KZ-Überlebender:"Der Tod umringte uns überall"

Andrej Korczak Branecki

Andrzej Korczak Branecki im Winter 2015 im KZ Dachau: Den Amerikanern habe ich mein Leben zu verdanken

(Foto: privat)

Mit 14 ins KZ Dachau, zwei Todesmärsche überlebt und am 29. April 1945 von US-Truppen befreit. Andrej Korczak Branecki erzählt seine Geschichte.

Protokoll: Lars Langenau

Andrej Korczak Branecki erzählte uns seine Geschichte Anfang des Jahres in Dachau. 70 Jahre nach seiner Befreiung aus dem deutschen Konzentrationslager wird es am 3. Mai auf dem Gelände in der Stadt bei München eine Gedenkfeier geben. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wird anwesend sein.

"Ich wurde am 15. Januar 1930 in Warschau geboren. Mein Vater starb noch vor Kriegsbeginn, ich musste die Schule verlassen und meiner Mutter bei der Versorgung meiner drei Geschwister helfen.

1941 trat ich einer geheimen Pfadfinder-Organisation bei und engagierte mich in der Widerstandsbewegung gegen die deutschen Besatzer. Mit 14 Jahren führte ich im Rahmen des Warschauer Aufstandes harmlose Sabotageakte aus, die die Wehrmacht brutal bestrafte. Im September 1944 wurde ich als 'Bandit', und nicht etwa als Kriegsgefangener, verhaftet und zunächst in ein Sammellager, dann auf Viehwaggons ins KZ Dachau gebracht. Dort bekam ich dünne Häftlingskleidung mit einem Aufnäher mit dem Buchstaben 'P' als politischer Häftling und eine Nummer: die 106016.

Wir hatten da bereits von Auschwitz gehört und dass man dort Menschen vergaste, wenn sie unter die Dusche gingen. Ich hatte eine furchbare Angst, als das Duschen bei uns an der Reihe war. Es kam zum Glück nur Wasser. Nach zwei Wochen in Quarantäne wurde ich ins Lager Mannheim-Sandhofen geschickt, wo ich in einer Fabrik für Daimler-Benz arbeiten musste.

Ich wurde im Dezember '44 in das KZ Buchenwald und im Januar 1945 zur Zwangsarbeit in die Adlerwerke nach Frankfurt am Main gebracht. Dort musste ich, noch ein halbes Kind, die gleichen schweren Arbeiten bis zu 14 Stunden am Tag verrichten wie die Erwachsenen. Zu essen bekamen wir nur Suppe, jeden Tag Suppe, wenn wir Glück hatten, war da mal ein Stück Kartoffel drin.

"Wer zurückblieb, wurde erschossen"

Mitte März 1945 wurde ich auf einen zweiwöchigen 'Todesmarsch' ins KZ Buchenwald geschickt. Es war ein extrem harter Winter. Wir schliefen auf den Feldern in unserer dünnen Kleidung und nur mit einer Decke für jeden. Wir haben uns immer zu fünft zusammengetan und zwei Decken auf den Boden gelegt und uns mit drei Decken zugedeckt. Manche starben neben uns in der Nacht. Wir hatten immer Hunger und Tausende Läuse quälten uns.

Ich habe heute keine Ahnung mehr, wie ich das überleben konnte. Diese Minustemperaturen, die ungeschützten Übernachtungen und unsere Schwäche durch die Mangelernährung. Wer zurückblieb, wurde erschossen. In den Straßengräben war kein Wasser, sie waren mit Schnee überzogen und der war rot von Blut. Mein Freund legte sich vor Erschöpfung in den Graben. Sogleich kam ein SS-Mann und erschoss ihn. Sein Kopf zerplatzte. Ich weiß nicht, woher ich die Kraft nahm, aber als ich gesehen habe, wie er erschossen wurde, habe ich die gesamte Gruppe überholt an die Spitze des Zuges. Nur um nicht zurückblicken zu müssen.

Auf 28 Kilo abgemagert

Von unserem Zug, der mit 1000 Menschen gestartet war, kamen nur 300 in Buchenwald an. Von Buchenwald wurde ich ins KZ Flossenbürg verlegt und musste von dort meinen zweiten 'Todesmarsch' wieder ins KZ Dachau antreten. Es gab sadistische Aufseher und der Tod umringte uns überall. Manche, die psychisch labil waren, suchten den Freitod und rannten in den Elektrozaun, andere ließen sich erschießen.

Am 29. April 1945 wurde ich dort von amerikanischen Soldaten befreit. Nur bekam ich davon gar nichts mit. Ich litt unter Typhus und war von ursprünglich 70 Kilogramm auf 28 Kilo abgemagert. Die Amerikaner päppelten mich zwei Wochen lang auf. Ihnen habe ich mein Leben zu verdanken.

Als ich wieder einigermaßen bei Kräften war, bin ich zurück nach Warschau. Meine Mutter wartete ja auf mich. Unser Haus war zerstört, wie 85 Prozent aller Häuser meiner Heimatstadt. Meine Mutter lebte im Nachbarhaus bei Bekannten. Meine Schwester kam erst später vom Arbeitsdienst aus Deutschland zurück und wir erfuhren noch später, dass die Deutschen meine beiden Brüder getötet hatten.

Vielleicht habe ich das alles wegen meines Glaubens überlebt, weil ich so viel gebetet habe. Und wegen dem Wunsch, bei meiner Mutter zu sein, die das ja sonst nicht alleine geschafft hätte. Eigentlich möchte ich mich daran nicht mehr erinnern, obwohl ich es immer im Kopf habe.

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Die Geschichte Ihres Lebens

Wann waren Sie ein Held? Gibt es einen neuralgischen Punkt, an dem Ihr Leben ganz anders wurde? Fast jeder trägt eine besondere Geschichte in sich - wir wollen Ihre erzählen.

Ich habe heute keinen Hass mehr auf die Deutschen, aber ich sehe es als meine Pflicht an, den jungen Deutschen davon zu berichten, was ich erlebt habe. Ich konnte danach weiterleben, habe 1950 geheiratet und meine Frau hat Zwillinge bekommen. Das ist das, was das Leben für mich ausmacht: Familie und Glauben. Liebeskummer? Habe ich nie gehabt."

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