimmt er Alexander einfach mit.

Konzertfotos reizen Alexander noch immer. "Die großartige Stimmung, die Freude, die Motivation der Musiker, ihr Einsatz: Das will ich in den Fotos rüberbringen", sagt Alexander. Auf seinen Konzertbildern sieht man Schweißtropfen der Musiker, die Anstrengung, die Lebensfreude. Oft in Schwarzweiß, rau und ungeschliffen.

Das ist die eine Seite, die bekanntere. Aber Alexander macht auch andere Bilder. Sehr häufig hat er im Alltag seine Kamera dabei - und sobald die Stimmung passt, wenn jemand etwas Bestimmtes ausstrahlt, macht er ein Foto.

Bild: "Amadeus" bei der Bandprobe

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Quelle: region.lkz

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Alexander mag Fotos von Menschen. Nicht unbedingt Porträts, dieser Unterschied ist ihm wichtig. Er kann seine Bilder gut erklären. Von Linien spricht er, vom Licht. Man merkt, dass er bewusst vorgeht, sich Gedanken macht. Auf vielen seiner Fotos sind Menschen zu sehen, die allein in einer schlichten Kulisse sind. Kaum einer der Protagonisten hat Blickkontakt zur Kamera, der Betrachter darf sich als unbemerkter Beobachter fühlen. Er hält sich als Fotograf eher im Hintergrund. "Ich versuche, nicht zu werten", erklärt er.

So ist das auch bei seiner neuen Serie, die in seiner freien Zeit seit dem Abitur entstanden ist. Bis er sein Fotografie-Studium am Bournemouth Arts University College in England beginnt, nutzt er jeden Moment, um diese Fotoidee umzusetzen. "In der aktuellen Serie geht es um Jugend und eine Art Zwiespältigkeit: Man feiert, albert herum, lebt - doch gleichzeitig ist da Angst vor der Zukunft", sagt er.

"Beschwerdelosigkeit" nennt er das Gefühl, und es klingt wie ein Synonym für unbestimmte Melancholie. Nicht unglücklich sein, aber auch nicht wissen, wie es weitergeht. "Ich kenne diese Art Gefühl von einigen Freunden", sagt Alexander - nur er selbst habe relativ schnell gewusst, was er machen will. Einsam wirken die Figuren auf den Aufnahmen, manchmal hilflos, fast traurig. Alexander macht Fotos, die Menschen in ihrer ganzen Verletzlichkeit zeigen, nicht voyeuristisch, nicht effektheischend, sondern bewegend.

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Quelle: mue

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Etwa bei dieser Schwimmbad-Szene: Über einem menschenleeren Pool am Meer türmen sich dunkle Gewitterwolken - eine fast apokalyptische Szene. Eine Frau im weißen Bikini ist gerade aus dem Wasser gestiegen, Wasser perlt an ihr hinab. Sie ist in Bewegung, als würde sie flüchten. Das Bild hat beides: gerade vergangene Badevergnügen, aber auch drohendes Unheil. Vergnügen. Unheil. Und dazwischen irgendwo die jugendliche Freiheit.

Die Autorin ist 23 Jahre alt. Weitere Texte unter www.sz-jugendseite.de

© SZ vom 28.06.2010/hai
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