Landesausstellung König Ludwig II.:Kulisse Schlafzimmer

Sein Kaffeebecher, seine Taschenuhr, sein Schloss in 3D: Die große König-Ludwig-Schau im Schloss Herrenchiemsee beginnt - und porträtiert einen Schöngeist und technikbegeisterten Monarchen, der jedoch zur großen Politik verdammt war.

Gottfried Knapp

Das wirkungsmächtigste Exponat, das den Besucher der Ludwig-Ausstellung auf der Herreninsel im Chiemsee erwartet, ist der Ort der Veranstaltung selber, das "Neue Versailles", das innerhalb weniger Jahre aus dem Inselboden gestampfte und in unüberbietbarem neubarockem Luxus ausgestattete Schloss Herrenchiemsee.

Landesausstellung König Ludwig II.: Schloss Falkenstein bei Füssen: Gerd Hirzinger und die Firma Metamatix haben Ludwigs späte Vision in einer 3-D-Animation verwirklicht.

Schloss Falkenstein bei Füssen: Gerd Hirzinger und die Firma Metamatix haben Ludwigs späte Vision in einer 3-D-Animation verwirklicht.

Da Ballonflüge über die Insel, wie sie der utopistisch schwärmende Ludwig anvisiert hatte, derzeit nicht angeboten werden, muss man sich über Google Earth einen Eindruck verschaffen von den landschaftsverändernden Dimensionen dieses historistischen Gesamtkunstwerks, das weder politische noch repräsentative Funktionen erfüllen, sondern einzig der kultischen Verehrung eines längst verstorbenen französischen Königs dienen sollte.

Die auf die Insel gerichtete Lupe von Google macht den Gegensatz zwischen den königlichen Ideen und der heutigen Wirklichkeit überdeutlich. Auf der quer über die Insel durch die Wälder geschlagenen und in einen Kanal mündenden Ost-West-Achse, auf deren höchster Stelle das Schloss steht, hätte der gesamte Hofstaat des herbeizitierten Königs Ludwig XIV. bequem aufmarschieren oder auf Barken anlanden können, doch heute bewegt sich auch an turbulenten Besuchstagen fast niemand auf dieser königlichen Mittelachse.

Die Touristen betreten die Insel an der einzig schilffreien Stelle im Norden und bewegen sich dann auf gekurvten Pfaden so durch den dichten Wald, dass sie das Schloss mit seinen mächtigen Gartenparterres und Wasserspielen erst im letzten Moment zu Gesicht bekommen, also den unkorrekten Einstieg von der Seite her in die geometrische Ordnung der Anlage fast wie einen historischen Frevel empfinden müssen.

Beim Rundgang durch das Schloss stoßen die Besucher dann auf eine ganze Serie vergleichbar produktiver stilistischer und historischer Widersprüche: So ist die 75 Meter lange Spiegelgalerie von Herrenchiemsee mit ihren zahllosen üppigen Kandelabern und Lüstern weit prunkvoller ausgestattet als ihr an sich schon monströses Vorbild in Versailles. Und das im Zentrum der Anlage auf den Hof ausgerichtete gigantische Paradeschlafzimmer für Ludwig XIV. ist nicht nur deutlich größer als das entsprechende museale Schaustück in Versailles, sondern mit einer solchen Überfülle handwerklich meisterlicher Dekorelemente ausgeziert, dass man versucht ist zu behaupten, der französische Barock habe unter Ludwig II. in Bayern seine edelsten Blüten getrieben.

Den Franzosen nacheifern

Niemals sollte ein Nachgeborener diese Weihestätte für den Sonnenkönig in Besitz nehmen. Auch Ludwig selber - seine sehr viel intimeren privaten Wohnräume liegen im nördlichen Seitenflügel - hätte sich, wenn er Gelegenheit dazu gehabt hätte, nur als erschauernder Zuschauer durch diese Historienkulisse bewegt. Dass sich heute im Viertelstundentakt Besuchergruppen staunend durch diese zum ehrfürchtigen Staunen errichtete Raumfolge schieben, widerspricht zwar den Vorstellungen des königlichen Bauherren, ist in sich aber konsequent.

Landesausstellung König Ludwig II.: Um 1900 dürfte diese Kultpostkarte gedruckt worden sein. Sie zeigt Ludwig II. als Schwanenritter in der Venus-Grotte von Linderhof, die mit neuen chemischen Farben ausgemalt und elektrisch beleuchtet worden ist.

Um 1900 dürfte diese Kultpostkarte gedruckt worden sein. Sie zeigt Ludwig II. als Schwanenritter in der Venus-Grotte von Linderhof, die mit neuen chemischen Farben ausgemalt und elektrisch beleuchtet worden ist.

Und so hat auch die Bayerische Landesausstellung zum 125. Todestag Ludwigs in den unausgebauten Raumfluchten des Schlosses Herrenchiemsee einen passenden Ort gefunden. Die ursprünglich für das "Grand Appartement du Roi" vorgesehenen Säle im Obergeschoss des Nordflügels und die Räume darunter prunken auch heute noch mit nackten Ziegelwänden und provisorischen Holzdecken und Eisenträgern. Sie passen innerhalb der Ausstellung also eher zu dem kleinen, als Korrektiv aber wichtigen Unterkapitel "Ludwig II. und die Technik" als zum zentralen Kapitel über des Königs bildnerische "Gegenwelten".

Dieses umfangreiche Kapitel über Ludwigs künstlerische Visionen und Aktivitäten ist von der Bayerischen Schlösserverwaltung zusammengestellt worden. Doch auch der Hausherr konnte nicht verhindern, dass bei der Fülle der Exponate in dem Geschlinge des schmalen Führungswegs immer wieder Engpässe entstanden sind, an denen es zu Staus kommen dürfte. So hängt die großartige Zeichnung Georg Dollmanns - sie zeigt die gegen die Berge gerichtete Fassade von Neuschwanstein - etwa in Bauchhöhe an einem engen Gang, an dem kaum zwei Leute aneinander vorbeikommen; wenn hier eine Gruppe vorbeizieht, ist diese wichtige Planzeichnung eines Hauptmonuments ganz aus der Ausstellung weggeblendet.

Doch vermögen die fünf Akte des in der Ausstellung inszenierten Königsdramas dramaturgisch verständlich zu machen, warum der zur großen Politik verdammte Schöngeist Ludwig vom ersten Tag seiner Herrschaft an nach Möglichkeiten zur Flucht aus der deutschen Wirklichkeit und Gegenwart suchte. In Richtung Zukunft hat er viele technisch denkbare Flucht- und Flug-Möglichkeiten erwogen; doch sehr viel ergiebiger war für ihn die Vergangenheit mit den in Büchern, Theaterstücken und Opern überlieferten ruhmreichen Epochen aller denkbaren Weltgegenden.

Beim Erfinden und Errichten seiner Gegenwelten ließ sich Ludwig denn auch weniger von architektonischen Vorstellungen leiten als von theatralischen: Er wollte nicht Verlorengegangenes stilgetreu rekonstruieren, sondern Orte schaffen, an denen er das, was er als Leser oder Theaterbesucher emotional erfahren, also lediglich aus der Distanz erlebt hatte, in illusionistisch perfekten Realräumen physisch direkt nacherleben, ja in idealisierter Form neu inszenieren konnte.

Bühnenbilder für Traumexkursionen

Seine Neubauten in möglichst abgeschiedenen schönen Gegenden, aber auch sein "indischer" Wintergarten auf der Münchner Residenz, sollten keine Orte zum Wohnen sein, sondern Bühnenbilder für Traumexkursionen, für literarisch-theatralische Séancen, Spielstätten für Geschichts-Zeremonien, in denen der König in entsprechender Gewandung den herbeibeschworenen, ja oft direkt auf die Wände gemalten Helden der Sagen, der Mythen und der Geschichte gegenübertreten wollte. Seine gebauten Phantasien sollten die Kaiser des Mittelalters in die Gegenwart zitieren; aber auch der Kaiser von Byzanz, der Kaiser von China und viele imperial agierende Fürsten, Sultane und Maharadschas sollten irgendwann zu Gastspielen in die entstehenden Häuser geladen werden.

So kann man die ungeheuerliche Hommage an die französische Monarchie, die Ludwig mit dem Nachbau des Schlosses Versailles demonstriert hat, durchaus auch als bildmächtige Antwort auf das nicht nur von Franzosen als demütigend empfundene Ritual der Proklamation des preußischen Königs zum deutschen Kaiser im Spiegelsaal von Versailles interpretieren.

Wie weit Ludwig in seiner Identifikation mit den französischen Namensvettern und ihren barocken Stilformen ging, lassen in der Ausstellung zahlreiche Entwürfe für huldigende Kunstobjekte, Kopien der französischen Hofskulpturen, aber auch der bombastische goldene Prunkschlitten mit der futuristischen Elektrobeleuchtung erahnen.

Zum Mittelalter hatte Ludwig schon als Kind und Bewohner des von seinem Vater erbauten, fast lückenlos mit germanischen Mythen ausgemalten Schlosses Hohenschwangau eine intensive Beziehung entwickelt. Die Ausstellung führt mit gemalten Idealansichten der erträumten Burgen und Schlösser, mit Plänen, Entwürfen, Modellen und Kunstobjekten vor, wie sich Ludwigs Urleidenschaft allmählich zum landschaftsprägenden mittelalterlichen Gesamtkunstwerk Neuschwanstein und schließlich zur Apotheose aller historistischen Anstrengungen, zur triumphalen Vision der Burg Falkenstein verdichtet hat, in der sich Stilformen unterschiedlichster Epochen von Byzanz bis zum Barock gegenseitig steigern sollten.

Wie sich der nie gebaute Falkenstein auf seinem Bergkegel erhoben hätte, wie die Raumfolge im Inneren beschaffen gewesen wäre, aber auch wie der Chinesische oder der Byzantinische Palast vor den bayrischen Bergen ausgesehen hätten, davon geben uns die von Robotik-Professor Gerd Hirzinger konzipierten und von der Firma Matamatix realisierten 3-D-Computeranimationen eine höchst lebendige Vorstellung.

Ein größeres Kabinett der Ausstellung ist dem Wirken Richard Wagners gewidmet. Wie im Bayreuther Wagner-Museum vermögen auch hier die Exponate zwar etwas anzudeuten von Wagners musikhistorischer Bedeutung, doch über Ludwigs leidenschaftliche Identifikation mit Wagners Schöpfungen erfährt man fast nichts. Das überlassen die Aussteller dem Kabarettisten Christoph Süß, der in einem ironisch getönten Film die beiden ungleichen Größen aufeinanderprallen lässt.

"Götterdämmerung. Ludwig II." im Schloss Herrenchiemsee vom 14. Mai bis 16. Oktober. Der Katalog (Primus-Verlag) kostet in der Ausstellung 18 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: