Gedenken ohne Zeitzeugen:"Symbol für das Grauen"

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Wegen der Corona-Pandemie wird in Dachau in anderer Form als ursprünglich geplant an die Befreiung des Konzentrationslagers vor 75 Jahren erinnert

Von Christiane Bracht, Dachau

Alles ist still in der Gedenkstätte des KZ Dachau. Nur gelegentlich klicken Kameras. Der Regen peitscht. Doch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) trotzen dem Wetter. In gebührendem Abstand voneinander verneigen sie sich vor den etwa 80 Kränzen am internationalen Mahnmal, bücken sich schließlich und richten die Schleifen. Es ist ein symbolischer Akt anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers. Der einzige, der dieses Jahr überhaupt am Ort des Geschehens stattfinden wird.

Die großen Feierlichkeiten, die lange vorbereitet und dezidiert geplant waren, wurden wegen der Corona-Pandemie abgesagt. 72 Überlebende wollten mit ihren Familien kommen sowie 19 Befreier. "Heute hätten wir am Flughafen gestanden, um sie abzuholen", sagt Gabriele Hammermann, die Leiterin der Gedenkstätte an diesem Mittwoch. Doch nun ist alles anders: Gedenkfeiern, Führungen und Andachten finden nur digital statt. Die Gedenkstätte ist geschlossen.

Das stille Gedenken "ist ein wichtiges Zeichen", sagt Karl Freller, der Direktor der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten. Vor allem für die Überlebenden, in denen in ihrer Corona-bedingten Isolation gerade am Befreiungstag die schmerzliche Erinnerung wieder aufsteigt. "Viele sind erst in letzter Minute gerettet worden", sagt Hammermann. Mehr als 210 000 Menschen waren im KZ Dachau zwischen 1933 und 1945 inhaftiert. 41 500 wurden ermordet, erschossen, zu Tode gefoltert, fielen einer Krankheit oder medizinischen Experimenten zum Opfer. "Das KZ Dachau war das erste, der Vorläufer, das Modell für alle späteren Konzentrationslager", betonte Ministerpräsident Söder an diesem historischen Tag: "Es ist das Symbol für das Grauen des Totalitarismus."

Hass, Boshaftigkeit und Aggressivität des NS-Regimes seien von vielen unterschätzt oder nicht wahrgenommen worden, denn es seien viele kleine Schritte gewesen, an die sich die Menschen peu à peu gewöhnt hätten. Deshalb sei es wichtig, seine Stimme zu erheben, wenn Antisemitismus und Hass wachsen, mahnte Söder. Wenn Alexander Gauland sage, die NS-Zeit sei nur ein "Vogelschiss in der Geschichte", so zeige das, wie aktuell das Thema sei und dass dieser Tag der Erinnerung "stattfinden muss - trotz Corona".

Der Wunsch der Überlebenden war es, dass die Welt von der unvorstellbaren Realität hinter den Mauern des KZ erfährt, dass der Ort bewahrt wird, ein Mahnmal errichtet und ein Museum eröffnet wird, sagte der Präsident des Comité International de Dachau Jean-Michel Thomas in einer Videobotschaft. "Der Weg war schwierig", aber nach 75 Jahren könne man nun sagen: "Auftrag erfüllt". "Heute wollen wir das Versprechen erneuern", sagte Ilse Aigner.

© SZ vom 30.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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75. Jahrestag
:Bayern gedenkt der Befreiung des KZ Dachau

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