Prozess in München:Messerattacke im Aufzug

Der Streit zwischen zwei Familien, die in einem Haus leben, eskaliert in einem Gewaltakt. Vor dem Landgericht ist ein 45-Jähriger wegen versuchten Totschlags angeklagt.

Von Susi Wimmer

Die Narbe zieht sich sichelförmig vom Ohr über die linke Kopfhälfte, Omar A. schiebt den hochgeschlossenen Pulli nach unten, am Hals ist ein weiteres Wundmal zu sehen. "Nette Familie" habe man am Anfang gedacht, erzählt der 20-Jährige, als Moustafa A. und seine Angehörigen in das Haus nahe dem Westpark zogen. Doch aus einer "guten Freundschaft" zwischen zwei Familien entwickelte sich offenbar tiefer Hass. An diesem Montag musste sich Moustafa A. vor dem Landgericht wegen versuchten Totschlags verantworten. Laut Staatsanwaltschaft soll er im Aufzug des Hauses so heftig auf Omar A. eingestochen haben, dass ein Teil des Halswirbels absprang.

"Ist es sinnvoll, dass Kinder in diesem Alter sehen, wie ihr Papa in Handschellen vorgeführt wird", fragt der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann in den Zuschauerraum. Dort ist die Familie des Angeklagten versammelt, einige seiner sechs Kinder im Alter zwischen drei und 18 Jahren sind auch dabei. Später wird der 45-Jährige erzählen, dass er im Jahr 2000 nach Deutschland kam und später Frau und Kinder nachholte, "damit sie hier eine bessere Schulbildung bekommen". Zur Tat, so verkündet Benedikt Stehle, einer seiner Anwälte, werde man vorerst keine Angaben machen. Moustafa A. schildert nur, dass er "immer gearbeitet" habe, zuletzt in einem Hotel "in der Lobby beim Concierge" für 1600 Euro netto.

Omar A. kommt geduckt in den Gerichtssaal. Wie die Feindschaft zwischen den Familien entstand, kann er nicht recht erklären. Mal habe Moustafa A. vor dem Haus zu nahe an ihrem Wagen geparkt, mal seien Haare an der Haustüre geklebt, dann habe A. seine Mutter beleidigt. "Und er hat immer so geschaut." Bereits im Februar 2021 waren die Männer körperlich aneinander geraten. Aber aufgrund widersprüchlicher Aussagen wurden die Verfahren eingestellt. Fast auf den Tag genau ein Jahr später eskalierte der Konflikt.

Omar A. wollte ins Training, stieg im zweiten Stock in den Aufzug, um in die Garage zu fahren. Im Erdgeschoss stoppte der Lift, Moustafa A. stieg zu. "Er hat sich eine Zigarette angezündet und mir zweimal Rauch ins Gesicht geblasen", erzählt er. Dann, als er aus dem Aufzug aussteigen wollte, habe er sich an Moustafa A. vorbeidrücken müssen. Der habe ihm den Ellenbogen in den Bauch gerammt, "ich hörte etwas klacken und spürte etwas Kaltes". Das Klappmesser, das ihm in Hals und Kopf gestoßen wurde, sah er nicht, "nur plötzlich sehr, sehr, sehr viel Blut". Er konnte aus der Garage fliehen. Seitdem lebe er "in Angst", die linke Gesichts- und Halshälfte sei taub.

Moustafa A. soll sich laut Anklage anschließend selbst oberflächliche Schnittverletzungen zugefügt haben, wohl in der Hoffnung, dass bei widersprüchlichen Aussagen erneut die Ermittlungen eingestellt werden. Er wählte den Notruf und behauptete, er sei mit dem Messer angegriffen worden. Ein Urteil wird Anfang Februar erwartet.

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