Äußere Stadtmauer freigelegt:Auferstanden aus der Grube

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Historischer Fund: Beim Viktualienmarkt haben Archäologen Reste der äußeren Stadtmauer geborgen. Jetzt sollen die Blöcke in der Nähe wieder aufgebaut werden.

Martin Bernstein

Ein klarer, sonniger Februartag vor 500 Jahren. Im Wasser des Stadtbachs spiegelt sich Münchens doppelter Mauerring: die eigentliche Stadtmauer, bis zu 14 Meter hoch aufragend; davor die acht Meter hohe Zwingermauer. Besonders wehrhaft wirkt sie durch den Sockel aus riesigen, sorgfältig behauenen Nagelfluhquadern. Und durch die vorspringenden, zur Stadt hin offenen Schalentürme, die einem Angreifer im Fall des Falles keine Deckung bieten sollen.

An der Westenriederstraße bergen Archäologen Reste der alten äußeren Münchner Stadtmauer. Wie diese vor ihrem Abbruch vor 200 Jahren ausgesehen haben könnte, zeigt das Gemälde auf dem Bild. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Bild, das sich Archäologen und Denkmalpfleger von Münchens vier Kilometer langer äußerer Stadtmauer machen können, gewinnt immer mehr Konturen. Im Dezember legten Archäologen Mauerzüge zwischen Maximilianstraße und Landesamt für Denkmalpflege frei. Jetzt sind sie an der Westenriederstraße zwischen Isartor und Viktualienmarkt, direkt neben dem Lokal Beim Sedlmayr, auf Fundamente der Zwingermauer und eines Schalenturms gestoßen.

Wobei der Fund alles andere als Zufall ist. Die Archäologen um Grabungsleiter Klaus Vetterling wussten genau, wonach sie zu suchen hatten. Und die Bauherren, was auf sie zukam. Ein archäologischer Stadtkataster erleichtert Planern, Bauherren und Denkmalschützern die Arbeit. Mittelalterarchäologe Christian Behrer, der die Grabungen am Schreibtisch vorbereitete, hat einen ganz wichtigen Mitarbeiter. Der lebte vor 450 Jahren und hieß Jakob Sandtner.

Der Drechslermeister fertigte im Jahr 1570 ein exaktes Holzmodell der Residenzstadt München, das heute im Bayerischen Nationalmuseum zu sehen ist. Sandtner arbeitete so exakt, dass er den Archäologen des 21.Jahrhunderts "auf einen halben Meter genau" (Behrer) den Weg weist. Weitere Hinweise liefern Stadtpläne und Darstellungen aus späteren Jahrhunderten. Bauherren, die notwendige Grabungen aus eigener Tasche finanzieren müssen, wissen durch diesen archäologischen Katasterplan bereits im Vorfeld, wie viel Zeit (und Geld) sie einplanen müssen.

Mauer soll wieder aufgebaut werden

Auf der Westenriederstraße, wo der Metallgitter-Bauzaun ziemlich genau an der Stelle der inneren Stadtmauer aufgestellt worden ist, bleiben die Passanten stehen. Sie schauen in eine tiefe Grube: Mauerreste, Bodenverfärbungen, ein provisorisches Schutzzelt. Was sie von oben nicht sehen: die auch für die Experten überraschend gut erhaltenen Buckelquadersteine, die den Sockel der Zwingermauer bildeten.

Für die Erbauungszeit der Mauer Mitte des 15. Jahrhunderts eigentlich ein Anachronismus. Buckelquader zierten die Burgen der Stauferkaiser 250 Jahre früher. Eine bewusste Reminiszenz an vergangene Wehrhaftigkeit? Oder im Gegenteil avantgardistisches Bauen nach dem Vorbild der damals gerade topmodernen italienischen Renaissance? Behrer und die anderen Experten an der Grabungsstelle sind sich da noch nicht ganz sicher. So oder so: Beeindruckend muss es auf jeden Fall ausgesehen haben.

Die Münchner werden sich selbst ein Bild davon machen können. Ludwig Semmler, städtischer Denkmalschutz-Chef, verspricht, dass die Blöcke geborgen werden und - nach Zwischenlagerung auf dem Bauhof - möglichst in der Nachbarschaft wieder aufgebaut werden. Eventuell in der Grünanlage zwischen Riemerschmid-Schule und Isartor. Schon früher wurden übrigens Steine aus der Stadtmauer wiederverwendet. Auf dem Zwingergrundstück an der Westenriederstraße errichtete Hofbaumeister Jean Baptiste Métivier 1824 Münchens erste neuzeitliche Synagoge im Stil des Klassizismus. Bis 1887 fanden dort die Gottesdienste der 1815 gegründeten Israelitischen Kultusgemeinde statt.

Überlegungen hat es zuletzt gegeben, ob die neue Synagoge der Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth Shalom an derselben Stelle gebaut werden könnte. Die Stadt verkaufte das Grundstück dann jedoch an die Baywobau. Und Landeskonservator Sebastian Sommer bescheinigt Stadt und Eigentümer, ihnen sei aus denkmalpflegerischer Sicht ein Beispiel gelungen, "wie's laufen soll".

© SZ vom 09.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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