Wer als Unternehmer wachsen will, gerade im umkämpften Modemarkt, der sieht für gewöhnlich zu, dass er bei jeder Gelegenheit vernehmbar über sein Konzept schwadroniert - und wann er gedenkt, den ersten Schritt jenseits der Münchner Stadtgrenze zu tätigen. Bei Nicole Noli und ihrer veganen Modekette läuft das anders. Ihre Filiale in Berlin hat sie ohne großes Getöse eröffnet. Und wenn sie sich auch von Anfang an vorstellen konnte, Deargoods nach und nach auszubauen, so war ihre Expansion doch nicht das Ergebnis strategischer Überlegungen. Denn, so sagt sie: "Ich lasse mich gern leiten."
Dieses Prinzip des Leitenlassens, bevorzugt vom Zufall, verfolgt Noli nun schon, seit sie Deargoods 2012 gegründet hat. Und sie fährt gut damit: Mittlerweile betreibt sie ein Geschäft in Berlin und drei in München, zwei davon befinden sich im Glockenbachviertel, seit einigen Monaten gibt es Deargoods auch in Schwabing. Vor Kurzem hat sie zudem einen Pop-up-Store - ein vorübergehendes Geschäft - an der Sendlinger Straße aufgemacht, im September soll noch ein Laden in Augsburg dazu kommen.
Die Idee vom Veganismus auf Textilien zu übertragen, das ist natürlich clever in Zeiten, da selbst Konzerne wie H & M mit Kollektionen aus zertifizierter Bio-Baumwolle werben - der Go-Green-Gedanke ist für den Konsumenten längst nichts Neues mehr. Vegane Mode dagegen klingt zumindest für den Branchenfremden spektakulär. Leder ist demnach tabu. Seide auch, denn um an die Fasern zu gelangen, werden die Raupen mit kochendem Wasser übergossen. Selbst Wolle sucht man bei Deargoods vergeblich.
Jedoch ist es für Noli nicht damit getan, lediglich fair zu den Tieren zu sein. Damit die 40-jährige Unternehmerin, Mutter und Teilhaberin der Glockenbachkneipe Rennsalon, eine Marke in das Sortiment aufnimmt, muss diese auch umweltverträglich sein und ihre Arbeiter angemessen bezahlt. Denn: "Keiner dieser drei Bereiche soll für die Mode leiden."
Wenn Noli das sagt, hat das nichts Oberlehrerhaftes. Auch nichts Gebetsmühlenartiges. Sie erläutert die Philosophie, nach der sie ihre Firma führt, mit demselben Feingefühl, mit dem sie auch ihre Läden gestaltet. Ihren Pop-up-Store an der Sendlinger Straße wird es zwar nur bis zum 30. September geben. Trotzdem hat sie keinen dieser sterilen Verkaufsräume geschaffen, deren Macher Coolness gerne mit Seelenlosigkeit verwechseln. Stattdessen hat sie Teppiche ausgerollt und hölzerne Fenstersimse einbauen lassen, auf die man sich setzen kann, wenn die Füße müde werden. Das ist hipp genug für die Jugend, aber nicht zu hipp für die Senioren der Stadt.
Es herrscht Aufklärungsbedarf
Am späten Vormittag laufen zwei Teenager schnurstracks auf einen Verkaufstisch mit geometrisch gemusterten T-Shirts zu, ein Herr durchkämmt gerade eine Stange mit Hemden aus Biobaumwolle. Etwas Konkretes sucht Sebastian Bugl nicht. "Ich wollte mal schauen, was es so gibt", sagt der 41-Jährige - und schiebt nach, dass er zwar fair einkaufen möchte, gerade bei Kleidung bislang aber nicht wusste, wo diese in München zu haben ist. Von veganer Mode hat er noch nie gehört. Eine Verkäuferin eilt herbei, sie beginnt über alternative Materialien wie Hanf, recycelte Kunststoffe und den aus Eukalyptusholz gewonnenen Faserstoff Tencel zu referieren.
Dann legt sie dem Kunden das Problem mit der Wolle dar. "80 Prozent der Wolle kommt aus Neuseeland", sagt sie. Dort würden die Schafe restlos überzüchtet. Hätten die Tiere ausgedient, würden sie zum Schlachten auf Schiffen zusammengepfercht und in den Nahen Osten transportiert - viele verdursteten schon auf der Fahrt. Bugl wirkt betroffen, das wusste er nicht.