Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Troubadour mit Trouble

Das Münchner Multitalent Enik im Import Export

Von Bernhard Blöchl

Den Benvolio hat er in Ingolstadt gelassen. Auf der kleinen Bühne des Import Export schlüpft Enik in keine Rolle wie zuletzt in Mareike Mikats "Romeo und Julia" am Stadttheater Ingolstadt. Hier nun darf der Münchner, der sich als Schauspieler ebenso Applaus abholt wie als Songschreiber für Fanta 4, der Theatermusik ebenso komponiert wie Filmmusik, hier darf dieses Multitalent endlich wieder sein, was seiner Künstlerseele am nächsten ist: ein fesselnder Live-Musiker. Einer, der klingt, als hätten David Bowie, Nick Cave und Tom Waits ihren bayerischen Adoptivsohn bei Vollmond und Rotwein unterrichtet - um ihn dann auf die Münchner Subkultur loszulassen.

Ein bisschen nervös ist der Start, und rund läuft es auch nicht nach neun Jahren Abstinenz. 2011 hat er ein Studioalbum herausgebracht, es war geprägt von klassischem Songwriting und Indie-Rock. Der neue Streich und Anlass dieses Tourauftakts, seine vielleicht beste Platte "The Deepest Space Of Now", ist ein traumwandlerisches Experiment zwischen Indie-Pop und Electronica. Sehr intuitiv, sehr ambitioniert, sehr schwer auf die Bühne zu bringen. Da steht er nun, in Frack und Glitzerschuhen und mit dekorativem Kabelsalat um den Hals gewickelt, und muss gleich zu Beginn eine Hürde meistern. Die Akkorde auf seinem Minikeyboard sind nicht zu hören, weshalb Eniks erste Worte an den Tontechniker im Publikum gerichtet sind: "Noch kommt nichts."

Danach kommt dafür um so mehr. Die Show konzentriert sich fast ausschließlich auf die neuen Tracks, von dem druckvollen "True MF" bis zur Außenseiterballade "Strawberry Clover". Seine Bandkollegen sind Könner ihres Fachs: der Jazzer Ralph Heidel an den Keyboards, Dani Scheffels an den Drums und der Mitkomponist Lorenz Blaumer (Einshoch6) an Geige und Bass. Vor den Videoprojektionen schaffen sie ein dem Album würdiges Live-Erlebnis, eine eindringliche Melange aus Melancholie und Rebellion. Enik ist großartig als Troubadour für die Gefallenen. Mal bearbeitet er seine E-Gitarre mit dem Bogen, mal animiert die zahlreichen Zuhörer zum Mitsingen. "Noch kommt nichts?" Hoffentlich kommt auch künftig so viel Schönes von dieser Münchner Ausnahmeerscheinung.

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Quelle:
SZ vom 24.02.2020
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