Kurzkritik:Unheimlich

Martin Kindervaters "Der Mieter. Wahnsinn und Wohnen"

Von SABINE LEUCHT

Der Erfassungsbogen zeigt gleich, was Sache ist. Mit Fragen nach der sexuellen Orientierung und vergangenen Mietsünden testet der Verein, der die Wohnungsbesichtigung für zehn Auserwählte arrangiert hat, deren Scham- und Schmerzschwelle aus. Er wurde im Zuge eines debütgeförderten Performance-Projekts des Regisseurs Martin Kindervater in Koproduktion mit dem Pathos München gegründet. Der Vermieter, der dem blassen Hinterhof "Toskana-Feeling" andichtet und der windschiefen Butze eine für München leider realistische Kaltmiete von 750 Euro, ist nicht nur Resi-Besuchern bekannt. Alfred Kleinheinz beherrscht das joviale Sie-wissen-schon-Lachen, das beim abhängigen Gegenüber jenes Dauer-Grinsen auslöst, das sich nun auf allen Gesichtern zeigt. Denn jeder Besucher will die Wohnung ergattern. Sei sie, wie sie sei. Koste sie, was sie wolle.

Bis dahin läuft alles auf ein betroffenheitsheischendes Selbsterfahrungsspiel hinaus, das - mit einigen Überspitzungen - die Realität nachbuchstabiert. Doch die szenische Installation "Der Mieter" hat nicht nur etwas zu beklagen, sondern auch Polanskis gleichnamigen Film inhaliert und die "halbpassiven Protagonisten" erfunden. Zur Spontanparty aus dem Wohnzimmer geholt, dann wieder vor einem keifenden Überwachungsdrachen darin versteckt, sind wir mal Teil und mal Beobachter des Ganzen. Wir haben via Monitor Einblick in verschlossene Räume und sitzen neben der Seele, die eigentlich längst "in der Geschlossenen" ist.

Denn der Wahnsinn am Mieten besteht nicht nur im Preis und der Übergriffigkeit der Nachbarn, man zieht mit der Wohnung auch die gebrauchte Haut eines anderen über. Mit Ruhe, Sinn für unheimliche Details und prima Schauspielern (neben Kleinheinz Olaf Becker und Barbara Maria Messner) erzählt "Der Mieter" diese Geschichte. Mit einigen sehr abrupten Übergängen, aber insgesamt beeindruckend.

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