Schloss Ismaning:Rathaus mit feudaler Vergangenheit

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Vor 100 Jahren kaufte die Gemeinde der Stadt München das örtliche Schloss ab. Damals ging es vor allem um den Bau einer Straße durch den Park. Doch bald zog die Gemeindeverwaltung in den historischen Bau.

Von Sabine Wejsada, Ismaning

Alexander Greulich ist der einzige Schlossherr unter den Bürgermeistern im Landkreis München. Natürlich spricht den SPD-Politiker niemand mit "Seine Durchlaucht" an, und ganz so vornehm wie in längst vergangenen Zeiten geht es im Ismaninger Rathaus auch nicht zu. Die Räumlichkeiten aber sind noch immer herrschaftlich. Wer durch die Gänge spaziert, kann zumindest erahnen, dass er in einem früheren Schloss ist. Spätestens beim Besuch des Roten und des Blauen Saals sind dann aber alle Zweifel wie weggeblasen - angesichts der Anmut von Mobiliar, Wand- und Deckenmalereien.

Wer etwas über die Geschichte des Schlosses im Allgemeinen und über den Kauf desselben vor genau 100 Jahren durch die Gemeinde Ismaning im Speziellen erfahren möchte, ist bei Christine Heinz richtig. An diesem Freitag, 15. November, jährt sich das für den Ort so wichtige Ereignis. Die Leiterin des Schlossmuseums kennt sich nicht nur ganz genau mit dem historischen Zentrum der Gemeinde aus, sie ist ihm seit mehr als 20 Jahren verbunden, seitdem sie 1997 dort zu arbeiten anfing. Aus dem Fenster in ihrem Büro im ersten Stock des Schlossmuseums hat sie einen herrlich Blick auf den Park, in dem sie sich selbst auch gerne aufhält.

Das Kaufinteresse der Gemeinde galt in erster Linie dem Grundstück. Unmittelbar nach Vertragsunterzeichnung machten sich die Ismaninger daran, eine Straße durch den Schlosspark zu bauen. Damit wurde die lang ersehnte direkte Verbindung zwischen Ober- und Unterdorf geschaffen. Der Park selbst war früher von hohen Mauern umgeben und nur den Schlossbewohnern zugänglich. Nach dem Besitzerwechsel wurde die Anlage peu à peu für die Allgemeinheit geöffnet.

Nach den Worten von Heinz dauerte es aber fast noch viele Jahrzehnte, bis die Ismaninger sich wirklich trauten, den Schlosspark als den ihren anzunehmen. So richtig geschehen ist das nach der Beobachtung von Heinz erst, nachdem die Gemeinde 2009 zur 1200-Jahr-Feier ihr Dorffest in der historischen Grünanlage veranstaltete. Seitdem gehört der Park offenbar so richtig den Ismaningern. Zuvor hätten die Menschen wohl noch immer zu große Ehrfurcht empfunden, um sich etwa auf die Wiesen zu legen oder mit dem Hund durchzuspazieren. Heute sei das ganz normal, sagt Heinz und zeigt aus dem Fenster ihres Büros, wo zwei Frauen mit ihren Vierbeinern über den Rasen laufen.

Wanddetails im Roten Saal des Schlosses. (Foto: Robert Sprang (oh))

Es war der 15. November vor 100 Jahren, als im Notariat München XI nach langen und zähen Verhandlungen der Vertrag unterschrieben wurde, wonach das Schloss Ismaning von der Stadt München in den Besitz der Gemeinde überging - für 340 000 Reichsmark, wie Heinz berichtet. Weil die Gemeine das Geld nicht allein aufbrachte, sprangen 22 Bauernfamilien ein und zahlten mit. Vereinbart wurden zudem Tauschgeschäfte von Ackergrund; insgesamt 75 Tagwerk Gemeindegrund seien an München gegangen, alles Flächen, die direkt an die städtischen Güter Zwillings- und Karlshof anschlossen, so Heinz.

Gleich nach der Vertragsunterzeichnung machten sich die Ismaninger daran, die seit langer Zeit gewünschte Verkehrsverbindung durch den Schlosspark zu bauen und so die Verbindung von Ober- und Unterdorf zu vollenden. 500 Jahre lang sei der Schlosspark quasi ein "blinder Fleck" gewesen, sagt Heinz. Weil er verschlossen war, mussten Bauern wie Bürger einen Umweg in Kauf nehmen. Mit der neuen Straße änderte sich das; zu Beginn allerdings waren die Durchfahrtszeiten laut Heinz reglementiert. Zumindest für die Normalbürger. "Der Dorfarzt durfte sie immer nutzen", sagt die Leiterin des Schlossmuseums.

Das Schloss selbst war vor 100 Jahren in einem maroden Zustand: Die Mauern waren feucht, die Fenster undicht und das Dach baufällig. Die Stadt München hatte die Anlage 1899 von Michael Ritter von Poschinger, dem letzten adeligen Besitzer, übernommen. Im Schloss wurden einige Wohnungen und ein Ferienheim für Münchner Mädchen eingerichtet, die sich in der guten Ismaninger Luft, dem "Krautdunst", erholen sollten, wie Christine Heinz erfahren hat. Am Ende des Ersten Weltkrieges stand das Gebäude aber offenbar leer, denn nach nicht einmal 20 Jahren kamen in München Überlegungen auf, Schloss und Park wieder zu veräußern. Eine Gelegenheit, die Ismaning nicht vorüberziehen ließ.

Die Gemeinde hatte sich am Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem aufstrebenden Ort entwickelt und wollte die Trennung des Dorfes durch das Schlossgelände überwinden. Laut Volkszählung vom Oktober 1919 hatte Ismaning damals 2402 Einwohner; es gab 151 Bauernhöfe, immerhin zwölf Lebensmittelgeschäfte, drei Schmieden, drei Wagner, drei Sattlereien, eine Gendarmerie, eine eigene Bahnstation, ein Postamt, eine öffentliche Telefonstation eine Telegrafenanstalt mit Tagesdienst, einen Allgemeinarzt und einen Tierarzt, wie im Archiv dokumentiert ist. Die allgemeine Wohnungsnot führte dazu, dass die Gemeinde gleich nach dem Kauf im Schloss und seinen Nebengebäuden Wohnungen einrichten ließ. Im Jahr 1934 wechselte die Gemeindeverwaltung dann vom Feuerwehrhaus in einige Räume des Schlosses, seit Mitte der Fünfzigerjahre wird dieses ausschließlich als Rathaus genutzt. Und Zug um Zug hergerichtet. In den Sechzigerjahren gab es laut Heinz die erste Renovierungswelle, in den Neunzigern die zweite.

Heute sind Schloss und Park ganz selbstverständlich der lebendige Mittelpunkt von Ismaning. Wer ins Rathaus muss, wandelt auf historischen Wegen. Und drin sitzt ein Bürgermeister, der sich - den vielen Fotos nach zu schließen, die Alexander Greulich auf Facebook postet - an der altehrwürdigen Umgebung seines Arbeitsplatzes kaum sattsehen kann. Der Schlossherr hat eben was zum Herzeigen.

© SZ vom 12.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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