Landgericht München I:Sachgerechte Elektroschocks

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Sie musste 114 Tage in die Isolierzelle und bekam Elektroschocks - eine Psychiatriepatientin, die freiwillig in Behandlung ging, verklagt die Ärzte des Max-Planck-Instituts. Sie hätten ihre seelischen Leiden verstärkt. Das Landgericht München I wies die Klage ab.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

114 Tage in der Isolierzelle, Videoüberwachung und dazu immer wieder Elektroschocks - diese Erlebnisse kann eine junge Münchnerin bis heute nicht verarbeiten. Mit ihrer Klage gegen das Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie ist sie am Mittwoch jedoch gescheitert.

Die Ärzte haben nach Meinung des Landgerichts München I sachgerecht gehandelt. Allerdings steht in dem Urteil auch, dass die Mediziner - nachträglich betrachtet - einiges hätten besser machen können oder Torturen wie die Elektrokrampftherapie (EKT) früher hätten abbrechen sollen.

Aus zwei bis drei Wochen wurden zwei Jahre

Die damals 27-Jährige war schon früher wegen seelisch bedingter Magersucht und Depressionen in einem oberbayerischen Krankenhaus behandelt worden. Als sie 2005 an ihrer Doktorarbeit über Tiermedizin schrieb, flammte ihr Leiden wieder auf, dazu kamen Selbstmordgedanken. Eigentlich nur "für zwei bis drei Wochen zur Überbrückung" ging sie ins Max-Planck-Institut (MPI). "Daraus wurden zwei Jahre", sagte sie später.

Heute wirft sie den Ärzten dort vor, sie mit zu hohen Dosen des Psychopharmakons Diazepam über einen viel zu langen Zeitraum medikamentenabhängig gemacht zu haben. Zudem seien durch die Isolier- und Strombehandlungen ihre seelischen Leiden noch verstärkt worden.

Frage, ob 17 Anwendungen wirklich notwendig waren

Der Sachverständige in dem Arzthaftungsprozess vor dem Landgericht München I räumte zwar ein, dass dieses Medikament hohes Suchtpotenzial habe. Doch die Ärzte müssten Nutzen und Risiken im Hinblick auf den klinischen Zustand und den Verlauf abwägen. "Retrospektiv könne man sicherlich die Frage aufwerfen, ob die Gabe des Benzodiazepins über viele Monate tatsächlich unumgänglich gewesen sei", sagte er. Gleichwohl hätten die Ärzte aus medizinischer Sicht fehlerfrei gehandelt.

Auch die EKT-Therapie sei "weder fehlerhaft noch ohne die erforderliche Einwilligung der Klägerin erfolgt". Im Nachhinein könne aber auch hier die Frage aufgeworfen werden, ob 17 "Anwendungen" wirklich richtig und notwendig gewesen seien. Dennoch sah der Sachverständige auch "gute Gründe dafür, die Maßnahme genügend lang und intensiv durchzuhalten" - insgesamt also kein Behandlungsfehler.

Keine Kunstfehler erkennbar

Obwohl die Patientin wiederholt in den ärztlichen Dokumentationen als "offen", "gesprächsbereit", "freundlich" oder "absprachefähig" geschildert worden sei, konnte der Sachverständige auch bei den langen, videoüberwachten Aufenthalten in der Isolierzelle letztlich keine Kunstfehler erkennen. Denn neben ruhigeren und kooperativen Perioden seien immer wieder auch Autoaggressivität, Suizidgedanken und zumindest parasuizidale Handlungen aufgetreten.

Das Gericht schloss sich den Erwägungen des Sachverständigen an. Man habe vor allem die Suizidversuche ernst nehmen müssen. Die Frage der Freiwilligkeit stellte sich also gar nicht: Eine Unterbringung etwa nach dem Unterbringungsgesetz wäre den Ärzten auch gegen den Willen der Klägerin in vielen Fällen gestattet gewesen. "Gleichwohl ist rückblickend festzustellen, dass eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin in dem langen Zeitraum nicht erzielt werden konnte, und dass - rückblickend betrachtet - sich vielleicht auch andere Maßnahmen angeboten hätten", heißt es aber auch dazu in dem Urteil.

Die Betroffene kann gegen diese Entscheidung Berufung beim Oberlandesgericht München einlegen.

© SZ vom 22.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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