Wer an einem Bahnhof wohnt, kennt die Geräusche des Schienennahverkehrs bestens. Das Rattern der Züge, das Quietschen der Bremsen, das Schnaufen der Belüfter. Es soll sogar Leute geben, die heraushören, welcher Zug sich gerade nähert. Seit mehr als 160 Jahren rumpelt die Eisenbahn durch Deisenhofen, der alte Bahnhof der Maximiliansbahn ist 1857 in Betrieb gegangen, damals noch mitten auf dem Feld. Der Orientexpress ist einst hier durchgekommen, heutzutage sind es die S 3 nach Holzkirchen, der Meridian und ab und an ein paar Güterzüge. Schon lange ist die Wohnbebauung an die Schienen herangerückt. Jeder, der hierherzog, wusste das. Was er nicht wusste: Dass auch Züge hier abgestellt werden. Und auch das ist nicht unbedingt leise.
Werner Litza wurde vor etwa 13 Jahren von einem Geräusch aufgeschreckt, das ihn mächtig irritierte. "Es klang wie ein Peitschenhieb, wie beim Goaßlschnalzen", sagt er, "und mein erster Gedanke war, dass ich nachschauen muss, ob da jemand erschossen wurde", erinnert er sich. Es war einerseits natürlich beruhigend, dass am Bahnhof Deisenhofen nichts passiert war, sondern die auf den beiden Abstellgleisen stehenden S-Bahnen einen solchen Lärm machten. Andererseits, dachte sich Litza damals, kann es ja auch nicht sein, dass abgestellte Züge so laut sind. Das muss auch anders gehen.
Dies war der Auftakt zur Gründung der Interkommunalen Lärmschutzinitiative, kurz ILI, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Lärm abgestellter S- und Regionalbahn-Züge an peripheren Bahnhöfen zu reduzieren oder soweit möglich ganz zu vermeiden. Mittlerweile hat der Verein 199 Mitglieder, zwölf Kommunen aus Oberbayern, der Landkreis München und ein international führender Bahntechnik-Komponenten-Hersteller gehören der ILI an.
Es ist bemerkenswert, wie sich die Aktiven dieser Initiative in die Materie eingearbeitet haben, wie selbstverständlich ihnen inzwischen bahntechnische Fachbegriffe über die Lippen gehen und wie detailliert sie über die Anforderungen bei der Konstruktion von Zügen Bescheid wissen. Ein Know-how, das sicher auch dem Ingenieurs-Hintergrund mancher Vorstandsmitglieder geschuldet ist, das gepaart mit der Emsigkeit des Vereins und erheblichem zeitlichen Einsatz aber schon zu bemerkenswerten Erfolgen für den Lärmschutz am Bahnhof Deisenhofen geführt hat.
Die S-Bahnen wurden inzwischen mit Schalldämpfern nachgerüstet und mittlerweile konnte der Lärmpegel, der bei abgestellten Zügen vor allem durch das Laufen der Aggregate entsteht, um einiges verringert werden. "Wir haben eine maximale Verbesserung erreicht. Unterm Strich sind wir zufrieden", sagt Litza.
Denn in den vielen Gesprächen, die der Verein seit seiner Gründung 2008 mit den Vertretern der Bahn geführt hat, ist auch klar geworden: Ganz abstellen lassen sich die Geräusche nicht. Dann nämlich müssten die ruhenden Bahnen stets ganz "abgebügelt", also vom Strom genommen werden. Doch das Hochfahren würde zu lange dauern. Bei früheren Triebwagen sei das auch erst bei einer Temperatur ab fünf Grad überhaupt möglich gewesen, die jetzigen hielten immerhin fünf Grad Minus aus. Zudem müssen die S-Bahnen auch dezentral abgestellt werden, um den Zehn-Minuten-Takt zu gewährleisten.
Also lebt man in Deisenhofen inzwischen mit einem gleichmäßigen Rauschen und ist froh, dass die Impulsgeräusche von einst der Vergangenheit angehören. Gleichwohl kommt es hin und wieder vor, dass die dort abgestellten sieben bis acht Züge mehr Lärm machen, als sie sollten. "Vor allem im Sommer ist das sehr unangenehm, wenn man auf der Terrasse sitzen möchte oder nachts die Fenster offen hat", sagt Margit Willke-Bos.
Sie wohnt in der zweiten Häuserreihe östlich der Gleise und hat sich von der Bahn zur "Lärmmelderin" ausbilden lassen. Eine ganze Reihe von Betroffenen sind nicht nur in Deisenhofen beauftragt, die Bahn zu informieren, wenn das Brummen, Surren und Zischen ungewöhnliche Ausmaße annimmt, sei es weil der Fahrer den Zug nicht ordnungsgemäß abgestellt hat oder ein technischer Defekt vorliegt. Am letzten Juli-Wochenende war das zum Beispiel der Fall. Willke-Bos berichtet von einem "metallischen Geräusch".
Extrem unangenehm sei das gewesen. Lärmmelder sind in solchen Fällen aufgefordert, das Geräusch zu beschreiben, möglichst auch die Lärmquelle wie Klimaanlage, Fahrgastraum oder Führerstand mit anzugeben und am besten auch die Nummer der lärmenden S-Bahn durchzugeben. Das heißt für Willke-Bos: raus aus dem Haus, rüber zum Gleis und Nummer ablesen. "Nachts reicht aber auch mal ein Video aus dem Schlafzimmerfenster", sagt sie. Das "metallische Geräusch" hätten kurze Zeit später Bahnmitarbeiter dann abgestellt, indem sie tatsächlich "abbügelten".
Mit dem Erreichten alleine gibt sich die ILI aber langfristig noch nicht zufrieden. Wenn neue Züge auf den Markt kommen, gilt es den durchgesetzten Lärmschutz auch hier einzubauen. Litza ist daher stolz darauf, dass die Verbesserungen, die die Initiative durchgesetzt hat, nun auch in die "Lärmschutzanforderungen bei neuer S-Bahn-Fahrzeug-Generation" aufgenommen worden sind, wie es in der "VDV-Mitteilung 1541" des Verbands der deutschen Verkehrsunternehmen heißt. "Wir werden am Ball bleiben", sagt Litza und verweist darauf, dass die Anliegen der ILI auch beim Dialog "Zukunft Schiene" in Berlin thematisiert werden.