Süddeutsche Zeitung

Achtspurige A99:Immer breiter

Der erste Abschnitt des Autobahnrings München-Ost ist achtspurig ausgebaut. Das hat es gebracht - und so geht es weiter.

Von Martin Mühlfenzl

Warum der Münchner Norden von vielen Menschen, besonders auch jenen, die hier leben, für den Hinterhof der Großstadt gehalten wird, lässt sich gut von den Liegewiesen am Feringasee aus begreifen. Braun-gelbes Laub umspielt um diese Jahreszeit die Hochspannungsmasten der Stromtrasse, welche die Landschaft zerschneidet, am Horizont rauchen die Schlote des Heizkraftwerks Nord, und wer den Blick nach Norden richtet, sieht hinter den Bäumen unzählige Lastwagen und Autos auf dem Autobahnring von Norden nach Süden und umgekehrt rauschen.

Und doch zieht es an diesen Spätherbsttagen Spaziergänger raus an den See bei Unterföhring, die meisten natürlich mit dem Auto. "Es ist etwas weit zu Fuß aus Unterföhring", sagt eine Hundehalterin, dick eingepackt und den Golden Retriever an der Leine. "Aber am See ist es schön."

Schön ja, aber ruhig? Das beständige Dröhnen der Fahrzeuge auf der Autobahn lässt eigentlich nie nach, zu jeder Tages- und Nachtzeit blasen sie ihre Abgase in die Luft, in der Rush-hour gerne auch im Stehen, wenn mal wieder in beide Richtungen kaum etwas geht. Seit vergangener Woche aber dürfen sich Pendler, Urlauber und alle anderen zumindest auf dem Abschnitt vom Kreuz München-Nord bis zur Anschlussstelle Aschheim/Ismaning über eine zusätzliche Spur freuen. Auf diesem Teilstück ist der achtspurige Ausbau abgeschlossen, die Autobahn auf ganzer, neuer Breite wieder für den Verkehr freigegeben.

Die Bauarbeiter und ihre Maschinen - sie sind nach dreieinhalb Jahren abgezogen.

"Natürlich fällt eine Last von einem ab, wenn so ein Projekt abgeschlossen ist", sagt Josef Seebacher von der Autobahndirektion Südbayern, die für den Ausbau verantwortlich zeichnet. Das "Projekt" ist eine der größten Infrastrukturmaßnahmen in ganz Bayern auf einer der meistbefahrenen Autobahnen Europas - mit zu Spitzenzeiten mehr als 160 000 Fahrzeugen am Tag. Und das Projekt war eine "Punktlandung", sagt Seebacher. Der Kostenrahmen von 170 Millionen Euro für den ersten Teilabschnitt wurde nicht überschritten und der Abschluss fast auf den Tag genau eingehalten. Mehr als hundert Einzelverträge mit Baufirmen mussten laut dem Pressesprecher der Autobahndirektion geschlossen werden, 13 Brücken wurden abgerissen und neu gebaut, drei grundlegend saniert, acht Meter hohe Lärmschutzwände wurden errichtet und auf einer Länge von 7,3 Kilometer ein offenporiger, lärmmindernder Asphalt eingebaut.

Ein Makel: der fehlende Ringschluss

Für Klaus Bogenberger, Professor für Verkehrstechnik an der Bundeswehr-Universität in Neubiberg, ist die A 99 von "eminenter Bedeutung im transeuropäischen Netz". Sie sei Teil eines Verkehrswegs "von Sizilien bis nach Helsinki". Der Autobahnring habe aber auch die Funktion, "die Stadt und den Landkreis am Laufen zu halten". Dabei ist er gar kein richtiger Ring, sondern allenfalls ein halber Ring. Womit man schon bei dem "Makel" wäre, den man laut dem Verkehrsexperten weiter diskutieren müsse: das Fehlen eines Ringschlusses im Süden. Doch der ist derzeit "politisch nicht gewünscht", wie Bogenberger sagt, deshalb dürfe man über den Ringschluss im Süden nicht reden. "München", so der Experte, "ist wohl die einzige Millionenstadt in Europa ohne einen in sich geschlossenen Autobahnring."

A 99

Die Autobahn

Der Autobahnring A 99 hat aufgrund seiner Lage eine zentrale Rolle im bayerischen Autobahnnetz. Er nimmt die Verkehrsströme aus den Richtungen Lindau (A 96), Stuttgart (A 8 West), Deggendorf/Flughafen (A 92), Nürnberg (A 9), Passau (A 94) und Salzburg (A 8 Ost) auf und leitet sie am Münchner Stadtgebiet vorbei. So bietet die A 99 eine großräumige Umfahrung Münchens. Seit der Verkehrsfreigabe im Jahre 1975 ist das durchschnittliche Verkehrsaufkommen von etwa 30 000 Kfz am Tag auf 120 000 Kfz am Tag angestiegen. An Werktagen werden im Durchschnitt 140 000 Kfz am Tag und in Ferienreisezeiten mehr als 160 000 Kfz am Tag gezählt.

Worte, welche die Menschen im nördlichen Landkreis gerne hören, denn sie erhoffen sich durch einen Autobahn-Südring eine gerechtere Verteilung des Verkehrs und damit eine Entlastung. Eine Forderung, die nicht nur von den Grünen im Landkreis nicht getragen wird. Markus Büchler, der Landtagsabgeordnete und Kreisrat aus Oberschleißheim, beäugt schon den achtspurigen Ausbau der A 99 bei Ismaning und Aschheim sehr kritisch. "Da hält sich meine Begeisterung in Grenzen. Ich kann zwar subjektiv auch aus Sicht jedes Pendlers, der im Stau steht, verstehen, dass die neue Spur gewünscht ist. Aber neue Straßen ziehen auch immer nur neuen Verkehr an", sagt Büchler.

Seiner Meinung nach müsste vielmehr Geld in den Ausbau tangentialer Verbindungen gesteckt werden, in Straßenbahnen etwa, mit denen die weiter wachsenden Kommunen im Norden wie Unterschleißheim, Garching und Ismaning verbunden werden könnten. "Es braucht Alternativen, denn der Verkehr, den wir auf die Autobahn schaffen, muss ja auch irgendwo hin", sagt Büchler. Viel davon sei hausgemacht. "Das merkt man daran, dass die Autobahn zu den Stoßzeiten dicht ist, aber außerhalb der Hauptverkehrszeiten genügend Kapazität hat, um den Verkehr aufzunehmen."

Zwischen der Anschlussstelle Aschheim/Ismaning und dem Kreuz Nord fließt der Verkehr seit einer Woche flüssig. Auch eines der größten Probleme der jüngeren Vergangenheit ist gelöst: Monatelang war die Rampe von der A 9 aus Nürnberg auf die A 99 nach Salzburg auf eine Spur reduziert. Stau war deshalb zu jeder Tages- und Nachtzeit programmiert. Jetzt läuft der Übergang meist reibungslos und auf dem Ring wird es im Auto plötzlich auch ruhiger: Der Flüsterasphalt erfüllt seinen Zweck tatsächlich.

Die Autobahn war schon immer da

Doch was bringt das den Anwohnern? Von der Unterföhringer Kleingartensiedlung aus nahe dem Feringasee sind die meterhohen Lärmschutzwände zu sehen - und dennoch ist ein beständiges Rauschen zu hören. "Ich weiß nicht, ob es weniger geworden ist", sagt ein Gartenbesitzer vor seiner Laube. "Aber man hat sich vorher auch schon dran gewöhnt gehabt. Die Autobahn ist halt da und war schon immer da. Und sie wird auch nicht verschwinden." Ein paar Kilometer weiter südlich fehlt noch ein Stück Lärmschutzwand am Kirchheimer Ortsteil Hausen. Hier wird es mit dem achtspurigen Ausbau bald weitergehen: von der Anschlussstelle Aschheim bis Kirchheim. Aber erst im Jahr 2021.

"Jetzt ist erst einmal ein Jahr Pause", sagt Josef Seebacher von der Autobahndirektion. In den Jahren 2022/23 wird dann der Abschnitt bis zum Kreuz Ost geplant. Kirchheims Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU) hofft dagegen, dass es bald los geht - und seine Gemeinde profitiert. "Weil sich die Pegelwerte durch die vierte Spur verändern, bekommen wir den Lärmschutz finanziert. Bisher haben wir das als Gemeinde finanziell selbst gestemmt", sagt er. Böltl räumt aber auch ein, dass der Ausbau von Autobahnen alleine keine Verbesserungen bringe: "Wir müssen alles neu denken, den ÖPNV und den Radverkehr stärken, vielleicht wie in den USA einzelne Spuren auf Autobahnen nur für den Busverkehr freigeben." Denn, da ist er sich mit den Bürgermeistern aller Nordgemeinden einig: "Wir ersticken im Verkehr."

Auch Josef Seebacher von der Autobahndirektion weiß, dass der Ausbau des Rings die großen Probleme nicht lösen wird. Der Verkehr, sagt er, sei auch ein Ausdruck des Wachstums und des Wohlstands der Region. Jeder Radler, jeder Meter Schiene, jeder E-Scooter und jeder Bus sei wichtig, um etwas Druck aus dem Kessel zu lassen. Und vielleicht würde es helfen, nicht jeden Meter mit dem Auto zurückzulegen. Etwa um an einem schönen Herbsttag am Feringasee mit dem Hund spazieren zu gehen.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2019/belo
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