Süddeutsche Zeitung

Laim:Erst Kunst, dann Kiosk

Ami Warning und Matthew Austin kennt man als begnadete Musiker von Münchens Bühnen - jetzt haben sie eine kleine Zeitungsbude übernommen

Von Anastasia Trenkler

Steht Matthew Austin auf der Bühne, hat er häufig verträumt die Augen geschlossen. An diesem Tag behält der Musiker alles im Blick, die Einmachgläser voll mit Süßigkeiten. Erst kürzlich hatte ein Junge im Kiosk geklaut. Kein schönes Ereignis - doch sind vor allem Kinder oft und gerne gesehene Gäste in der Friedenheimer Straße 155. Die Musikerin Ami Warning freut sich, wenn sie ihre Gesichter schon nach kurzer Zeit wiedererkennt. Sie und Katja Warning stehen hinter der Ladentheke. Während ihre Mutter nach Briefmarken sucht, studiert sie Kugelschreiberminen. Eine Kundin fragt nach einem ganz bestimmten Modell. Ob es das auch im Kiosk gäbe? Ami zeigt ihr drei Exemplare.

"Immer wieder haben Kunden solche speziellen Wünsche", sagt Ami nur wenige Minuten später. Noch immer hält sie die Kugelschreiberminen fest in ihrer Hand. "Es gibt viel Neues, das wir noch lernen müssen. Für das Lotto haben wir sogar an einer Schulung teilgenommen", sagt die Sängerin. Seit Ende September leitet sie gemeinsam mit ihrer Mutter Katja und ihrem Freund Matthew das Geschäft in Laim. Ein kleiner Traum sei damit in Erfüllung gegangen. "Zurzeit haben wir an sechs Tagen geöffnet und bauen nebenbei noch um", sagt Ami. Sie klingt ein wenig erschöpft, vor allem aber glücklich. Sie und die anderen hätten schon länger mit dem Gedanken gespielt, neben der Musik noch etwas anderes zu machen - einen Imbiss zu eröffnen oder ein Café.

Ami und Matthew sind als Singer-Songwriter beide stadtbekannt. Auf Konzerten spielen sie häufig zusammen - zumindest war das früher so, vor Corona. "Als die Auftritte alle abgesagt wurden, mussten wir anderweitig kreativ werden", sagt Ami. Die neu gewonnene Zeit nutzten sie und Matthew, um ihre Idee vom eigenen Laden weiterzudenken. Zusammen mit Katja Warning begannen sie nach Räumlichkeiten zu suchen: "Wir haben uns eine Bar angeschaut, doch der Besitzer wollte nichts mehr von der Gastro wissen. Auch ein Café haben wir besichtigt - das war aber zu groß, zu dritt gar nicht stemmbar", sagt Ami. Schließlich hätten sie von dem Kiosk erfahren - nicht weit entfernt vom Haus ihrer Mutter.

"Das klang realistisch: Die Arbeit schien überschaubar und bei Notfällen wäre Mama schnell vor Ort", sagt Ami. Zu diesem Zeitpunkt ahnte sie noch nichts von dem verborgenen Kellerraum unterhalb des Kiosks: eine Fläche, so groß wie der Laden selbst. Ihre Vorgänger nutzten den Raum als Lager - Ami aber hat andere Pläne: "Hier drüben kommen Gitarren hin und dort eine Couch. Wenn Matthew und ich beide im Kiosk sind, dann kann einer unten an seinen Songs arbeiten, während der andere oben ist", sagt Ami. Sie freut sich auf die großen und dezenten Neuerungen im Kiosk. "Vergangene Woche hat Matthew angefangen, die Wände zu isolieren und auf der linken Seite, dort drüben", sie öffnet eine Tür, "bauen wir eine Küche ein. Ich will Kuchen machen für die Gäste."

Noch kommen sie mit den Umbauarbeiten nur schleppend voran. Die Annahme von Paketen sei mühsam gewesen, vor allem in der Woche vor dem Lockdown. Aber auch von Vorteil, denn die beiden Einnahmequellen - Lotto und Pakete - würden den Großteil der Mietkosten bereits decken. "Dennoch haben wir uns vorab viele Gedanken gemacht: Wie viel Geld müssen wir einnehmen? Schaffen wir das? Was passiert, wenn Matthew und ich wieder auf Tour gehen?", erzählt Ami. Zu Beginn hätten sie alle drei ihre Ersparnisse zusammengelegt. Jeder Cent, den sie einnehmen, fließt in die Refinanzierung des Ladens.

"Irgendwann soll hier auch Musik stattfinden", sagt Ami. Nicht nur unten im Keller, auch oben im Laden möchten die Musiker den Platz nutzen: "Für kleine Konzerte, Kiosk-Sessions oder Lesungen." Ob es dafür auch ein Publikum gibt? "Laim ist meiner Meinung nach nicht zu unterschätzen. Es wohnen überall junge Menschen, die sich über neue Dinge freuen", sagt die Sängerin.

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Quelle:
SZ vom 28.12.2020
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