Landeskriminalamt:Wie Fahnder heute arbeiten

Landeskriminalamt: Zu Besuch in der Waffen-Spurensicherung.

Zu Besuch in der Waffen-Spurensicherung.

(Foto: Stephan Rumpf)

Etwa 8000 Waffen hat das Bayerische Landeskriminalamt in seinem Keller gesammelt, um Vergleiche zu ermöglichen und Rückschlüsse auf die beteiligten Täter ziehen zu können.

Von Susi Wimmer

Am Beckenrand dümpelt eine quietschgelbe Plastikente vor sich hin, das Wasser liegt still und ruhig vor dem Betrachter, da fällt ein Schuss. Es kracht, es platscht und aus dem Becken spritzt eine Wasserfontäne empor, der beißende Geruch von Schießpulver zieht durch die Anlage. Dieter Stiefel nimmt den Gehörschutz von den Ohren und sagt: "So, durch den Schuss ins Wasser haben wir jetzt das Projektil haargenau so, wie es aus dem Lauf kommt, ohne Beschädigungen von außen." Schön. Und? Dem Waffeningenieur präsentiert sich das Projektil im Idealzustand: Der Pistolenlauf hat seine ganz individuellen Spuren darauf hinterlassen, quasi wie ein Fingerabdruck. Die Waffenexperten vom Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) können nun die Patrone einer bestimmten Waffe zuordnen. Was bei der Klärung von Kriminalfällen durchaus eine entscheidende Rolle spielen kann.

Seinen 70. Geburtstag feiert das LKA in diesem Jahr und wer, wenn nicht Dieter Stiefel, könnte da besser über das Sachgebiet Waffen plaudern. Seit 40 Jahren befasst sich der Waffeningenieur am LKA mit Pistolen, Revolvern, Jagdgewehren, Maschinenpistolen und was sonst noch so Schüsse abgibt. Ein Waffennarr? Nein, sei er nicht, sagt der 64-Jährige. "Ich sehe die Waffe nur als Werkzeug."

Dann knipst er das Licht im Kellerraum an: An die 8000 Waffen stehen Spalier, es riecht nach Holz und Waffenöl. Über Jahrzehnte hinweg hat das LKA Schusswaffen aus aller Herren Länder zusammengetragen und die zweitgrößte Sammlung in Deutschland zusammengestellt:

Eine Winchester, die jemand illegal besaß, oder eine Kalaschnikow, die nach einer Straftat sichergestellt wurde, ein goldener James-Bond-Colt, eine Walther PPK, teilweise hat das LKA auch Waffen für die Sammlung angekauft. "Wir benötigen Vergleichswaffen", erklärt Dieter Stiefel. Wenn ein Bankräuber beispielsweise mit einer Schusswaffe droht und dann flüchtet, liegen Bilder der Überwachungskamera vor. Anhand dieser kann das LKA mithilfe der Vergleichswaffen herausfinden, mit welcher Waffe der Täter unterwegs ist. Ist es beispielsweise eine ganz spezielle Schusswaffe, lässt sich der Kreis der Verdächtigen womöglich eingrenzen.

Zurzeit ist Hektik im Sachgebiet Waffen. Eine Schießerei in der Maxvorstadt, ein Sorgerechtsstreit oder Eifersuchtsdrama. Ein Mann hat einen anderen angeschossen, zwei Streifenbeamte feuern 15 Schüsse ab und treffen Täter wie Opfer. Der Verdächtige soll sechs Schüsse abgegeben haben. Stiefels Leute fahren raus und unterstützen bei der Tatortarbeit. Sie suchen nach Schussspuren, Einschlägen, und Zusammenhängen: Wer hat aus welcher Richtung geschossen? Aus welcher Distanz? Aus welchem Winkel? Und wo kommen die Waffen her? Sie werden auch diese Szene nachspielen, um ein möglichst realistisches Bild vom Ablauf zu erhalten, so wie sie die 16 Schüsse auf den Regensburger Studenten Tennessee Eisenberg rekonstruiert hatten.

Zunächst stellen die Ermittler die Waffen sicher, sammeln die abgefeuerten Hülsen und Projektile ein, auch die, die im Krankenhaus aus den Opfern herausoperiert wurden. Sie wollen die Kleidung von Täter und Opfer sehen. Denn ein Schuss hinterlässt verräterische Spuren: Es wird nicht nur nach Schmauch- und Bleispuren am Täter gesucht, sondern auch nach den Bleipartikeln, die beim Durchdringen der Kleidung des Opfers hinterlassen wurden. Daran lässt sich feststellen, aus welcher Entfernung der Schuss abgegeben wurde. Der Gang in die Rechtsmedizin bleibt den Waffenexperten zudem oftmals nicht erspart: Sie untersuchen auch die Schusswunden an den Leichen.

Pistolen zu Eisenbahnschienen

Sichergestellte Tatwaffen landen beim LKA. Wenn ein Waffenlager ausgehoben wird, werden die Gewehre und Pistolen an die Maillingerstraße gebracht, wenn Bürger sich entwaffnen wollen, nehmen ihnen die Landratsämter die Waffen ab und bringen diese zum LKA: Rund 1500 Pistolen, Gewehre, Revolver und sonstiges nehmen die Waffenverwerter des Bayerischen Landeskriminalamtes pro Monat in Empfang. Nur wenige Waffen sind für das Museum geeignet und dienen den Ermittlern als Vergleichswaffen. Die meisten Schusswaffen werden eingeschmolzen und dienen dann friedlichen Zwecken: Sie werden beispielsweise zu Eisenbahnschienen.

Im Keller des LKA stehen die großen Blechkisten: ein auf ein Meter groß, 60 Zentimeter hoch. Hier in der Kiste ist Platz für 500 Kilogramm Schrott. "Wir bauen die Waffen auseinander, bei den Langwaffen zum Beispiel trennen wir den Holzschaft ab und verwerten ihn anderweitig", erzählt Dieter Stiefel, Chef der Waffenverwerter. Zuweilen sind auch Kupferelemente an einer Waffe, die abmontiert werden müssen. Was bleibt, ist Eisenschrott.

Zwei Kisten füllen die Beamten pro Woche mit Eisenschrott und fahren sie zur Lechstahlwerke GmbH nördlich von Augsburg. Vor den Augen der Polizisten greift ein Magnet nach den verschweißten Kisten und hebt sie in den Hochofen. So werden aus Pistolen Eisenbahnschienen oder aus Gewehren Baustahl. wim

"Wasser oder Watte?", fragt Dieter Stiefel. Jetzt wird es ernst. Martin Welter, Waffensachverständiger am LKA, hat die Pistole geladen, Gehörschutz auf, dann drückt er ab: Durch ein Loch in der Wand schießt die Kugel in ein Wasserbassin im Nebenzimmer. Die gelbe Quietschente dient als Anhaltspunkt beim Schießen, sie ist Kummer und Lautstärke gewöhnt. Früher, erzählt Stiefel, habe man nur in einen Wattekasten geschossen.

Die Watte sollte die Kugel möglichst schonend auffangen. Allerdings hinterließ sie durch die Rotation auch einen leichten Schmiergeleffekt auf dem Projektil. Und die Waffenexperten suchten nach einer noch reineren Lösung - und fanden das Wasser mit seiner Bremswirkung. Den Wattekasten gibt es trotzdem noch. Weil bestimmte Kaliber bei hoher Schussgeschwindigkeit auf der Wasseroberfläche zerschellen. Martin Welter lädt noch mal nach und schießt zur Demonstration in die lange Aluröhre, die mit Verbandswatte vollgestopft ist. Ohne Gummiente. Peng.

"Es wurde in den Gängen geschossen, die Kugeln prallten an den Wänden ab"

Im vierten Stock des LKA steht eine monströs wirkende schwarze Maschine auf dem Gang. Ein Spezialfotoapparat der Firma Leitz aus dem Jahr 1954, mit Ziehharmonika-Falten an der Optik. Vor Jahrzehnten wurden damit Projektile fotografiert, die vom Tatort und die aus dem Schusslabor. Mit bloßem Auge hat man dann versucht, die Rillen und Verformungen zu vergleichen. Denn die Erkenntnis, dass ein Pistolenlauf nach Jahren der Reinigung und des Schießens seine ganz individuellen Rillen entwickelt und diese dann beim Abfeuern auf das Projektil übertragen werden - diese Erkenntnis wurde in ihren Grundzügen bereits in den Zwanzigerjahren für die Kriminaltechnik genutzt.

Die Wissenschaft und Technik, sagt Dieter Stiefel, sei immer einen Schritt voraus gewesen. Die Polizei musste erst erkennen, dass sich viele Neuerungen prima für ihre Arbeit nutzen lassen. Heute werden Munitionsteile natürlich mit High-Tech-Mikroskopen untersucht und verglichen. Man strebe an, eine bundesweite Datenbank mit Munitionsteilen aufzubauen.

14 Waffenexperten arbeiten im Sachgebiet von Stiefel, darunter fünf Sachverständige, die Gutachten für Prozesse schreiben. Stiefel und seine Leute sicherten Spuren in dem Zug, in dem es vor zwei Jahren auf der Fahrt nach Kempten zu einer heftigen Schießerei gekommen war. Eine Routinekontrolle der Bundespolizei war eskaliert, ein Mann hatte einem Beamten die Dienstwaffe abgenommen und auf die Polizisten gefeuert. Anschließend waren er und sein Begleiter aus dem Zug gesprungen. "Es wurde in den Gängen geschossen, die Kugeln prallten an den Wänden ab; es war ein Wunder, dass damals keine Fahrgäste verletzt wurden", sagt Stiefel.

Im Büro von Dieter Stiefel türmt sich die Arbeit. Kartonweise Beweismaterial aus der Silvesternacht, als in Oberaurach ein Mann aus seinem Haus heraus aus Wut über die Silvesterböller mit einer Waffe in Richtung einer Menschengruppe schoss und ein elfjähriges Mädchen tötete. Das Telefon klingelt, ein Kollege aus Franken will ein Foto von einer beschädigten Scheibe schicken. Stiefels Männer sollen herausfinden, ob es sich um ein Projektil aus einer Schusswaffe gehandelt hat oder vielleicht um eine Stahlkugel aus einer Schleuder oder aber einen Stein oder ähnliches.

Was sich in den letzten Jahrzehnten bei der Arbeit geändert hat? "Die Schnelligkeit", sagt Stiefel und grinst. Früher, sagt er, hat es eine halbe Stunde gedauert, bis der Leitz-Fotoapparat eingestellt und die Aufnahme belichtet war. Heute kommen Fotos in digitaler Form - und sollen womöglich innerhalb einer halben Stunde bewertet werden. Wie sich Stiefel entspannt? Am liebsten im Wald, sagt er. Auf der Jagd.

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