Süddeutsche Zeitung

Landgericht München :"Das war auch nicht er, sondern das Monster in ihm"

  • Die Staatsanwaltschaft wirft Eric M. vor, Leoni M. die Backe aufgeschlitzt und sie mit dem Tod bedroht zu haben.
  • Bei ihrer fast vierstündigen Aussage vor dem Landgericht kämpft sich die 20-Jährige schreiend und weinend durch die Aussage und schrammt nur knapp selbst an einer Festnahme vorbei.

Von Susi Wimmer

Wenn Personen bei der Polizei oder vor Gericht vernommen werden, so gibt es bestimmte Regeln und Taktiken, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Für den Wahrheitssuchenden gibt es Kurse und Fachliteratur zum Thema "Vernehmung". Etwas, was man nicht lernen kann, sind Empathie und Fingerspitzengefühl.

Ohne diese Fähigkeiten der ersten großen Schwurgerichtskammer am Landgericht München I wäre die Sitzung gegen Eric M. wegen versuchten Mordes wohl komplett eskaliert. Die Frau, der Eric M. mit einem Messer die Backe aufgeschlitzt und sie mit dem Tod bedroht haben soll, kämpfte sich fast vier Stunden lang wütend, schreiend und weinend durch die Befragung, beleidigte das Gericht und schrammte knapp an einer Festnahme wegen Falschaussage vorbei. Und alles nur, "weil ich ihn liebe".

Leoni M. (Name geändert) ist eine junge Frau, die sicher keine wohlbehütete Jugend hinter sich hat. Drogen und Tabletten schienen zumindest in den vergangenen Jahren eine große Rolle in ihrem Leben gespielt zu haben.

Die 20-Jährige trägt ein dezentes Blümchenkleid mit Teddyjacke, die rot geschminkten Lippen stechen aus dem sonst blassen Gesicht hervor - und der Blick fällt sofort auf die Narbe, die sich über ihre Backe in Richtung Mund zieht. Mit tränenerstickter Stimme beginnt sie zu erzählen, wie sie Eric M. wenige Monate vor der Tat im Dezember 2017 über eine Dating-App kennengelernt habe. "Irgendwie war er lustig", sagt sie. "Gefühlt bin ich immer noch mit ihm zusammen."

Was passiert sei, "das war auch nicht er, sondern das Monster in ihm", meint Leoni M. Das "Monster" kam unter Alkoholeinfluss zum Vorschein. "Aber er hat mir nie so wehgetan, dass ich es nicht ausgehalten hätte. Und er hat sich dann gleich um mich gekümmert." Zum Beweis zeigt sie ein Handyfoto: ein Teller, auf dem mit Kokspulver ein Herz und ihr Name gestreut sind. "Er hat mich geliebt. Sehen sie!"

Leoni M. will den Angeklagten in Schutz nehmen

Ein Heulton schallt durch den Gerichtssaal. "Ich kann nicht", schreit Leoni M., als der Vorsitzende Richter Michael Höhne auf die Tat zu sprechen kommt. "Würden sie gegen jemand aussagen, für den sie Gefühle haben", kreischt die Zeugin Höhne an. Am Morgen des 23. Dezember 2017 stand Eric M. nach einem vorangegangen Streit am Bett von Leoni M. Laut Staatsanwaltschaft soll er befürchtet haben, dass sie ihn bei der Polizei anzeigt. Eric M. stand nach einer Jugendstrafe unter Bewährung.

Jetzt im Gericht schauen sich beide an, und sie sagt: "Er hat zugestochen." Er sei über ihr gewesen, habe mit der linken Hand ihr Gesicht gehalten und mit der rechten zugestochen. An weitere Stichversuche will oder kann sie sich nicht erinnern. "Ich glaube, dass er in dem Moment wollte, dass mir ernsthaft was passiert." Sie sei über den Balkon geflüchtet, er habe sie erwischt. "Ich hab ihm in die Augen geschaut, dann ist er weggelaufen."

Leoni M. will den Angeklagten in Schutz nehmen, riskiert sogar, wegen Falschaussage angezeigt zu werden. Sie will nicht, dass er verurteilt wird. Sie war schwanger von Eric M., verlor das Kind und versuchte, sich das Leben zu nehmen. Seit der Tat leide sie unter einer Panikstörung. Die Narbe, so erzählt sie, schmerze immer noch, sie hatte deshalb Probleme, einen Job zu finden und sie könne nicht damit umgehen. "Ich gehe nicht mehr raus, ich hab auch keine Beziehung mehr." Am Ende entschuldigt sich Eric M. bei ihr. Sie sagt: "Ich hab dir alles verzieh'n."

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SZ vom 24.01.2019/bhi
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