Süddeutsche Zeitung

Abholzung:Kirchheimer in Wallung

Weil ein Wäldchen für den Bau des neuen Gymnasiums größtenteils gerodet werden muss, fühlen sich einige Kirchheimer betrogen. Bürgermeister Böltl sieht sich gezwungen, bei einem Ortstermin die Entscheidung zu verteidigen.

Von Christina Hertel, Kirchheim

"Wir lieben große Bäume. Wir identifizieren uns mit ihnen", sagt eine Frau. "Aber das, was wir lieben, verschwindet immer mehr." Sie klingt aufgebracht, den Tränen nahe. Der Grund: Die Gemeinde Kirchheim holzt das Wäldchen ab, das sich gegenüber vom Gymnasium und neben der Mittelschule befindet.

Bäume, die zum Teil 25 Jahre und älter sind, werden gefällt. 6500 Quadratmeter bis zum ersten März, später noch einmal etwa 3400 Quadratmeter, insgesamt fast zehn Prozent des gesamten Kirchheimer Waldbestands. Doch dass sie die Natur bedroht sehen, ist nicht das einzige Problem, was einige Bürger mit den Fällungen haben: Sie fühlen sich von Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU) betrogen. Denn lange Zeit ließ er keinen Zweifel daran, dass das Wäldchen zu größeren Teilen erhalten werden könne.

Etwa 30 Männer und Frauen sind am Montagnachmittag zu einer Bürgersprechstunde gekommen, die diesmal nicht im Rathaus stattfand, sondern vor dem Wäldchen. Die Bäume stehen teilweise auf einem Wall, kein natürlicher Hügel, sondern ein Haufen Schutt, der im Laufe der Zeit bewachsen ist. Was sich darunter verbirgt - welche archäologischen Funde, aber auch welcher Müll - weiß niemand so genau. Damit genug Zeit bleibt, das alles zu untersuchen und damit die Baufeldvorbereitungen für das Gymnasium rechtzeitig starten können, beschloss der Gemeinderat vor ein paar Wochen die Abtragung des Walls bis März.

Dass der Wald nicht insgesamt erhalten werden kann, ist schon länger klar. Zum Teil stimmten die Bürger dem sogar selbst zu: In den Planungen war schon immer enthalten, dass rund 3400 Quadratmeter für Wohnungen abgeholzt werden. Von den Bäumen auf dem Wall hieß es jedoch lange, dass sie bleiben.

Doch bereits 2018 stimmte der Gemeinderat verschiedenen Planungsänderungen zu, auch die Abholzung des Walls war darin bereits enthalten. Im Januar war das Thema wieder auf der Tagesordnung, doch da ging es nur noch darum, die Fällungen vorzuziehen, damit sich keine Verzögerungen ergeben. Offensichtlich bekamen viele Bürger diesen Verlauf nicht mit - ausgerechnet in einer Gemeinde, deren Rathaus sonst zu allen möglichen Themen Pressemitteilungen verschickt, gedruckt wie online.

Vor dem Bürgerentscheid habe es immer geheißen, der Wall bleibe erhalten, sagt ein Mann am Montagnachmittag. Hätte er gewusst, dass das nicht möglich ist, hätte er bei der Abstimmung sein Kreuz woanders gemacht. Es werde über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden, er sei enttäuscht. Und warum, fragt einer, solle man zu solchen Entscheidungen überhaupt noch hingehen, wenn am Ende doch alles anders kommt?

Bürgermeister Böltl betont immer wieder, dass sich der Gemeinderat die Entscheidung nicht leicht gemacht und lange nach Alternativen gesucht habe - gute seien jedoch nicht vorhanden gewesen. Eine Variante wäre gewesen, das Schulgebäude Richtung Heimstettener Straße zu verrücken. Aber dann wäre die Wohnbebauung zu nah gewesen. Eine weitere Möglichkeit: den Pausenhof anders zu gestalten.

Doch dann wäre er klein und schattig geworden. Auch die Turnhalle näher an den Wall zu rücken, klappte laut Böltl nicht, weil die Baugrube dann nicht genug Platz gehabt hätte.

Dass sich der Gemeinderat ausgerechnet für diesen Entwurf entschied, liegt auch daran, dass der Wall zumindest teilweise bestehen bleiben kann. Daran hat sich nichts verändert, seit die Bürger im Bürger im Herbst 2017 über die Pläne für eine neue Ortsmitte zwischen Kirchheim und Heimstetten abstimmten.

Dennoch bleibt wohl bloß ein Bruchteil erhalten: knapp 3900 von 13 700 Quadratmetern. Als Ersatz will die Gemeinde 15 000 Quadratmeter Wald an der Autobahn A 99 pflanzen, für circa 45 000 Euro. Auch im Ortspark soll ein Wäldchen entstehen, das anders als jetzt nicht von West nach Ost, sondern von Nord nach Süd ausgerichtet ist und, wenn es nach dem Bürgermeister geht, ebenso groß wie das derzeitige werden soll.

Diesen Vorschlag unterstützt die Gruppierung Lebenswertes Kirchheim (LWK). In einer Pressemitteilung heißt es: "Eine Ausgleichsfläche an der Autobahn alleine hilft einem attraktiven Ortsbild nicht viel."

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Quelle:
SZ vom 13.02.2019
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