Süddeutsche Zeitung

Laim:Bündnis für ein plastikfreies Viertel

Es gibt in München bereits Läden, die unverpackte Produkte anbieten, allerdings noch keinen, der sich als Genossenschaft organisiert. Sabina Pötzsch will diese Idee in die Tat umsetzen - aber es gibt Hürden

Von Julius Bretzel

Wenn Sabina Pötzsch von ihrer Praxis nahe dem Laimer Platz nach Hause in den Laimer Westen radelt, macht sie manchmal beim Supermarkt oder der Drogerie halt. Was sie ärgert: das viele Plastik, auf das sich beim Einkaufen kaum verzichten lässt. Mitte Oktober, wieder auf dem Rad von der Arbeiten kommend, fragte sie sich zum ersten Mal, wieso es keinen Laden in ihrem Viertel gibt, der Produkte ohne Plastikverpackungen anbietet und einen nachhaltigen Konsum fördert.

Solche Geschäfte gibt es immer häufiger, auch in München. In ihrer näheren Umgebung vermisste die Psychotherapeutin dieses Angebot jedoch. Ob es ihren Nachbarn wohl auch so geht? Sie stellte im Internet eine Annonce ins Nachbarschaftsforum nebenan.de und wartete Rückmeldungen ab. In kürzester Zeit bekam sie enorm viele Anfragen. "Da wurde mir klar: Das müssen wir selbst machen", sagt Pötzsch.

Anderthalb Monate nach der zündenden Idee sind es nun rund 120 Interessenten, die sich an der Idee beteiligen möchten. Ihr Ziel: den ersten genossenschaftlich organisierten Unverpackt-Laden Münchens zu eröffnen. Der Gedanke, das Konzept der Genossenschaft auf einen solchen Laden anzuwenden, ist vom "Kartoffelkombinat" inspiriert. Dabei handelt es sich um eine genossenschaftlich organisierte Gemeinschaft von mehr als 1500 Münchner Haushalten, die ihr Obst und Gemüse selbst anbaut und untereinander aufteilt. Dieses Konzept will Pötzsch auf ihre Laden-Idee übertragen: "Diese Verständigung zwischen Produzenten und Verbrauchern wollen wir auch erreichen."

Wenn die Projektinitiatorin und ihre Mitstreiter über den Laden sprechen, haben sie bereits ein klares Bild im Kopf. Das Sortiment soll aus abfüllbaren Lebensmitteln - Getreide, Früchte, Nudeln - sowie aus Kosmetik-, Hygiene- und Haushaltsartikeln bestehen, wenn möglich fair, bio, regional und saisonal. Auch über Schreibwaren denkt das Team nach. "Die Ideen gehen uns noch nicht aus", versichert Pötzsch. Neben der plastikfreien Einkaufsmöglichkeit soll der geplante Laden zusätzlich als Treffpunkt dienen: Ein Café ist geplant; regelmäßige Veranstaltungen und Workshops sowie Vorträge sollen ein ökologisches Bewusstsein in der Nachbarschaft wecken.

Doch so zahlreich die Ideen schon sein mögen, die Umsetzung hält allerlei Hürden bereit. Zunächst benötigt die Gemeinschaft einen geeigneten Laden, idealerweise im Bereich zwischen Fürstenrieder Straße, Landsberger Straße, Willibald- und Senftenauerstraße. Auch eine Filialleitung mit Erfahrung im Einzelhandel sucht das Team noch. Um genügend Kapital für die Ladengründung zu bekommen, will die Gruppe zudem auf 500 Genossenschaftler anwachsen, weshalb das Team weiter eifrig um neue Mitglieder wirbt. Für überambitioniert hält Pötzsch die Zahl nicht: "Wir treffen auf viel Wohlwollen und rennen offene Türen ein", sagt sie. Die Einlage für jeden Genossenschaftler solle bei etwa 150 Euro pro Anteil liegen. Ein Startkapital von rund 75 000 Euro hält Pötzsch für realistisch. Zudem hofft sie auf Produkt-Sponsoring mit Werbeeffekten für andere Unternehmen. "Bei guter Entwicklung könnte dann an die Genossen eine jährliche Dividende, beispielsweise durch Vergünstigung im Laden, ausgezahlt werden."

Um die Schwierigkeiten der Ladengründung zu meistern, ist Pötzsch in Kontakt mit Genossenschaftsberatern und vergleichbaren Läden in München sowie dem "Ois-Ohne-Laden" in Bad Tölz, der ebenfalls als Genossenschaft funktioniert. Zur Organisation und Koordination des Projekts hat sich die Gemeinschaft in kleinere Gruppen aufgeteilt, die jeweils für ein bestimmtes Thema zuständig sind und sich beispielsweise mit Einkauf, Hygiene, Marketing oder Verwaltung befassen. Unter den Beteiligten - die Altersspanne liegt zwischen 13 und über 70 Jahren - sammeln sich verschiedenste Berufe, vom Mathematiker über Ärzte, Juristen oder Maler bis hin zu Marketingfachleuten. "Damit können wir unfassbar viel selbst erledigen", freut sich Pötzsch.

Doch nicht nur Berufstätige sind dabei, auch Schüler und Studenten beteiligen sich an dem Projekt. Die 18-jährige Abiturientin Paula Dorner kam über die Internet-Anfrage zum Projekt und war sofort begeistert. Sie sympathisiert mit der sogenannten Zero-Waste-Bewegung, deren Anhänger möglichst müllfrei leben wollen. "Ich benutze zum Beispiel feste Shampoos oder Zahnbürsten aus Bambus", nennt sie Möglichkeiten, um Plastik zu sparen. In der Genossenschaft plant die Schülerin den Einkauf mit.

Noch ist es nur eine gemeinsame Idee, die alle Mitglieder antreibt. "Das Ganze muss erst reifen", gibt Michael Toepell zu, der den Businessplan für das Geschäft entwickelt. Immer mehr Menschen bekämen das Spannungsfeld zwischen Klimakrise und Konsumrausch zu spüren. "Wir werden mit dem Laden sicher nicht die Welt retten. Aber wir können damit zeigen, dass jeder ein bisschen was für die Umwelt tun kann." Vielleicht trage der geplante Laden in Laim so dazu bei, dass ein anderes, umweltbewusstes Denken in der Gesellschaft ankert - mit vielen Unterstützern und ganz ohne Plastik.

Wer Interesse an einer Mitgliedschaft bei der zukünftigen Genossenschaft hat oder sich an den Planungen beteiligen will, kann sich mit einer E-Mail an info@nebenan-unverpackt.de wenden.

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Quelle:
SZ vom 16.12.2019
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