Süddeutsche Zeitung

Laim:Durst auf Leben

Mit einer Nachlass-Schau nimmt das "Lanz 7" Abschied von der Künstlerin Judith Silberer

Von Stefanie Schwetz

Was tun mit den Dingen, die ein Mensch hinterlässt nach dem Tod, der trotz aller Unausweichlichkeit dann doch immer überraschend kommt? Auch für Angehörige und Freunde der Münchner Künstlerin Judith Silberer, die am 20. Oktober nach langer Krankheit im Alter von 55 Jahren gestorben ist. Nun wurde ihr künstlerischer Nachlass in der Galerie "Lanz 7" in Laim zu einer Ausstellung zusammengefasst. "Wenn es nach Judith gegangen wäre, hätte sie auch noch zehn Jahre weiterleben können", sagt Annemarie Renges, die gemeinsam mit Johann Schredl den privaten Kunstraum betreibt. Denn Pläne hatte Silberer genug, bis zum Schluss. Davon zeugt ihr Skizzenbuch, das sie fortwährend mit Ideen und Entwürfen bestückte - immer weiter Richtung Zukunft.

Für Schredls Weinladen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Galerie übernahm die Künstlerin regelmäßig die Schaufensterdekorationen, die zuweilen wie fantastische Kulissen anmuteten. Zuletzt plante sie ein Arrangement aus Flaschen und Vögeln, was sie aber nicht mehr realisieren konnte. Auch dazu sind Zeichnungen und Notizen unter dem Motto "Weine zum Zwitschern" in dem Skizzenbuch festgehalten.

Was bleibt also anderes als zurückzublicken auf Judith Silberers vielseitig inspiriertes Werk und ihren kreativen Durst auf das Leben. Margit Huber, die selbst zuletzt im Lanz 7 ausstellte, hat aus den Hinterlassenschaften der Künstlerin eine Schau jenseits starrer Konzepte in Szene gesetzt. Damit will sie der Freundin, die ein Gespräch über den eigenen Lebensabschied nie zugelassen hat, die letzte Ehre erweisen - eine Form aktiver Trauerarbeit. "Der Prozess des Anordnens von Gegenständen und des Aufhängens von Bildern war für mich nochmals ein gemeinsamer Weg mit Judith", erzählt Margit Huber. Auf der einen Seite übernimmt sie damit die Rolle einer Kuratorin und andererseits die einer Vertrauten, die stellvertretend für Familie, Freunde und Bekannte einen intuitiv gestalteten Erinnerungsort geschaffen hat.

Der Eingangsraum ist ausschließlich der Kunst vorbehalten: hier eine kleine Werkgruppe aus der Vergangenheit, dort ein paar Arbeiten aus jüngerer Zeit - ein Potpourri aus verschiedenen Techniken, Formaten und Schaffensperioden ist zu sehen. Im Nebenraum wurde eine ganze Wand mit Fotos und Texten von Freunden bestückt: Anekdoten, Reflexionen, Zeitensprünge. Auf rotem Grund prangt in großen Lettern der Slogan "Patients are patient" ("Patienten sind geduldig") - ein Statement der Künstlerin, ausgesprochen in der Harlachinger Palliativstation drei Tage vor ihrem Tod. Wie eine Mischung aus Fotoalbum, kollektivem Tagebuch und Wandzeitung kommt dieses Arrangement daher - eine Pinnwand voller Witz, Lebensfreude und immer auch einem Hauch von dieser für Silberer so typischen Ironie.

Gegenüber liegen auf einem Tisch neben einem Stapel kleinformatiger Acrylbilder einige aktuelle Blätter aus. Es sind Abbildungen von Dürer-Drucken, die Judith Silberer zuletzt auf sehr behutsame Weise verfremdet hat. Das, was früher großflächig mit dicken Pinselstrichen vorgetragen wurde, erschien zuletzt feingliedrig und mit einer ungeheuren Liebe zum Detail. So wie die didaktisch angeordneten Textpassagen aus einem Buch von 1910 für den naturkundlichen Unterricht in der Volksschule, die Judith Silberer mit kleinen Bildelementen angereichert hat. Poetisch und rebellisch zugleich muten diese Miniaturen an, die manchen daran erinnern, wie er zu Schulzeiten dem trockenen Lernstoff eine eigene kreative Note gab.

Ein wenig fühlt man sich wie auf einem privaten Flohmarkt, wenn man durch die Galerieräume streift. Und in der Tat war Silberer selbst oft genug auf Flohmärkten unterwegs. Dinge, die sie nicht mehr brauchte, unter die Leute bringen und sich gleichzeitig auf Entdeckungstour nach Raritäten begeben, das liebte sie. 17 Jahre lang hat Judith Silberer mit verschiedenen Krebsarten gelebt und die Welt zeitlebens mit ihrem ungebrochenen Gestaltungswillen beehrt. Für Annemarie Renges und Margit Huber war die lange Krankheit der Künstlerin ein ganz selbstverständlicher Teil ihrer Freundschaft - und jetzt auch der Tod. Trauer ja, Trübsinn nein, das ist die unübersehbare Botschaft dieser Ausstellung im Lanz 7, die ganz ohne Titel auskommt. Es gibt nichts mehr hinzuzufügen, außer der Erkenntnis, dass dieses Leben am Ende trotz allem ein Fest war - ein Fest für die Kunst.

Judith Silberer: Ausstellung aus dem Nachlass; Kunstraum "Lanz 7", Lanzstraße 7; zu sehen bis 12. Dezember, freitags von 15 bis 19 Uhr, samstags von 10 bis 14 Uhr und nach Vereinbarung mit Annemarie Renges unter der Telefonnummer 0179/200 16 53.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5130153
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.11.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.