Landgericht:Obdachloser muss wegen versuchten Mordes in Haft

  • Ein wohnungsloser Mann hat ein elfjähriges Mädchen bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt - das Landgericht München wertet das als versuchten Mord.
  • Der 27-Jährige hatte das Mädchen in ein Gebüsch gelockt, um sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen.
  • In einem weiteren Fall wurde der Mann wegen versuchten Totschlags verurteilt, weil er einen anderen Obdachlosen mit einer Steinplatte beworfen hatte.

Von Susi Wimmer

Die Urteilsverkündung leitet der Vorsitzende Richter Michael Höhne mit dem Satz ein: "Schmerzen vergehen, aber die Narben bleiben." Für das Opfer, die damals elfjährige Elena (Name geändert), sei "ihre heile Welt, barfuß und den Hund spazieren führend, völlig aus dem Nichts zusammengebrochen".

Es war der 26. August 2016, als der obdachlose Alkoholiker Damian C. sie unter dem Vorwand, man müsse einem verletzten Kollegen helfen, ins Gebüsch lockte, um sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen, so das Gericht. Als Elena lieber ihre Mutter zu Hilfe holen wollte, würgte Damian C. sie "aus Verärgerung über seinen gescheiterten Plan" heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen. So muss der 27-Jährige wegen versuchten Mordes und in einem weiteren Fall wegen versuchten Totschlags für zwölf Jahre in eine Entziehungsanstalt, die ersten vier Jahre muss er aber in einem Gefängnis verbringen.

Völlig reglos lässt Damian C. die eineinhalbstündige Urteilsverkündung über sich ergehen. Der eher schmächtige und kindlich wirkende Mann starrt mit gesenktem Kopf auf die Anklagebank, nur selten hebt er den Blick und schaut aus dem Fenster. Die Staatsanwaltschaft hatte zwölf Jahre und acht Monate Haft gefordert, C.s Verteidiger lediglich fünf Jahre wegen zweifacher gefährlicher Körperverletzung. Die erste große Strafkammer aber ordnete die beiden Taten anders ein: Im Fall des gewürgten Mädchens verurteilte sie den Angeklagten wegen versuchten Mordes, im Fall des Obdachlosen, den Damian C. mit einer Steinplatte beworfen hatte, wegen versuchten Totschlags.

Richter Höhne redet denn auch Klartext mit dem Mann: "Die Kammer erachtet Sie für gefährlich", sagt er. Damian C. habe sich weder von Haftstrafen in seinem Heimatland Polen noch von offenen Bewährungsstrafen in Deutschland und Polen von weiteren Taten abhalten lassen. "Sie haben innerhalb einer Woche zwei Zufallsopfer grundlos angegriffen", wirft Höhne ihm vor. Und bei der Frage des Motivs habe Damian C. gemauert und lediglich ein Teilgeständnis abgelegt. "Sie haben die Chance auf ein echtes Geständnis ungenutzt gelassen und damit auch dem Mädchen die Chance genommen, das Geschehen jemals zu begreifen."

Bis heute leidet Elena unter den Auswirkungen der Tat: Angstzustände, Schlafstörungen, sie kann keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und auch nicht mehr alleine mit dem Hund Gassi gehen. Trotz einjähriger Hilfsangebote wie Gesprächs- und Kunsttherapie habe das Mädchen mit der Verarbeitung der Geschehnisse noch nicht einmal begonnen, man habe lediglich "eine gewisse Stabilisierung erreicht", schildert Höhne im Urteil.

Das Gericht sagt zudem, dass es jeglicher Lebenserfahrung widerspreche, dass der Angeklagte das Mädchen lediglich "zum Reden" in ein Gebüsch locken wollte, wie der Anwalt von Damian C. nicht ausschließen wollte. Es sei dem 27-Jährigen um sexuelle Handlungen gegangen, so das Gericht. Einen pädophilen Hintergrund verneint es, das Mädchen habe "körperlich älter gewirkt".

Mindestens 20 Sekunden lang hat Damian C. laut dem rechtsmedizinischen Gutachten die Schülerin gewürgt, bis zur Bewusstlosigkeit. Er habe sich mit dem möglichen Tod des Mädchens abgefunden, so das Urteil, sei davongelaufen und habe es auch unterlassen, Hilfe zu holen. Das Opfer sei arglos gewesen und habe dem Täter den Rücken zugedreht. Das Motiv des Mannes, ob Frustration über den gescheiterten Plan oder ob seines verpfuschten Lebens, sei besonders verwerflich und ein Mordmerkmal.

Bei beiden Taten, so das Gericht, habe Alkohol eine gravierende Rolle gespielt. Als Damian C. gezielt die Steinplatte gegen den Kopf des anderen Obdachlosen schlug, habe er maximal 2,46 Promille Alkohol im Blut gehabt. Trotzdem seien laut den vorbeikommenden Polizisten keine Ausfallerscheinungen bei dem Mann zu erkennen gewesen. C. solle nun die Chance auf eine Therapie erhalten. "Nutzen Sie die Chance, um die Abwärtsspirale aufzuhalten", gab Höhne ihm noch mit auf den Weg.

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