Laim:Ehre für Ilse Weber

Paul-Lagarde-Straße

Lagarde verschwindet: Die kleine Laimer Straße (im Hintergrund die Kirche) wurde jetzt umbenannt.

(Foto: Ands)

Statt an den Antisemiten Lagarde erinnert Straße in Laim an jüdische Schriftstellerin

Von Andrea Schlaier, Laim

Insgesamt 172 Menschen in Laim müssen sich an eine neue Adresse gewöhnen: Künftig wohnen sie nicht mehr an der Paul-Lagarde-Straße, sondern an der Ilse-Weber-Straße. Der kurze Weg, der von der Friedenheimer Straße abbiegt und zur katholischen Pfarrgemeinde "Zu den Heiligen Zwölf Aposteln" führt, wird umbenannt. Der Kommunalausschuss des Stadtrates hat beschlossen, dass künftig nicht mehr der Kulturphilosoph Paul Lagarde (1827 bis 1891) Namensgeber ist, weil der als wichtiger Vordenker und Wegbereiter des Antisemitismus gilt. Künftig trägt die Straße mit nur 26 Hausnummern den Namen der jüdischen Schriftstellerin Ilse Weber, die 1944 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet wurde.

Die "Entnamung", wie es im Amtsdeutsch heißt, und neuerliche "Benamung" war ein durchaus langwieriger Prozess. Bereits 2013 hatte der Laimer Veteranen- und Kriegerverein auf den Missstand hingewiesen, dass im Viertel eine Straße nach einem "Erznazi" benannt ist und über den Bezirksausschuss eine Initiative zur Umbenennung gestartet. Unterstützt vom Leiter des Historischen Archivs Laim, Norbert Winkler, verwies man auf die aggressive Judenfeindlichkeit des evangelischen Theologen und Professors für orientalische Sprachen an der Universität Göttingen. Der Stadtrat nahm sich der Angelegenheit an, das Stadtarchiv erstellte ein Gutachten und zu guter Letzt wurde der Fall auch dem Ältestenrat der Stadt vorgelegt. Alle waren sich einig: "Wirkungsgeschichtlich", schreibt das Kommunalreferat in seinem Stadtratsbeschluss, ziehe sich eine "direkte Linie von Lagardes völkischer Vorstellungswelt über Houston Stewart Chamberlains fanatischen Antisemitismus zu Adolf Hitlers Vernichtungsplänen". Einstimmig hatte der Kommunalausschuss des Stadtrates Ende 2014 bereits beschlossen, die Straße umzubenennen.

"Nach langem Abstimmungsprozess" heißt es aus dem Kommunalreferat - an der Namensfindung hatten sich Laimer Bürger und auch das Historische Archiv beteiligt - habe man sich darauf geeinigt, die Straße nach Ilse Weber zu benennen. Ein Veto gab es von dreien der 22 Eigentümer der betroffenen Anwesen in der Straße. Für eine Übergangszeit von etwa einem Jahr werden jetzt sowohl das alte und das neue Straßenschild zu sehen sein, teilt der Sprecher des Kommunalreferates mit, und fügte hinzu: "Wobei das alte dann durchgestrichen wird."

Die deutschsprachige jüdische Schriftstellerin Ilse Weber, 1903 im damals österreichisch-ungarischen Witkowitz (heute Tschechien) geboren, schrieb Märchen und Theaterstücke für Kinder, die in deutschen, tschechischen und österreichischen Zeitungen veröffentlicht wurden. 1930 heiratete sie ihren Jugendfreund Willi Weber. Das Paar hatte zwei Söhne. Im Februar 1942 wurde Ilse Weber mit dem Jüngeren in das Ghetto Theresienstadt deportiert, den älteren Sohn hatte sie gerettet, indem sie ihn zu Kriegsbeginn mit einem Kindertransport nach England schickte. In Theresienstadt arbeitete Ilse Weber als Kinderkrankenschwester und schrieb weiter Gedichte und Geschichten, um die Buben und Mädchen dort zu unterhalten. In ihrem Gedicht "Ich wandre Theresienstadt" schrieb sie: "Ich möcht so gerne weitergehen, ich möcht so gern - nach Haus!"

Am 6. Oktober 1944 wurden die Schriftstellerin und ihr zehn Jahre alter Sohn in Auschwitz ermordet.

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