LaBrassBanda in der Olympiahalle:"Blos'n bis Blut spritzt"

Wie Karajan auf Koks: Eigentlich ist die Olympiahalle der falsche Ort für die Jungs vom Chiemsee. Doch das Prinzip Blech-Techno funktioniert trotzdem. "LaBrassBanda" bringen die Münchner einmal mehr zum Staunen - bevor sie sich erst einmal von der Bühne verabschieden.

Lena Jakat

Ein einsamer Klang der Trompete füllt die Halle - und der Chor von zehntausend Stimmen, die ihr antworten: "Daa-dada-dadadaa." Die seelenlose Olympiahalle hat sich aufgelöst in der LaBrassBanda-Magie. Die Band von Trompeter Stefan Dettl hat es an diesem Sonntagabend in München wieder einmal geschafft: mit moderner Blasmusik die Menschen mitzureißen. Wenn sich Trompete, Tuba und Posaune vom gemütlichen Umtata zum bayrischen Techno steigern, wenn die Blech-Raggae-Nummer ausartet in superschnellen Ska, gibt es kaum ein Halten mehr. Unten in der Arena pogen Jungs in speckigen Lederhosen, daneben tanzen Mädchen mit Nerdbrille. Und auch der Herr in der braunen Strickweste und dem gestreiften Hemd kann seinen Fuß nicht mehr vom Wippen abhalten.

La Brass Banda 2011

In den vergangenen Monaten haben LaBrassBanda 50 Konzerte gegeben. Jetzt ist es Zeit für weniger Auftritte - und ein neues Album.

(Foto: oh)

"Ich bin sprachlos", wird der Frontmann später beim heißgeliebten Weißbier über dieses Finale der aktuellen Tournee sagen - obwohl ihm Sprachlosigkeit eigentlich ziemlich fremd ist. "So total voller Liebe." 50 Konzerte haben LaBrassBanda in den vergangenen Monaten gespielt, aber eigentlich waren die fünf Jungs seit 2007 fast ununterbrochen auf Tour, 500 Konzerte haben sie seitdem gegeben.

Zum Abschluss in der sehr gut gefüllten Olympiahalle haben sie die Vorband weggelassen und spielen selbst einfach länger - gut zweieinhalb Stunden Blech-Irrsinn am Stück. Gute Stimmung reicht Dettl diesmal nicht, wie er dem Publikum immer wieder klarmacht: "Es muss richtig brutal werden!" Und dann bläst er schon wieder in seine Hochgeschwindigkeitstrompete, singt, scattet und dirigiert zwischendrin die Bandkollegen wie Karajan auf Koks.

Wie viel Ska, Raggea und Techno in LaBrassBanda steckt, sollte man gar nicht erst versuchen auseinanderzudividieren. Da sind schon viele Versierte dran gescheitert. Laut, rhythmisch, zügellos reißt die Kapelle mit sichtlichem Vergnügen gewohnte Grenzen zwischen Genres ein. "Das kalkulierte Chaos", nennt das Stefan Dettl.

Kunterbunte Weltmusik

Zur aktuellen Blasmusik-Welle, auf der Brass-Bands wie die Münchner Moop Mama ganz oben mitschwimmen, haben BrassBanda entschieden beigetragen. Wenn nicht die Blechklänge vom Chiemsee diese moderne Wiedergeburt der Blaskapellen überhaupt erst ausgelöst haben. BrassBanda machen kunterbunte Weltmusik, aber eben mit weiß-blauen Rauten.

Da wird zum Beispiel ein Stück angesagt mit einer Anekdote aus der Transsibirischen Eisenbahn, angeblich hat es die Band der Frau gewidmet, die ihnen dort statt eines ekligen Hendls ordentliche Wurstsemmeln serviert habe. Eine Ballade, die sich schnell zu einer Balkan-Gypsy-Polka entwickelt. Und alles tanzt zum Wurstsemmel-Lied.

Klar, haben BrassBanda schon vor vielen tausend auf den großen Festivals gespielt wie Hurricane, Roskilde, Chiemsee Raggea - Dettl selbst pflegt die Legende, wie sie sich bei dem Festival in ihrer Heimat unter falschem Namen ins Line-up schmuggelten, mit Hingabe und erzählt die Anekdote immer wieder. Doch die geschlossenen Räume, die die Jungs bislang zum Beben brachten, waren stets überschaubar, Indie-Clubs und kleine Hallen in Hamburg, Liverpool oder Augsburg, der Circus Krone in München.

Jetzt also die Olympia-Halle. 10.500 verkaufte Karten, steile Ränge, schwierige Akustik. Es war von Anfang an ein Experiment. Doch es hat funktioniert. Wenn auch die ausgelassene Stimmung ein bisschen länger auf sich warten lässt als sonst - schließlich muss man sich erst einmal an die katastrophale Akustik gewöhnen, die der Olympiahalle nun mal eigen ist. Doch als nach der ersten halben Stunde Dettl die Menschen auf den Rängen zu Lockerungsübungen bittet und ihnen versichert: "Zu unserer Musik kann man sich nicht falsch bewegen!", erheben sich auch die letzten Münchner von ihren Klappstühlen. "Wir blos'n heut bis Blut spritzt!", ruft Dettl, ein Befehl, auch ans Publikum. Und die Masse gehorcht.

LaBrassBanda sind schließlich Profis auf der Bühne. An ihren Instrumenten sowieso - Dettl, Wrage, Hofmeir, Winbeck und Da Coll kennen sich schließlich vom Musikstudium am Konservatorium. Und von der Bühne allemal: Dettl, der hirschlederne Flummi-Ball, rennt, springt, schreit, als wäre er nur für diese Stunden auf der Bühne geboren, in denen er mit seiner kleinen Trompete die Massen zum Stampfen bringt. Und Hofmeir an seiner Techno-Tuba, eine urkomische Mischung aus Tanzbär und todernstem Genius. In der Olympiahalle, in der sie so klein und fast ein bisschen verloren aussehen, verzichten die Blechbläser auf aufwändige Bühnentechnik. Nur ab und zu pulsen Lichtblitze durch die Halle, streichen Strahler über die Köpfe der Menge.

Bairisch kann auch cool sein

Wie bei jedem ihrer Konzerte verlassen die fünf irgendwann die Bühne, um nur mit ihren Instrumenten durch die Menge zu ziehen. Durch die Arena, rauf auf die Ränge, über die nackten Schultern der Pogo-Jungs wieder zurück auf die Bühne. Neun Minuten verschluckten die mehr als zehntausend Zuschauer sie fast völlig - nur ab und an ist aus dem Klatschen und Singen der Menge heraus die dumpfe Tuba zu hören. "In der großen Halle ist man so weit weg", sagt Dettl später, "deswegen war das für uns so wichtig. Und es ist einfach voll schön: Jeder grüßt, lacht dich an, jeder feiert."

Als er 2007 anfing mit LaBrassBanda wollte er der Welt beweisen, dass sich nicht nur zu makellosem Computerpop ausgezeichnet tanzen lässt, sondern auch zu ehrlicher, handgemachter "Voixmusik" aus dem Chiemgau. "Tanzmusik mit Dreck unter den Fingernägeln" eben. Es hat funktioniert. Und wie. 2008 tourten sie mit Mopeds und Traktor zum EM-Endspiel zur Fanmeile in Wien, Konzerte in Sibirien und Simbabwe folgten. LaBrassBanda hat inzwischen sogar den kühlen Hamburgern und den hippen Berlinern bewiesen, das Bairisch auch richtig cool sein kann.

Das ungläubige Staunen, das sie immer noch auslösen, wo immer sie hinkommen, ist das Lebenselixier der Band. Egal ob in einem österreichischen Techno-Club, wo die Leute "scharf aufgemacht sind, mit Kleidl und Stöckelschuhen", auf dem Weltmusikfestival in Jena oder dem Indie-Club in den USA: Der Moment, erklärt Dettl nach dem Konzert, "wenn denen vor Überraschung fast das Bier aus der Hand fällt: Das brauchen wir."

Im kommenden Jahr wollen LaBrassBanda nur ein paar Open-Air-Konzerte spielen, endlich mal wieder ins Studio gehen und ein neues Album aufnehmen. Zeit wird's: 2008 erschien ihr Debutalbum Habediehre, ein Jahr später schon das Nachfolgewerk mit dem ironischen Titel Übersee, das ja eigentlich nur ein kleiner Ort an ihrem Heimatsee ist. Zwischen all den Blechkonzerten nahm Stefan Dettl sein Soloalbum Rockstar auf, in der er die Trompete gegen die Gitarre tauscht und dem mit all dem Blech leider auch das gewisse Etwas abhandengekommen ist. Für die neue Platte wollen sich die Chiemgauer mehr Zeit nehmen. Was draufkommt, wissen sie selbst noch nicht so genau. Sie wollen dafür zurückgehen in die kleinen Clubs. "Von da werden die neuen Stücke den Weg auf die Platte finden", sagt Dettl.

Als er das vor der vorletzten Zugabe den Zehntausend in der Halle verspricht, ankündigt, den Fans in den Clubs zurückzugeben, "was ihr uns gegeben habt", ist der Jubel gewaltig. Klar sind sie alle gekommen, weil LaBrassBanda in der riesigen, kühlen Betonhalle genauso funktioniert wie vor ein paar hundert Leuten im Cirkus Krone. Aber eigentlich gehören Stefan Dettl und seine Trompete nicht hierher.

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