Süddeutsche Zeitung

Kritik:Wotan im Zirkuszelt

Wagners "Ring" in Niederbayern geht weiter: Bei der Landshuter Premiere der "Walküre" gibt es viele Ideen - tolle und auch alberne.

Von Egbert Tholl, Landshut

Im April 2019 brachte das Landestheater Niederbayern das "Rheingold" heraus, doch dann kam Corona. So folgte nun die "Walküre" in Landshut erst mit 25 Monaten Verspätung, und abermals ist es erstaunlich, dass die reichlich verstiegene Idee, in Niederbayern zum ersten Mal Wagners "Ring" aufzuführen, bemerkenswert gut aufgeht. Wenn alles klappt, wird in einem Jahr die Tetralogie vollendet sein.

Walhall ist nun also schon längst fertig, im zweiten Akt sitzt Wotan, umgeben von Bücherwänden, die alle Mythen der Welt bergen, in seinem Studierzimmer und schnitzt Pfeile, Brünnhildes Lieblingsspielzeug. Er verfügt auch über eine magische Kugel, in der die Gestalten aus dem "Rheingold" erscheinen, wenn er Brünnhilde den ersten Teil des "Rings" erzählt, in dem diese ja nicht dabei ist.

Weniger fertig als Walhall, das wiederum Karlheinz Beer listig ersonnen hat und dessen Bewohner wie alle hier von Ursula Beutler fantasievoll eingekleidet sind, ist das Landshuter Theater. Seit neun Jahren residiert die Truppe in diesem Zirkuszelt inmitten einer Stadtrandbrache, das Stammhaus am Rande der Altstadt harrt nach wie vor der Renovierung. Momentan schaut es so aus, dass diese in ein paar Jahren in Angriff genommen wird. Dann gäbe es dort wieder ein kleines Schauspielhaus mit 196 Plätzen, ausreichend fürs Sprechtheater. Fürs Musiktheater soll daneben ein Neubau entstehen. Der könnte, optimistischen Schätzungen zufolge, 2030 fertig sein. Wenn es die Stadt Landshut nicht doch noch vermasselt.

Die Oper bleibt wohl noch länger im Zelt - mit all den dort herrschenden Widrigkeiten

Bis dahin bleibt die Oper wohl auf jeden Fall noch im Zelt. Mit all den dort herrschenden Widrigkeiten. Es ist interessant zu erleben, was der Schall hier so treibt, wenn es laut wird: Dann scheinen die Hörner und das Blech an den Wänden entlang zu wandern, man hört sie von vorne, von der Seite und von hinten, analoger Surroundsound. Doch wenn man nicht zimperlich ist, führt das zu hervorragenden Momenten von echter Theatermusik, das ist dann sehr mitreißend, auch wenn Basil H. E. Coleman eher aufs Lyrische als aufs Dramatische setzt - Letzteres kommt hier von ganz allein.

Um dem etwas entgegen zu halten, werden die Stimmen verstärkt, direkt über Mikroport. Zum ersten Mal wird in Landshut damit experimentiert, noch etwas zu beherzt - die dialogischen Passagen knallen überdeutlich, manche Stimme wirkt zu hart, scharf. Andererseits passt das gut zum beherzten Spiel, dass Regisseur und Intendant Stefan Tilch vom singenden Personal einfordert und aufs Schönste erhält. Aaron Cawley springt als Siegmund ein und schlägt sich tapfer, neben ihm blüht Peggy Steiner als Sieglinde immer mehr auf, verkörpert viel Not und brilliert stimmlich. Stephan Bootz ist ein mächtiger Wotan, Judith Gennrich kämpft als Frika lange mit der Technik, bis sie siegt, Yamina Maamar ist eine sehr fröhlich durchgeknallte Brünnhilde, auch die anderen Walküren sind sehr munter, Hunding (Heeyun Choi) grummelt und hat mit seinen Büchern seine Hütte eingeheizt.

Tilch hat viele Ideen, tolle und auch alberne, arbeitet ein bisschen mit Video, es gibt echten Feuerzauber, schönes Theaterhandwerk und eine Frische, die dem Ganzen wohltuend die Aura eines hehren Kunstwerks nimmt. Es ist Theater, gut so.

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