Süddeutsche Zeitung

Landkreis Starnberg:Fließende Übergänge

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Das "Elle"-Kollektiv aus Schondorf lässt in seinen Inszenierungen die Grenzen zwischen Kunst und Alltag sowie Bühne und Publikum verschwimmen. Derzeit probt das Trio bis zu 14 Stunden am Tag.

Von Katja Sebald, Schondorf

"Wir hätten letztlich auch in Tokio Theater gemacht", sagt Elisabeth-Marie Leistikow am Morgen nach der Preisverleihung, "aber Schondorf und der Ammersee sind uns lieber." Am Mittwochabend war das "Elle"-Kollektiv mit dem Tassilo-Preis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet worden. Wie alle anderen Preisträger stellten Elisabeth-Marie Leistikow, Luis Lüps und Louis Panizza ihr Theaterprojekt mit einem kurzen Film vor - und der war so abgefahren und schrill, dass SZ-Redakteurin Susanne Hermanski erstaunt fragte, warum sie nicht längst nach Tokio oder wenigstens nach Berlin abgeflogen seien.

"Immersives Dorftheater" nennen Leistikow, Lüps und Panizza ihre höchst ungewöhnlichen Inszenierungen: Die Zuschauer sollen dabei ganz und gar in das Geschehen eintauchen. Die Übergänge zwischen Bühnenraum und Umgebung, zwischen Darstellern und Publikum, aber auch zwischen Kunst und Alltag, zwischen Privatheit und Öffentlichkeit sind fließend. Momente der Irritation werden bewusst herbeigeführt: Wenn gängige Reaktionsmuster und Normen gestört werden, öffnen sich völlig neue Begegnungsräume.

Scharfe Grenzen gibt es übrigens auch nicht zwischen einstudierten Texten und spontanen Reaktionen auf das, was das Publikum macht. Wer jedoch meint, es gehe nur um Nonsens und Provokation, der liegt weit daneben. Und wer meint, dieses "Dorftheater" sei in irgendeiner Weise provinziell, der liegt ebenso weit daneben.

Elisabeth-Marie Leistikow, 1988 in Frankfurt geboren, und Luis Lüps, Jahrgang 1986 und in Utting aufgewachsen, lernten sich während ihres Schauspielstudiums an der Universität der Künste in Berlin kennen. Louis Panizza, 1991 geboren und in Dießen aufgewachsen, studierte Bühnenbild bei Katrin Brack an der Akademie der Bildenden Künste in München.

Gegründet 2017 in einer ehemaligen Gärtnerei in Schondorf, macht das "Elle"-Kollektiv - der Name setzt sich aus den Initialen der Vornamen der Gründungsmitglieder zusammen - seither alljährlich mit seinen Projekten Furore. Leerstehende Gebäude und Schauplätze unter freiem Himmel verwandeln sich dafür in temporäre Theater-Orte.

Seit knapp zwei Wochen stecken die drei zusammen mit zwölf weiteren Akteuren mitten in den Proben für ihr neuestes Projekt "Das Meditier", das am 5. August auf einem Seegrundstück in Schondorf Premiere hat. "Wir arbeiten zur Zeit jeden Tag zwölf bis 14 Stunden", erzählt Leistikow, "für die Preisverleihung haben wir uns schnell auf dem Parkplatz hinter der Probenbühne umgezogen und sind losgerast." Das Ambiente sei toll gewesen, wo genau in München sie war, weiß die temporäre Ammersee-Anwohnerin, die normalerweise in Köln lebt, allerdings nicht.

Mit dem Preisgeld von 500 Euro könne man ein kleines finanzielles Loch stopfen, hofft sie. Im Internet jubelte das "Elle-Kollektiv" nach Bekanntgabe der diesjährigen Preisträger über den "oberaffengeilen, rattenscharfen" Tassilo-Preis. "Bei uns weiß man nie, was ernst gemeint ist", sagt Leistikow dazu, "wir lassen das gerne offen."

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SZ vom 03.07.2021
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